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Kaum ein Tag ohne Krisenmeldung aus den Weingebieten Frankreichs. Nicht nur das Bordelais ist betroffen, auch die Languedoc, die grösste Rebfläche des Landes, aber genau so auch die Rhône oder das Elsass. Ein Beispiel unter vielen: „Crise: Les vins français détrôné par la concurrence espagnole en 2015”. Dies geht an die Ehre der „grande nation” als führendes Land in der Weinproduktion. In sieben Jahren wird es vom Sockel gestürzt sein. Für Frankreich ist dies weit schlimmer als das Ausscheiden der „Bleus” an der Fussball-Europameisterschaft. Hintergrund: jedes Jahr wird seit 2000 weniger französischer Wein getrunken, 2.6 Prozent weniger, weltweit. Auch die Produktion wird schrumpfen. Von jährlich 53 Millionen Hektolitern in der Periode von 2000-2004 auf nur noch 44 Millionen im Jahr 2015.

 

 

Schlagzeile vom 9. Juli 2008: Weinland Frankreich entthront.


Den Krisenmeldungen folgen Erklärungsversuche. Ab und zu macht sogar die Einsicht Platz, dass die Qualität verbessert werden müsste, denn die weltweite Konkurrenz schlafe eben nicht. Weit häufiger werden aber die Einschränkungen und Vorschriften angeführt, vor allem jene, „pour raison de santé publique” (aus Gründen der Volksgesundheit). Dahinter verbirgt sich vieles: angefangen bei der drastisch reduzierten Alkohol-Limite für Autofahrer über das Verbot, Alkohol an Jugendliche abzugeben, bis zur Deklarationspflicht bei der Werbung: „L’abus d’alcool est dangereux pour la santé. Consomez avec modération.” ( „Der Missbrauch von Alkohol schadet der Gesundheit. Trinken Sie mit Maß”). Bald wird dieser oder ein ähnlicher Spruch wohl auch auf allen Weinflaschen prangen, ähnlich wie heute schon auf allen Zigaretten-Packungen. Xavier de Volontat, der Chef der „Vignerons indépendants” ist überzeugt: «En France, la publicité du vin est très réglementée... Certains pays européens n’ont pas ce genre de contraintes.» (In Frankreich ist die Werbung für Wein stark reglementiert...gewisse Länder haben keine solchen Einschränkungen.)

Eine wichtige Ursache für die französische Weinkrise wird aber kaum je erwähnt: die Bürokratie. Sie ist selbst für einen Frankreichverliebten oft unerträglich. Eine übertriebene Reglement- und Buchstabentreue taucht überall dort auf, wo sie den unmittelbar Betroffenen Vorteile bringt.

 

 

 

 

Oenologe Philippe Dupond erklärt die Vorschriften für die Appellation Châteauneuf-du-Pape.


Versuchen Sie einmal auf einem öffentlichern Amt rasch eine Kleinigkeit zu erledigen. Hoffnungslos! Stunden sind einzuplanen. Als ich kürzlich auf der „Trésorerie” (Finanzamt) eine Schuld von 30 Euro begleichen musste, saßen hinter einer Glasscheibe mit mehreren Schaltern fünf Angestellte. Sie guckten teilnahmslos auf die Wartenden und waren mit ihren Computern voll beschäftigt. Am einzigen offenen Schalter ging es schleppend voran. Als wir endlich an der Reihe waren, musste die Kassiererin für die 30 Euro tüchtig arbeiten: unendlich lange suchen, viele Formulare ausfüllen und Webseiten bewältigen.

Noch krasser: das Ergattern eines Telefonanschlusses in unserer Kleinwohnung. Obwohl es auch in Frankreich viele konkurrierende Telefon- und Internet-Anbieter gibt, kann nur ein Unternehmen den gewünschten Anschluss erstellen: Orange. Um dies in die Wege zu leiten, gibt es zwar Gratisnummern, doch Dokumente müssen vorgelegt werden: also persönlich antraben im nächsten Orange-Büro. Es ist dreißig Kilometer entfernt. Wir quälen uns durch den saisonalen Stau. Die Verkaufsstelle und Agentur wird von einem strengen „Cerberus” bewacht. Er will amtliche Dokumente sehen, zum Beispiel die französische Steuerabrechnung oder die Quittung für regelmäßigen Gas- und Strombezug und natürlich den Pass oder eine Identitätskarte. Das letztere haben wir bei uns, doch die Steuer- und Stromrechnungen liegen geordnet in der Schweiz. Das große Kommunikationsunternehmen Orange, das mit einer einzigen Telefon-, Fax- oder Internet-Verbindung unsere Identität feststellen könnte, genau so wie die Bestätigung, dass wir Wohnungsbesitzer sind, schickt uns unbarmherzig zurück: Eintritt verweigert. Unsere Angebote, die Dokumente nachzuliefern, das Steueramt, die Hausverwaltung oder die Bank anzurufen, helfen da nichts. Auch nicht die einfache Logik, dass wir kaum für eine fremde Wohnung auf unsere Kosten (wir mussten ja unser französisches Konto ausweisen) einen Anschluss mit Kostenfolge bestellen würden. Nein: „Kommen Sie später wieder!”. 

Das haben wir gemacht, drei Monate später. Diesmal sind wir in die „heiligen Hallen” eingelassen worden. Obwohl wir genau wussten, was wir wollten, dauerte die Prozedur mehr als eine Stunde. Da mussten Formulare ausgefüllt, Bestätigungen vorgelegt, Angaben gemacht werden, so dass wir nicht mehr aus dem Staunen heraus fanden. Ich war darauf gefasst, auch die Schuhgrösse und das Maß des Hosenbunds angeben zu müssen.

Nach über einer Stunde: Hurra, wir haben es geschafft. Das Mietmodem für den Anschluss an das Internet ist aber nach drei Wochen immer noch nicht da. Französische Bürokratie.

 

 

 

 

Wein vom Château Lafon - jetzt „L’inclassable”


In der Weinwelt geht es ähnlich zu und her. Allein schon der Kampf der Institutionen um die „richtigen” Klassifizierungen in Bordeaux liefert besten Anschauungsunterricht. Klassifizierung neu erstellt, wieder aufgehoben, wieder eingesetzt, wieder ausser Kraft gesetzt. Soeben ist die alte St-Emilion- Klassifizierung wieder zugelassen worden. Aehnlich sieht es bei den Crus Bourgeois im Médoc aus. Da gibt es übrigens ein Weingut, das Jahrzehnte lang „Lafon” geheißen hat, jetzt aber diesen Namen (auf Grund welcher Vorschriften oder Klagen auch immer) nicht mehr tragen darf. Der frustrierte Besitzer des alteingesessenen Familienbetriebs nennt seinen Wein nun schlicht „L’inclassable” (der Unklassierbare).

In St-Emilion wurde ein Teil des berühmten Garageweins „Valandraud” vor ein paar Jahren als „L’interdit de Valandraud” (der Verbotene) auf den Markt gebracht, als Protest gegen die allzu engen Vorschriften der Appellation.

 

 

 

 

Die Verbotene Rebe


Reglemente, Verordnungen, Vorschriften, Gesetze sind da, um dem Konsumenten Sicherheit, Verbindlichkeit und Qualität zu garantieren. In Frankreich haben sie sich aber - wie kaum in einem andern Weinland - verselbständigt zu Monstern, die (fast) allen das Leben schwer machen. Den Konsumenten, die längst nicht mehr sicher sind, auf Grund all der Vorschriften und Reglementierungen wirklich die beste Qualität zu erhalten; den Winzern, die an ihren Innovationen gehindert und für jede noch so kleine Verbesserung bestraft werden; der Bürokratie, die zermürbend aufwendig und teuer ist. So wird der Markt immer undurchschaubarer und die Weinnation Frankreich klagt bitterlich: „détrônés par la concurrence”.

Wer sich oft und immer wieder durch französische Bürokratie kämpfen muss, den wundern solche Schlagzeilen längst nicht mehr. Entthront werden müsste zuerst einmal die französische Bürokratie.

Herzlich
Ihr/Euer
Peter (Züllig)

 

 

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