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Kaum zurück vom Wine-Trip in China, stehe ich in den Weinbergen der Bündner Herrschaft (Ostschweiz)  beim „Wimmlen” oder - etwas verständlicher - im „Wümmet”. Dabei kommt mir ein altes Kinderspiel in den Sinn: „Wenn ich Kaiser von China wäre…”. Ja was dann?

Die wildesten Kinderphantasien tauchten damals auf… Ja, dann würde ich Wasser in Süssmost verwandeln, Berge aus Schokolade bauen, die Schule abschaffen, das schönste Mädchen küssen… (oder nein, das war schon etwas später, sicher aber noch bevor die junge Wencke Myhre den „Chinesischen Kaiser” in die Hitparade hievte).

Eine Auswahl von schlechten Trauben% die aussortiert werden müssen

All dies setzt sich jetzt in meinem Kopf fest, während ich Tag für Tag im Rebberg stehe, stundenlang Traube um Traube abschneide, diese dreimal in der Hand drehe, nach faulen, unreifen, angestochenen, nach Essig riechenden, lahmen oder roten Beeren Ausschau halte und all das herausschneide, was später dem Wein nicht bekömmlich ist, ab und zu auch einzelne Beeren herausklaube, bevor ich die Trauben in ein Kistchen werfe, dabei auch die rund dreißig fleißigen Leute beobachte, wie sie glauben, im Akkord arbeiten zu müssen.

Ich denke an den Wein, der daraus werden soll, ich denke an den Genuss, den er mir bereiten wird, ich denke an die Parkerpunkte, die er wohl nie bekommt. Warum eigentlich nicht? Zufall oder System?

Da wird aus dem munteren Kinderspiel um den „Kaiser von China” mit einem Mal  Ernst. Was würde ich tun? Ich würde alle Weingeniesser, die an den „Verkostungen” ihre Punkte  leichthin - so aus dem hohlen oder vollen Bauch heraus - vergeben und dabei so gerne  „Parker spielen”, für zwei, drei Wochen in den Rebberg schicken, zur Weinlese. Nicht für Akkordarbeiten, nein, zum stundenlangen, geduldigen, sorgfältigen Lesen. Für eine Winzer-Arbeit mit Augenmaß, für die erste Voraussetzung für einen guten, ja sehr guten Wein.

Gross und Klein mit Kisten auf dem Weg zum Rebberg

Dann aber würde ich auch den verantwortlichen Winzer zum strengsten Kaiser der Welt-Geschichte machen, der seine Kontrolleure unablässig durch die Reihen der Reben jagt, damit sie überwachen, was da alles in die Körbe oder Kisten wandert. Keine stiellahmen Trauben, dafür auch die Beeren mit „Sonnenbrand”, keine Essigbeeren, keine Gelbsüchtigen, keine …… Ja, was wäre noch alles zu beachten?

Heute haben wir zum Beispiel den Verlockungen der vielen  „Wintertroler” - eigentlich Vogelfutter, Beeren aus Seitenzweigen - standhaft widerstanden: all die schönen vollen „roten” Trauben hängen gelassen. Trauben, die so verlockend prall und gar nicht rot aussehen, aber eben sauer sind, unreif und gar nicht gut schmecken. Gestern waren es fade weisse Sauvignon, die das Mostgewicht so drastisch drückten. Und vorgestern waren es die Wespen, die so viele Beeren angestochen haben, dass es jetzt fast im ganzen Rebberg stark nach Essig riecht. Sie alle, die nicht ganz „gesund” sind, müssen weg - da gibt es kein Erbarmen.

„Wintertrole” kommen nicht ins Lesegut. Sie dienen noch als Tischschmuck

Ja, wenn ich „Kaiser von China” wäre, dann würde ich Beere für Beere exakt verlesen lassen, würde die strengste Kontrolle einführen, die besten Fachleute engagieren, die Ernteschar ausbilden, bis sie alle Abarten, Krankheiten, Verstümmelungen, Wildwüchse spielend erkennen und richtig beurteilen kann.

Gott sei Dank bin ich nicht „Kaiser von China” sondern ein Weinliebhaber, der zwar ein paar Weine „blindverkostet” richtig benennen kann, der ab und zu über gute und weniger gute Weine zu schreiben weiss, der sich zum x-ten Mal in den berühmtesten Weinkellern erklären lässt (in zwei Wochen fahre ich wieder einmal nach Bordeaux!), wie aus Trauben Wein werden kann, der mit all den Stadien und unterschiedlichen Methoden der Weingewinnung vertraut ist, der die Begriffe der Weinbereitung kennt, von der Traubenmühle bis zur malolaktischen Gärung, vom Schönen bis zum Ausbau in Barriques.

Trotzdem - oder gerade deswegen - stehe ich jedes Jahr im Spätherbst mitten in den Reben, nehme Traube um Traube in die Hand, schaue die Blätter genau an, beobachte interessiert die Erziehung der Ranken und Triebe und weiss trotzdem nur in den allerseltensten Fällen, um welche Traubensorte genau es sich gerade handelt und schon gar nicht um welchen Klon, welche Abart. Da brauch ich plötzlich den Winzer, der mich aber meist nur mitleidig anschaut: „Du bekennender Weintrinker, was weist Du schon!”  All das, was in Büchern so klar beschrieben und eigentlich einfach zu merken ist, sieht in der Natur ganz anders aus. Und ich staune und staune, was der Winzer - meist bei bester Laune - über die Reben und seine Arbeit im Rebberg zu erzählen weiss: das eine Mal habe er zuwenig herausgeschnitten, das andere Mal leicht zu viel, das eine Mal richtig entlaubt, das andere Mal zuwenig….

Sorgfältige Lese begleitet vom Spiel: Wenn ich Kaiser von China wäre!

Und dann das allerwichtigste: der richtige Zeitpunkt für die Lese. Die Bündner-Herrschaft ist - für Schweizer Verhältnisse - ein grosses Rebgebiet, insgesamt etwa 250 Hektar, fast ausschliesslich von  „Kleinbetrieben” bewirtschaftet. Hobbywinzer und Professionelle, ambitionierte und eher gleichgültige. Der Winzer, bei dem ich mich Jahr für Jahr verdinge - der Lohn besteht aus vollen Flaschen - bewirtschaftet etwa 6 Hektar. Deren Trauben müssen im exakt richtigen Augenblick in den Cave.

Heute, als wir - nach dem Wochenende - schon am Morgen im tautriefenden Weinberg standen, die Hände klamm wurden, die Füsse langsam nass und die wärmende Sonne einfach nicht hervorgucken wollte, da wusste ich nicht mehr, ob dies so richtig, ob dies wirklich der „richtige” Zeitpunkt für die Ernte ist. Doch der Winzer ist überzeugt, dass in der Herrschaft die Trauben so lang wie möglich dem warmen Föhn (Bergwind) auszusetzen sind. Und wir, die „Wimmler”, sehen dies erst ein, wenn dann in einem Jahr  zwei Weine zum Vergleich anstehen: ein spätgeernteter und einen eher früh gelesener.

Doch, wenn ich „Kaiser von China” wäre, würde ich nur schönes Wetter für die drei Wochen Weinlese „machen”. Aber - das kann nicht einmal der „Kaiser von China” befehlen. Weil unser Winzer noch dazu weit unter dem „Kaiser von China” steht, stehen wir jetzt - fast als letzte - im Rebberg bei der Lese. Eine muntere Schar eher älterer Damen und Herren. An unserem Mittagstisch errechneten wir heute ein Durchschnittsalter von 69 Jahren. Und noch ein Stück Statistik: bis jetzt haben wir insgesamt rund 250 Frau-Mann-Stunden Erntearbeit geleistet, oder, etwas anschaulicher, eine einzige Person bräuchte ein ganzes Jahr, um die Trauben für einen einzigen Winzer zu lesen.

Eine Gruppe von „Wimmlern” - Durchschnittsalter 68 Jahre

Als „Kaiser von China” muss ich das und noch viel mehr gar nicht wissen, da muss ich nur hart befehlen, all das Wissen und Können der Wein-Welt in mein Reich bringen, alles bis ins Kleinste überwachen, nur die besten Leute engagieren….

Weil ich aber nicht „Kaiser von China” bin, sondern ein Weinliebhaber, der schon morgen wieder seine Nase kritisch ins Glas steckt, der Parker-Notizen und -Punkte genüsslich zitiert, der stolz ist auf seine Geschmacksnerven und seine Genusserfahrung, der von sich behauptet, einiges vom Wein und der Weingewinnung zu verstehen, muss ich noch viel, viel lernen. Im Augenblick im Rebberg. Ein andermal im Keller, beim Keltern, später beim Ausbau… schliesslich vielleicht sogar bei der Vermarktung. Ich muss nicht nur Seminare besuchen, gescheite Bücher lesen (zum Beispiel Hugh Johnson/James Halliday: „Wie ein Wein entsteht”), sondern hautnah dabei sein, selber Hand anlegen, mitverantwortlich sein für die Qualität des Weins.

Darum: „Wenn ich Kaiser von China” wäre, würde ich alle Weinliebhaber und schon gar die -kritiker mindestens ein Jahr lang in den Rebbergen und im Keller antreten lassen, zur mitverantwortlichen Arbeit. Gar viele meiner Weinfreunde sind jetzt heilfroh, dass ich nicht „Kaiser von China” bin, sondern dass dies nur ein längst vergessenes Spiel aus der unbeschwerten Kinderzeit ist.

Herzlich
Peter (Züllig), Kaisers „ergebener” Untertan

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