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Die Natur verabschiedet sich allmählich in den Winter, und noch immer hängen viele Trauben an den Reben, zumindest dort, wo ich Jahr für Jahr dabei bin, beim „Wimmle“ (so nennt man in der Bündner Herrschaft die Wümmet=Weinlese) in der Ostschweiz. Warten auf die physiologische Reife der Trauben, warten auf genügend Grad Öchsle, warten auf anstrengende Tage im Rebberg. Der Wetterbericht meldet: „Schnee bis in die Niederungen. Nullgradgrenze bis auf 600 Meter sinkend“. Da wird mir bange. Bringen wir auch dieses Jahr die Ernte rechtzeitig in den Keller, um daraus guten Wein werden zu lassen?

Schnee bis in die Niederungen.

Gottseidank bin ich nicht Winzer. Die Verantwortung trägt er, die Entscheidungen trifft er. Das Produkt muss ihm Einkommen und natürlich auch Freude bereiten. Ich bin nur ein Helfer, der mit rund dreißig anderen Helferinnen und Helfern im Oktober in die Rebberge zieht, um Traube für Traube – nach gründlicher Prüfung – in ein Kistchen zu legen. Irgendwie gehören dann die Beeren - für einen kurzen Moment – auch mir, und ich glaube, schon den funkelnden Wein zu sehen, ihn am Gaumen zu spüren, einen unendlich langen Abgang zu genießen. Dieses Jahr muss ich warten, warten, warten wie so viele andere auch, die jetzt noch im Weinberg arbeiten.

„Tardive“ – spät oder verspätet ist zu lesen; „tardive“ höre ich in Winzerkreisen, nicht nur in der Schweiz, auch in vielen Gegenden Frankreichs. Doch die Bündner Herrschaft trifft es besonders hart. Die Bündner Herrschaft? Es sind vier Gemeinden, alles Weindörfer, die diese historische Bezeichnung tragen: Jenins Malans, Fläsch und Maienfeld, 635, 530, 528 und 504 Meter über Meer.

Jenins% die höchstgelegene Gemeinde in der Bündner Herrschaft.

Da, fast schon an der spätherbstlichen Schneegrenze, hüten viele Reben noch ihren Ertrag, sie warten auf die Lese. Eine klimatische Besonderheit begünstigt dieses ganz spezielle Weingebiet der Schweiz: der Föhn. Ein warmer, trockener Fallwind, der vor allem im Alpenraum das Klima mitbestimmt. Etwa 400 Hektar Reben in der Bündner Herrschaft profitieren vor allem im Spätherbst vom warmen Südwind, der die vom kalten Nordwind geschützten Hänge oft tagelang bestreicht. Der Winzer spricht dann vom Föhn, der die Trauben „kochen“ lässt. Nebst den kalkreichen Schieferböden und der Südlage ist es vor allem dieser Föhn, welcher das Weingebiet am oberen Rheinlauf zum „Burgund der Schweiz“ macht. Hier führt der Blauburgunder das Zepter, der Pinot Noir, meist ausgebaut als kräftiger Barriquewein, oft dunkler, filigraner, fruchtiger, aber auch eleganter als die meisten Blauburgunder der Schweiz.

Föhnstimmung. Es kochen Himmel und Trauben.

Doch dies alles kann man nachschlagen, auch in der Touristenwerbung des Kantons Graubünden, und es steht in fast jeder Publikation zum Schweizer Wein. Es ist etwas anderes, was mich – meist für zwei, drei Wochen – immer wieder in die Rebberge der Bündner Herrschaft lockt: Reben in der Natur. Das Rebgebiet ist zu klein, um als Monokultur wahrgenommen zu werden. Es sind kleine Parzellen, die sich da aneinander schmiegen, ja sich ineinander verzahnen. Und jede Parzelle gehört einem andern Winzer, es sind rund 370 Rebbauern, der kleinste Betrieb bewirtschaftet gerade mal 140 Quadratmeter. In diesem Patchwork von Reben und Rebflächen offenbart sich – wie kaum sonst in einem Weingebiet – die Individualität der Winzer und des Weinbaus in der Schweiz. Die einen lesen früh, die andern spät, vielleicht der eine oder andere sogar zu spät.

Pinzettenarbeit% aufwändige Handarbeit.

Die einen schützen ihre Reben mit Netzen, andere gönnen den Vögeln doch kleine Leckerbissen; die einen reduzieren den Ertrag immer wieder, andere suchen mit allen möglichen „Hausmittelchen“ den Ertrag zu erhöhen. Was mich am meisten fasziniert, das ist ein Nebeneinander von Rebsorten, von Pflanzdichte, von Stockalter, von Methoden der Bewirtschaftung. Hier führt der spätere Wein noch ein sehr, sehr individuelles Leben. „Mein“ Winzer pflegt der letzte zu sein, der die Trauben holt. Er vertraut dem „Traubenkocher Föhn“ weit mehr als aller Chemie und allen Düngemitteln; er setzt auf eine sorgfältige Handlese, dieses Mal fast schon eine Pinzettenarbeit, und er nutzt auf seinen gut 6 Hektar die Sortenvielfalt, um ganz verschiedene Weine auszubauen. Auch wenn der Pinot dominiert, so reicht die Palette vom Blauburgunder aus verschiedenen Lagen über den eigenwilligen Schiller bis zur Malansertraube, dem raren Completer.

Des Winzers Dank. Ein Glas von der Lese des letzten Jahres zum Aperitiv.

Nur zwei Tage sind wir letzte Woche erstmals in diesem Jahr im Weinberg gestanden. Dann ist der Föhn „zusammengebrochen“, Regen ist aufgekommen, Kälte hat sich eingenistet. Der Winzer mailt seinen Helfern: „Ach was soll ich sagen, tun mich doch arge Sorgen plagen. Ich armer kleiner Wicht, kenn die Wetterplanung nicht!“ Und so warten wir, Schere in der Tasche, auf den nächsten Einsatz. Irgendwann ist der Föhn wieder da – es sind kleinräumige Wetterlagen, die hier dominieren – und wir bewegen uns wieder tagelang zwischen den bunten Herbstblättern der Reben. Nach drei vier Stunden gebückter Arbeit setzen wir uns in freier Natur an den Mittagstisch, begleitet vom Wein, den wir hier vor ein, zwei Jahren geerntet haben. Am Horizont die weißen Berge, vor uns die herbstfarbenen Blätter und über uns die so typischen Föhnwolken.

 

Föhnstimmung über dem Rheintal. Allerheiligen.

„Siehst Du den Heiligenschein am Himmel“, fragt mein Tischnachbar. Dem bündnerisch-evangelischen Kantonsteil zum Trotz: der Himmel ist heute katholisch. Er verkündet „Allerheiligen“ (1. November) und lässt die „armen Seelen“ (2. Novermber) nicht allein. Auch uns im Rebberg nicht. Der Föhn wird es schaffen, die Öchsle nochmals in die Höhe treiben, auch wenn die Wetterfee zum X-ten Mal verkündet: „Schnee bis in die Niederungen“.

Herzlich

Ihr/Euer

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