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Hugo Loetscher: „Bacchus – Kunst für Weinfreunde% Wein für Kunstfreunde“ im NZZ Verlag (Foto: P. Züllig)

Wer ist dieser Bacchus? Ein Gott des Weines oder des Rausches? Eine Gestalt auf berühmten Gemälden von Leonardo da Vinci über Caravaggio und Rubens bis zu Picasso und Gilbert&George? Oder ist Bacchus gar nicht Bacchus, sondern Dionysos, zwar der gleiche Gott, aber nicht betrunken, vielmehr staatsmännisch-würdig wie er im British Museum steht? Der Schweizer Schriftsteller Hugo Loetscher hat sich – zusammen mit Verena und Mark Füllemann – dieser entscheidenden Frage genähert, schon vor neun Jahren, im längst vergriffenen Buch „Bacchus, Kunst für WeinfreundeWein für Kunstfreunde“.

Suche ich nun Wein oder Kunst? Bin ich Weinfreund oder Kunstfreund? So einfach ist es nicht. Dazu kommt, dass meine christliche Erziehung den Wein schon früh aus dem Umfeld von Bacchus gelöst und auf den Tisch des Abendmahls gestellt hat. Und dann aber die entscheidende Begegnung im Studium mit dem „Verlorenen Sohn“ von Rembrandt, der sein Vermögen in Weinstuben verprasst, in der rechten Hand das erhobene Glas, auf dem Schoß seine Frau, die strahlende Saskia. Meine Tochter heißt Saskia. Warum? Wegen der Kunst, wegen Rembrandt oder wegen des Weins? Fragen, die heute, vierzig Jahre später, nur schwer zu klären sind.

 

Rembrandt und Saskia im „Gleichnis vom verlorenen Sohn“% um 1635. Staatliche Kunstsammlung% Dresden (Foto: P. Züllig)

Jedenfalls hat mich die Kunst genauso geprägt wie der Wein. Irgendwie begleiten sie mich beide über Jahre auf der Suche nach dem Genuss. Ich erinnere mich noch gut – es ist mehr als zehn Jahre her –, wie wir hochgefahren sind zur Kreuzkapelle in Ediger-Eller an der Mosel, um das berühmte, ikonografisch wohl einzigartige Steinrelief „Christus in der Kelter“ zu bewundern. Die Darstellung hat mich fasziniert: Wie ist man nur auf den Gedanken gekommen, Christus mitsamt dem Kreuz in der Presse zu zerquetschen, damit daraus erlösender Wein quillt? Von dem fröhlichen Zecher mit der jungen Saskia, bekleidet mit kostbarem Gewand, bis zum nackten kreuztragenden Jesus, der in der Kelter gepresst wird, umschließt eine Aura des Mythischen die Kunst und den Wein.

 

„Christus in der Kelter“% Steinrelief aus dem 16. Jahrhundert in der Kreuzkapelle Ediger-Eller% Mosel (Foto: P. Züllig)

Im Bildband „Bacchus“ – im Hirmer Verlag und bei der Neuen Zürcher Zeitung 2004 erschienen – hat Hugo Loetscher die Frage gestellt: „Muss man nüchtern sein, wenn man über Wein schreibt?“ Der Autor hat die Frage nur gestellt, nicht aber im Buch beantwortet, und er kann sie auch nicht mehr beantworten, denn Hugo Loetscher ist in inzwischen gestorben. „Unvermeidlich, dass wir den Trinker antreffen, den einsamen wie den geselligen, den Genießer wie den Verkoster oder den Trunkenbold, all die, die sich zu Umtrunk, Gelage oder Symposium zusammenfinden, ob an der Bar, im Bad oder im Bordell, der Wein beim Essen auf dem Familientisch oder beim Picknick, die Weinflasche im Atelier oder in der Gartenwirtschaft, das lustige Glas wie das traurige.“ Bacchus oder eben Dionysos – der Jüngste in der griechischen Götterwelt – steht immer Pate.

 

Bacchus auf Château Mouton-Rothschild (Foto: P. Züllig)

Der verstaubte Bildband – er ist nur äußerlich verstaubt – mit den tiefschürfenden Essays des Schriftstellers und den herrlichen Bildern steht seit Jahren unbeachtet in meiner Bibliothek. Fast so, wie jene Flaschen in dem Regal im Kellers, das ich mit „Diverses“ bezeichne; wo eben alles so zusammenkommt, was ich von meinen Weinreisen mitnehme oder was mir gutmeinende Freunde gebracht haben: „Verkoste mal!“ Und es geht mit den Weinen oft wie mit dem Buch, sie werden bald einmal vergessen, sind verstaubt oder gar veraltet. Irgendwann – und sei es nur, weil kein Platz mehr ist – greift man ins Regal und... ist enttäuscht, überrascht oder gar beglückt. Bacchus mit seinem Gefolge ist – wenn man der Götterlehre glaubt – laut und lärmig und wird deshalb auch Bromios (der Lärmer) genannt. Insofern hat Bacchus, der Hund des Winzers, der uns stundenlang bellend im Weinberg bei der Lese begleitet hat, seinem Namen alle Ehre erwiesen. Nicht so „Bacchus“, das Buch, denn es hat sich versteckt hinter dem dicken „Parker“, der langen Hachette-Reihe und dem noblen „Oxford Weinlexikon“ mit Schuber.

 

Bacchus% der Hund des Winzers% begleitet uns all die Stunden und Tage bei der Lese (Foto: P. Züllig)

Es ist auch so typisch, dass Wissen, Beurteilung, harte Fakten all das verdecken, was Bilder, Poesie, Kunst und Kultur zum Thema Wein zu sagen haben. „Ob von der Sonne beschienen oder im Halbschatten gedeihend, ob als Ranke, ob am Pfahl oder sich über den Boden windend, die Traube wächst dem Himmel entgegen, einem Himmel voller Zeichen. Der Rebstock blieb nicht eine Pflanze unter anderen. Er wurde nach der indischen, rabbinischen wie der kirchenväterlichen Tradition zum ‘Baum des Lebens’ im Paradies.“ Vielleicht lohnt es sich doch, ab und zu der kulturhistorischen Bedeutung der Rebe und des Weins zu gedenken. „Ob Hohelied oder Psalm, ob Prophet oder Prediger, kein Altes Testament ohne die Kapitel, die der Traube vorbehalten sind, nicht nur den Rosinen, dem Traubenkuchen und dem Traubenhonig, sondern auch dem Wein und auch nicht ohne den Essig, der aus dem Wein verfertigt wurde.“

 

Weinkultur in Wort und Bild (Foto: P. Züllig)

Ich habe im wiedergefundenen Buch nicht nur geblättert, die Bilder angeschaut, die Überschriften erkundet, ich habe es wirklich gelesen, Essay für Essay, zum Beispiel: „Wie viele Oechsle Wahrheit?“, „Erziehen für die Kelter“ oder „Das himmlische Traubengut“. Gedanken und Geschichten, die tief verwurzelt sind in unserer Kultur. Jetzt kann ich mich gar nicht mehr entscheiden: Bin ich nun Weintrinker, der Kunst und Kultur genießt, oder Kunstfreund, der Sehnsucht hat nach einem Glas Wein (oder zwei) hat?

 

Herzlich
Ihr/Euer

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