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Nicht eine der 20 Kolumnen hat so viele Reaktionen ausgelöst, wie mein „Abschied von Bordeaux”; und keine ist in so kurzer Zeit so oft angeklickt worden, zwanzigtausend Mal. Wenn ich die Leserbriefe, die privaten Mails, die angeregte Diskussion im Forum zusammenfasse, dann werden drei unterschiedliche Standpunkte sichtbar.

 

Mythos Bordeaux: Sonnenuntergang am Atlantik

Da sind einmal all jene, die mich (und sich selber!) trösten wollen: „...ich kann gut nachvollziehen, wie es in dir aussieht. Auch mich hat die große Bordeaux-Depression erfasst...” Und manch ein Trost endet in philosophischen Dimensionen: „Wohin geht die Liebe, wenn sie geht?” Ja, wenn ich das wüsste? Da können vielleicht jene helfen, die nun Alternativen ansprechen: „...ab, nach Südfrankreich, auf zur Schatzsuche...”. In Südfrankreich, da bin schon, mit dem Herzen ganz, als Person viele Wochen im Jahr. Vielleicht wage ich es sogar fremdzugehen mit einer „...Reise ins Piemont und Burgund, aber bitte bei den Klassikern bleiben, denn diese sind wenigstens kein one-night-stands, die man bereut...”

Eine dritte Gruppe beruft sich unverdrossen auf die „heiligen Gesetze” des Marktes „...die Nachfrage ist im Verhältnis zum Angebot extrem hoch = die Preise klettern in die Höhe.” So ist es eben auf dieser Welt und ihrer eingespielten Ordnung: „...drei Prozent Oberschicht hat noch jeder Kapitalismus hervorgebracht....”

 

Werbung für „Bordeaux 2005":Mythos Bordeaux

Nein, ich jammere nicht, dass ich nicht zu dieser „Oberschicht” gehöre. Auch wenn ich mir bisher eingebildet habe, wenigstens „bordeaux-mäßig” ein ganz klein wenig teilzuhaben. Vergängliche Träume des Menschen, unweigerlich verbunden mit größeren oder kleineren Bruchlandungen!

Offenbar geht es vielen Weinliebhabern ähnlich, denn ich werde empfangen: „...willkommen im Club, ich konnte mir diese Weine noch nie leisten...” Als Medienschaffender weiß ich nur zu gut, dass sich „Träume” gut vermarkten lassen. Träume werden zu Mythen, zum Mythos: Bordeaux gehört dazu. Dazu der amerikanische Mythenforscher Joseph Campbell: „Das Material des Mythos ist das Material des Lebens, unseres Körpers und unserer Umwelt.” Mythen sind mächtig, leben lange, werden kaum hinterfragt, wirken oft anarchisch - und sind doch sterblich.

Auch der Mythos Bordeaux ist sterblich. Er beruht auf vielen Legenden und Fakten. Zum Beispiel soll er „weltweit der Inbegriff und Gradmesser für Qualitätswein” sein, sagt die Werbung. Vorbei: das Bordelais hat diesen Mythos längst verloren (oder teilt ihn zumindest mit andern Weinregionen!).

 

Weinverarbeitung im Châteaux:"Haut-Brion"

Oder, da ist auch der Mythos der Winzergenerationen, die seit Jahrhunderten aus ihrem eigenen Boden Großartiges hervorbringen. Vorbei: zumindest bei den großen Gewächsen, die den Mythos Bordeaux begründen. Da haben Finanz- und Kapitalkräfte längst Einsitz genommen.

Oder der Mythos von der wunderschönen Weinlandschaft, von der Natur, die den Wein zum höchsten Genuss reifen lässt. Vorbei: ohne Hightech bei der Vinifizierung geht es längst nicht mehr, klinisch sauber wird die Natur „bearbeitet”. Und wo noch ein bisschen Landschaft ist, wuchern Straßen und Autobahnen, mitten durch die Weinlandschaft.

Oder: der Mythos vom herrschaftlichen „Schloss” (Châteaux, im geläufigen Sinn). Da waren schlossähnliche Prachtbauten Zeugen für die Größe und Bedeutung der berühmtesten Bordeauxwinzer. Vorbei: Kaum einer dieser Bauten ist noch bewohnt, viele zerfallen, andere werden herausgeputzt und dienen der Repräsentation.

 

Mythos Wein: Handelswert rund 6'000 €

Und doch ist es der Mythos „Bordeaux”, der die Weinwelt weiterhin bewegt. Auch wenn manches bröckelt und marode ist. Der Mythos ist eben nicht Wahrheit. Auch der Mythos Bordeaux nicht. Dass er weiterlebt, zeigt das große Interesse und die Reaktionen vieler Kolumnenleser.

Im Bordelais formen sich aber die Kräfte neu, zu eine neuen Mythos, jenem der „Unerreichbarkeit”. Er ist - neben Macht - wohl der zuverlässigste Mythos unserer Zeit. Einmal im Leben einen „Pétrus” trinken, im Keller ein paar Flaschen „Ausone 2005” lagern, auf die Genussreife von Latour 2005 warten..... All das ist für den Weinfreund, der nicht zur „Oberschicht” gehört, fast unerreichbar. So bekommt Bordeaux eben einen neuen Mythos: Marktpreis genannt! Ja, er kurbelt das Geschäft an (viele der höchsten Bordeauxwerte sind bereits ausverkauft!) und ersetzt das, was der Mythos Terroir, Weingegend, Weinbauer, Natur etc. im Bordelais verloren hat.

 

Märchenschloss? Pichon-Longueville Baron

Dagegen ist wenig einzuwenden. Nur: meine Mythen sind es eben nicht (mehr)! Und weil ich den Wein - nicht den Weinwert liebe - werde ich weiterhin eine Kolumne über Wein schreiben, täglich einen guten Wein trinken (auch Bordeaux!) und an Mythen glauben. Obwohl ich weiß, dass der, welcher sich auf Mythen beruft, leicht zu manipulieren ist.

Herzlich
Ihr/Euer
Peter (Züllig)

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