wein.plus
ACHTUNG
Sie nutzen einen veralteten Browser und einige Bereiche arbeiten nicht wie erwartet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser.

Anmelden Mitglied werden

Nach gut zehn Flugstunden, eingepfercht in der Economieclass der Boeing 747,  sind sieben von über 300 Fluggästen glücklich, endlich  in Beijing oder eben in Peking zu sein: „Wine Tasting Trip” to China.

 

 

Offizieller Empfang in Changli% der wichtigsten Weinprovinz in China


Sieben weinbegeisterte Schweizer wollen es also  genau wissen: ”Wie schmeckt chinesischer Wein?” Und: „Wird er wirklich aus Trauben gemacht?”. Um es vorweg zu nehmen: Wein wird auch hier aus Trauben gemacht, vorwiegend aus Cabernet Sauvignon, Merlot, Cabernet Franc, Shiraz für die Roten, Chardonnay und etwas Riesling für die Weißen. Und, um auch dies vorweg zu nehmen: es werden auch gute Weine gemacht; Weine, die sich durchaus mit europäischen Weinen messen lassen. Jetzt aber sitzen wir im Business-Hotel von Changli - wohl der wichtigsten Weinregion Chinas - zusammen mit Vertretern der Regierung. Welche Ehre! Zum Essen wird ein „Great Wall”, Cabernet Sauvignon, 1999 serviert, für einen Weinliebhaber wie mich: in homöopathischen Dosen. Dafür gibt es vorher Gaoliang, den traditionellen chinesischen Kornschnaps - 38 Prozent - und alle meine Rezeptoren werden flugs lahmgelegt. Gottseidank: es ist bereits der fünfte Tag unserer China-Weinreise. Ich habe mich schon an einiges gewöhnt. Zum Beispiel an das Geschmacksbild der Weine: starke Anlehnung an die Franzosen, eher robust als filigran, nicht allzu kräftig, doch klar strukturiert, in der Nase fast immer zuerst ein leicht laktischer Ton, Joghurt -Aroma - in schlimmeren Fällen Sauerkraut. Doch das gibt sich rasch. In den guten Fällen verfliegt dieser erste Eindruck, oder er wird vom massiven Holz übertönt. Im Gaumen entwickelt sich  gar mancher Wein aber äußerst vorteilhaft: ausdrucksfreudig, mehr oder weniger reintönig, nicht schmeichelhaft, doch aromatisch, ja sogar charaktervoll.

 

 

 

 

Imposanter Weinkeller: Barrique-Lager im Lafite-Stil


Es ist nicht ganz einfach, all dies - und noch viel mehr - festzustellen: die Gläser sind sehr klein, selbst auf den besten Weingütern sind kaum Degustationsgläser anzutreffen, das eingeschenkte Volumen ist noch wesentlich kleiner als die Gläser. Das genügt nicht, um einen Wein präzis zu erschnüffeln, schon gar nicht, ihn mehrmals im Gaumen zirkulieren zu lassen. Zwei Versuche - und weg ist er, spucken lohnt sich kaum. Dabei ist nicht Geiz die Triebfeder für den moderaten Weingenuss. Es ist einfach eine andere Tradition im Umgang mit Wein.

 

 

 

 

Languedoc in China

Dies musste ich schon am ersten Abend erfahren. In der Hotelbar bestellte ich ein Glas Wein - nachdem mich auf dem Präsentiertisch in der Hotelhalle schon fast heimatliche Gefühle überwältigt haben: Da stand eine Flasche Rotwein, Château „Lafleur - Gloria” aus dem Languedoc. Doch um solche „Kostbarkeiten” ging es mir nicht: nein, ich versuchte den ersten chinesischen Rotwein zu trinken. Nach größeren Verständigungsschwierigkeiten landete - nach längerer Zeit - ein Whiskey-Glas vor mir auf dem Tisch, garniert mit knapp zwei fingerbreit Rotwein. Ich starrte das Glas an und war fassungs-, noch mehr aber sprachlos. Meine beiden Begleiterinnen - Schweizer Weinfreaks wie ich - erbarmten sich meiner und starteten eine Intervention: mehr Wein! Nach längerem, freundlichem, charmantem Hin und Her wurden es schließlich Drei-Finger-Breiten. Als mir dies immer noch nicht genügte, da begann man hinter der Theke zu konferieren, debattieren, telefonieren. Vom Restaurant im ersten Stock kam schließlich ein Jungkellner, der ebenso wenig Bescheid wusste. Doch sie schafften es, dass am Schluss ein Weinglas voller chinesischem Wein vor mir stand. Der Wein war gut, der Abend gerettet. Mit einem zweiten Glas versuchte ich es gar nicht mehr.

Allmählich begreife ich: In China ist vieles anders - bei weitem nicht schlechter - aber eben anders: chinesisch. Gottseidank gehört dies schon zu meinem Erfahrungsschatz beim Empfang von Qi Youchang, dem Direktor des „Wine Bureau Of Changli County” und der Vertretung der Behörden von Changli (sogar in Person des Vize-Bürgermeisters). In dieser heiklen Situation - nachdem ich vor lauter Aufregung vorher eine Tasse Tee verschüttet habe - werde ich zum ersten Mal zu meinem sensorischen Eindruck befragt. Ich stammle etwas wie: „fresh, mineral and plum flavors followed by a nice finish”. Liegt es an meiner schlechten englischen Aussprache oder am unterschiedlichen Vokabular: Jedenfalls wird mein sorgfältig ausbalancierter erster Eindruck höflich lächelnd quittiert, dann geht es sofort zu Zahlen und Erfolgsmeldungen einer aufstrebenden, stolzen Weinregion. Seit 1996 nur rasant steigende Produktion.

 

 

 

 

Stolze Weinstatistik


Auf dem Rundgang durch die Winery erfahren wir mehr:  die Zunahme im größten staatlichen Weinbetrieb exponentiell steigend: 4'983 - 5’993 - 7'261 - 8'352 im Jahr 2000. Dann aber sogar: 15'314 - 19'630 - 25'127 - 33'014 - 35'383 - 45'644 im vergangenen Jahr. Doch, was sind das für Zahlen? Sind es: Tonnen, Hektoliter, Hektaren oder gar ein mir unbekanntes chinesisches Maß? Die äußerst charmante Hostess mit ihrem radebrechenden Englisch beharrt auf Tonnen. Also rechne ich im Kopf: spezifisches Gewicht von Wein mal Liter geteilt durch Flaschengröße gibt: 61 Millionen Flaschen pro Jahr. Da wird mir schon fast schwindlig. Ich kann mich erst beim Gedanken beruhigen, dass China etwa 1,3 Milliarden Einwohner hat, von denen jetzt noch jeder durchschnittlich nur 0,3 Liter Wein pro Jahr trinkt. Wieviel mehr Wein braucht es, wenn es bald einmal 0,4 Liter oder gar einen halben Liter sein werden?

Ein letzter Rechnungsversuch: wenn es einmal ein ganzer Liter sein wird, dann braucht es - umgerechnet auf diese eine Prodiktionsstätte - rasch einmal 200 Millionen Flaschen pro Jahr. Dies sind schon fast quälende Größen. Die Hostess vom Weingut drängt uns - zum Glück - weiter, hinein in den Keller. Lange Gänge, repräsentative Nischen mit Information und Eigendarstellung, vorbei an der aus weißem Stein gehauenen Büste von Mao, mit Unterschriften versehenen leeren Barriques, hinein in den großartigen Keller, wo Tausende von Barriques lagern. Rund, eine Kopie des berühmten Lafite-Kellers in Bordeaux, nur um ein Mehrfaches größer. All meine Fragen: Erstbelegung, Assemblage, Schönung, Herkunft der Eiche, Lagerdauer und, und, und ... werden nicht beantwortet. Nicht weil man keine Auskunft geben will, sondern sie schlicht nicht geben kann; weil es die überforderte, aber immer nett lächelnde Begleiterin nicht weiß oder die Frage nicht versteht.

 

 

 

 

Auf zur fröhlichen Degustation


Was tut’s? Wir sind zum Probieren nach China gekommen. Die Zahlen und Fakten zum chinesischen Wein kann ich später ja nachlesen. Wir landen schließlich in einem Degustierraum. Etwas düster, aber - wie alles - repräsentativ. Dunkle, gebogene Holztische, kleine Repräsentationsgläser und ein paar Schlückchen roten Cabernet, Jahrgang 1994. Ich sträube mich zu rechnen: kann das sein? Später entdecke ich das bescheidene Wörtchen „since” auf der Etikette, etwa so, wie wenn bei einem klassifizierten Château in Bordeaux steht: seit 1855.

Als wir noch eine weitere Flasche probieren wollten, einen andern Wein oder einen andern Jahrgang, wurden wir auf den Verkaufsshop verwiesen: dort gebe es noch andere Weine, hier nur diesen 1994er. Wir haben dann eine Flasche im Shop gekauft, den besten, zum doch (für China) schon stolzen Preis um 40 Euro.

Wenn nun all dies etwas negativ tönt, dann ist dies nur die eine Seite meiner chinesischen Erfahrungen. Es gibt durchaus noch andere, gute, erstaunliche. Davon werde ich später erzählen, wenn wir (fast) die ganze Palette der chinesischen Weine verkostet haben und der exotische Weintrip noch mehr Erfahrungen gebracht hat. Vorläufig kommt mir alles noch sehr chinesisch vor.


Herzlich
Ihr/Euer
Peter (Züllig)

 

 

Mehr verwandte Stories

Alle anzeigen
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr

Veranstaltungen in Ihrer Nähe

PREMIUM PARTNER