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Sogar Superdiscounter Aldi hat es erkannt: „Wein ist Genuss- und Lebensmittel, Alltags- und Luxusgetränk. Wein ist so unterschiedlich wie die Menschen, die ihn machen, wie die Böden, auf denen er wächst, und wie die Rebsorten, aus denen er produziert wird...“ Eigentlich keine neue Erkenntnis – nur ein Werbespruch? Oder doch mehr? Weintrinkerinnen und Weintrinker haben eine Erfahrung längst gemacht: „Jeder Wein ist individuell und hat seinen eigenen Charakter.“ (Aldi-Zitat) Und jeder „wahre“ Weinliebhaber schwört auf bestimmte Anbaugebiete, Länder, Rebsorten, Winzer... Da gibt es Fraktionen: die Syrah-Liebhaber, die Pinot-Noiristen, die Bordeauxaner, die Vernarrten in Riesling, die Südafrikaner, Kalifornier, Barossaner und, und, und...

 

Weine aus aller Welt präsentieren sich auf der ProWein in Düsseldorf (Foto: P. Züllig)

Eigentlich brauchen wir dieses Fraktionsdenken nicht. Ein Wein ist gut – oder eben nicht. Da aber beginnt das eigentliche Problem: Wer entscheidet, was gut ist und was schlecht? Wie muss ein Wein sein, damit er gut sein darf? Welche Kriterien muss er erfüllen, damit er ein Gütesiegel erhält und seinen Preis rechtfertigen kann? Gütesiegel (sprich: Benotungspunkte) von wem? Von Parker, von Hofschuster, von Gabriel, von Johnson... Und dann ist da noch der Preis, meist als Indiz für Qualität gedeutet. Funktioniert das wirklich? Ich habe schon billige Weine getrunken, die weit besser waren als so manche teure Flasche. Besser? Für wen? Für mich, für meinen Nachbarn, für die Weinwelt? Ich gerate ins Grübeln.

Da hilft mir – für einmal – ein Posting (das ist Neudeutsch und bedeutet so viel wie Beitrag) im Forum von Wein-Plus. Barbara beklagt sich: „Ich kann hier leider keine Länder finden, die außerhalb von Europa sind. Schade eigentlich. Ich vermisse Australien, Neuseeland, Amerika (Nord und Süd) und nicht zuletzt Afrika (Nord und Süd)...“ Vermisse ich diese – und noch viele andere Länder – wirklich? Es gibt sie, all diese Länder, sie existieren, in Form von Wein, der überall zu kaufen ist, sogar bei Aldi. Es gibt sie aber nicht als Verkostungsnotizen und Benotungen bei Wein-Plus. Ein Manko? Mein Grübeln geht weiter: Ist das so wichtig? Haben Weintrinker und Weintrinkerinnen nicht den wichtigsten Trumpf in den Händen: die persönliche Erfahrung, das eigene – zugegeben subjektive – Urteil?

 

Weinfreunde bei der Arbeit – Degustationsrunde von Laien (Foto: P. Züllig)

Eine Frage sei mir erlaubt: Wie eng (oder weit) ist unser „Weinhorizont“? Oder anders ausgedrückt: Brauchen wir unbedingt Beschreibungen, Wertungen, Empfehlungen, Meinungen der professionellen Weinkritik, um in ein Weingebiet, zu einer Rebsorte oder in ferne Weinländer vorzustoßen? Liegt es nicht viel mehr an uns, immer wieder Neues, Anderes, Besseres, Noch-Besseres zu entdecken? Brauchen wir die Bestätigung, quasi den Güteschein, um Weine gut – von mir aus sogar „lecker“ – finden zu können? Braucht es Urteile – ex cathedra – um über Weinerlebnisse nachzudenken, um zu urteilen und vielleicht sogar darüber zu reden oder schreiben?

Noch nie war der Zugang zur weiten Weinwelt so einfach wie heute, noch nie waren die Informationen so üppig. Wein-Blogs und Foren gibt es in Hülle und Fülle. Es gibt virtuelle und reale Orte, wo sich Weinfreunde und -freundinnen aller Fraktionen treffen; wo Wissen, Erfahrungen (und auch Glauben) ausgetauscht werden; wo Wein und Weingebiete zu „erobern“ sind. Das Forum von Wein-Plus ist nur einer dieser Orte. Da hat man vor Jahren noch tüchtig diskutiert – ja, gestritten – ob nun dieser oder jener Wein gut oder sogar besser sei; ob der Riesling die Krönung aller Weine verkörpert, oder doch eher der Bordeaux, die Rhône-Weine, die Kalifornier oder gar die Australier. Eine Beschränkung – wie im Weinführer – gibt es nicht. Sogar chinesische oder dänische Weine sind da zugelassen. Doch es ist seltsam ruhig geworden, nicht nur im Forum von Wein-Plus, auch vielen anderen Blogs und Foren.

 

Eine Auswahl von dem% was Rang und Namen hat% hier aus dem Bordelais (Foto: P. Züllig)

Hat man sich daran gewöhnt, in Punkten und Worten vorgesetzt zu bekommen, was gut und weniger gut ist? Was man trinken soll oder trinken muss, um dabei zu sein im erlauchten Kreis der Weintrinker und -liebhaber? Sind nicht das persönliche Urteil, die eigene Erfahrung, die individuelle Meinung genau so wichtig – ich wage zu sagen, noch wichtiger – als die professionelle Beurteilung, das Messen an bestimmten – nicht immer so ganz präzise definierten – Kriterien? Ich befürchte – und vieles deutet darauf hin –, Weintrinken ist weitgehend standardisiert und professionalisiert worden. Selbst in Foren und Blogs haben sich Normen vor die Erfahrungen gestellt. Öffentlich zu widersprechen wagt der „gewöhnliche“ Weinkonsument schon lange nicht mehr. Zu schnell werden ihm (oder ihr) Parker und Co. um die Ohren gehauen. Der Müller-Thurgau ist eben ein einfacher Massenwein, der Chasselas ist dem Riesling weit unterlegen, den Pinotage braucht die Welt nicht, interdisziplinäre Sorten sind etwas für Biofreaks und autochthone Reben der Stolz fast jeder Region. So ist es, so hat es zu sein. Dann treten noch all die Schnäppchen auf den Plan, die Geheimtipps, die von überall her in die Welt hinaus posaunt werden, streng vertraulich, selbstverständlich.

 

In keinem Weinbuch erwähnt – ein Winzer aus Namibia (Foto: P. Züllig)

Wenn Barbara mit ihrer „Vermisstenliste“ recht hat, dann sind nicht die Verkoster bei Wein-Plus dafür verantwortlich. Ihr „Arbeitsgebiet“ ist Europa und auch da nur eine Auswahl. Das „Arbeitsgebiet“ der Weinliebhaber ist viel größer, es ist die große, weite Weinwelt, von „Australien, Neuseeland, Amerika (Nord und Süd) und nicht zuletzt Afrika (Nord und Süd)“, wie Barbara postuliert und hinzufügt: „Wir sind doch auch Wein-Plus-Mitglieder und es gibt guten Wein in diesen Ländern. Das wäre eine Bereicherung und fair.“

Warum bereichern wir die Weinwelt nicht selber? Warum schreiben wir nicht – ohne jegliche Gebietseinschränkungen – über Weine, die wir kennen, getrunken und kennengelernt haben? Warum ergänzen wir den Weinführer nicht mit dem, was wir zum Thema Wein zu sagen haben; welche Erfahrungen wir – nicht im Labor, sondern im Alltag – gemacht haben; wo wir glauben, noch „wirklich gute“ Weine finden zu können? Haben wir uns wirklich schon so daran gewöhnt, dass „Sachverständige“, sprich Profis, uns den Weg zeigen und die Qualität beglaubigen müssen?

 

Unbekanntes entdecken – Verkostungszone für Profis und Laien (Foto: P. Züllig)

Soeben – während ich dies denke und schreibe – klingelt es am Computer. Das „Zitat des Tages“ – von mir abonniert – ist eingetroffen. Es stammt von Charles de Gaulle, der heute Geburtstag hätte (den 112.): „Die Zehn Gebote Gottes sind deshalb so klar und verständlich, weil sie ohne Mitwirkung einer Sachverständigenkommission zustande gekommen sind.“ Vielleicht lässt sich das auf den Wein übertragen. Etwa so: „Mein Weinkonsum ist nur deshalb so genussvoll, weil er ohne Sachverständigenkommission zustande kommt.“

Herzlich

Ihr/Euer

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