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Geht man in Spitz in der Wachau in die entgegengesetzte Richtung, also weder nach Südwesten zu den paar verbliebenen Benediktinermönchen nach Melk noch donauabwärts und vorbei an den Weinbergen von Wösendorf, Weissenkirchen und Loiben, schlägt man also, vorbei an der radelnden und wandernden Masse, den dritten Weg ein, dann landet man im Spitzer Graben. Der Burgberg – besser bekannt als 1000-Eimer-Berg und Rieslingmonument am Ende der Wachau – und die sichelförmige Stafette vom Setzberg bis zur Singerriedel verstellen den Blick hinein in das Waldviertel und den Graben, und wer sich mit deren Imposanz zufriedengibt, dem entgehen einige der spektakulärsten Weingärten Österreichs, eine in ihrer Dichte beeindruckende, innovative und differenzierte Winzerszene und die Erkenntnis, dass die Wachau ganz sicher nicht hier, sondern erst weit hinter dem Burgberg ihr Ende nimmt.

Auf 200 Metern Höhe beginnt der Graben am Ortsausgang von Spitz, doch anders als die Donauwachau zieht er sich sukzessive hinauf, auf sieben Kilometer macht man satte 160 Höhenmeter bis nach Viessling und Elsarn, seinen letzten beiden Weinorten. Zur Linken stets begleitet vom Jauerling, dem 1000 Meter hohen Skiparadies der Flachländer und eminenten Klimafaktor der Graben-Winzer, zur Rechten, auf der Ostseite, von den wildesten Lagen der Wachau, dem Zornberg, dem Kalkofen, der Spitzer Biern und der Schön bis zur berühmtesten Lage, der Riede Bruck.

 

Foto: Dominik Portune% weinundtext

Kennt man den Graben, fällt einem gerade hier, am Ende des Endes der Wachau, immer wieder ein Mann auf, der bei Wind, Wetter, Sonne, Regen, Schnee und Hagel in den Terrassen herumwerkt. „Das ist der Vater", erzählt Josef Högl, der Winzer, der wohl am wesentlichsten zum Aufschwung des Grabens und zu seiner heutigen Reputation beigetragen hat. „Müsste er nicht gelegentlich essen und schlafen, würde er vermutlich gar nicht nach Hause kommen.“ 25.000 Rebstöcke stehen auf den Höglschen Terrassen, und „der Vater kennt sie alle. Mit manchen ist er aufgewachsen, auf der Bruck und der Schön haben wir 50 bis 60 Jahre alte Rebstöcke, dort lebt er tagsüber. Der Keller hat ihn eigentlich nie interessiert."

So lieferte der Vater lange nur Trauben an die Genossenschaften – wie alle anderen damals auch, abgefüllt wurde lediglich für den Eigenbedarf. Das änderte sich erst mit Josef Högls vollständigen Eintritt in den Betrieb, dem viele Lehr- und ein paar Wanderjahre vorausgingen. Gewandert ist er allerdings nur bis nach Weissenkirchen. Dort nahm ihn Franz Prager, Wachauer Weißweinpionier der ersten Stunde, unter die Fittiche. Zehn Jahre lang. Für den ersten Lohn kaufte er sich einen 1000-Liter-Tank, den er noch heute verwendet. Später wanderte er ein wenig weiter nach Oberloiben, wo er mit F.X. Pichler Weine für die Geschichte kelterte. Und dann, 1995, wieder zurück nach Viessling, auf das heimische Gut, in den Schlagschatten der Bruck und der Schön. „Insgesamt waren es drei bis vier Hektar, und die galt es mit aller Kraft und Konzentration zu bewirtschaften.“ Ein paar Hektar kamen später dazu und mit ihnen erstmals eine Auseinandersetzung mit den qualitativen Perspektiven des Grabens.

Der Spitzer Graben befindet sich an der Grenze des Möglichen. Klimatisch und topographisch. Nur durch ein paar Meter von der Donauwachau getrennt, ist hier doch vieles anders. Die Bedingungen sind härter, die Lesen später, die Terrassen steiler, auch Regen fällt öfter – und die Menschen sind zurückhaltender, verschlossener, oft ein Spiegel ihrer Weine. Hier wird wenig auf den ersten Blick klar, außer dass man es mit den Extremen des Weinbaus zu tun hat.

 

Foto: Dominik Portune% weinundtext

Steht man am Kamm der Bruck oder Schön, sieht man ihren Fuß nicht. Blickt man von unten hinauf, bewundert man staunend die unzähligen Trockensteinmauern, die den Berg halten. Die Humusauflage ist dünn, speziell in den höheren, windigeren Lagen, durch die immer wieder Schiefer glimmert. Diese Extreme prägen natürlich: den Winzer und den Wein. Und werden oft auch erst durch den Vergleich deutlich. „Wir haben auch ein paar Lagen drüben in Loiben, 20 Kilometer entfernt, wo wir Rieslinge angepflanzt haben, und anfangs wollte ich dort auch Eiswein machen“, erzählt Högl. „Also bin ich mitten im Winter drei Tage lang jeweils um vier Uhr früh aufgestanden, habe auf das Thermometer geschaut, minus neun Grad gelesen, mich ins Auto gesetzt, um dann in Loiben zu lesen. Dort hatte es dann minus vier Grad, zu warm für Eiswein, und ich bin, mit leeren und kalten Fingern, wieder zurückgefahren.“

Über die Unterschiede, die sich von Loiben bis in den hintersten Winkel des Grabens auftun, kann auch Peter Malberg ein Lied singen. Als Quereinsteiger im Graben besitzt er seit ein paar Jahren kleine Parzellen, die vom einen Ende der Wachau bis zum anderen reichen. Das eröffnet einen ganzheitlichen Blick und die Erkenntnis, dass man es auf wenigen Kilometern mit gänzlich unterschiedlichen Bedingungen zu tun haben kann. „Die Lagen muss man über Jahre kennenlernen“, meint er und fügt auch gleich hinzu, dass prinzipiell in den Wachauer Rieden immenses Qualitätspotenzial vorhanden ist. „Es ändert sich nur permanent durch Mensch und Wetter“ sowie durch die Tatsache, dass man ständig beobachtet und dazulernt.

Malberg hat schnell gelernt. Seine Palette an Weinen ist beeindruckend – selbst in einem heiklen Jahrgang wie dem letzten – und repräsentiert die Eigenständigkeit der unterschiedlichen Lagen. Einfach macht er es sich dabei nicht. Er arbeitet dezidiert biologisch (und nur deshalb nicht biodynamisch, weil er kein eigenes Vieh für die Düngung hat), setzt auf Kernreife statt Zuckerreife und unterminiert damit das klassische und kategorische Wachauer Konzept der Hierarchisierung über die Alkoholgradation. „Interessiert mich nicht“, meint er, „wichtiger ist mir der Zustand des Stilgerüsts, des Laubs, die Lockerheit der Beeren, ihr Geschmack.“ Andere Winzer im Graben sehen das ähnlich, doch niemand deklariert es so konsequent wie Peter Malberg. Der ehemalige Kellermeister vom Schloss Hardegg bildet mit seinen Ideen und Methoden die Avantgarde des Spitzer Grabens und bleibt dabei doch tief traditionell.

Er hört auf die Traube, genauso wie es vor Generationen die Mönche im Burgund getan haben, denen man nachsagt, sogar ihre Erde gekostet zu haben. Malberg ist nicht weit davon entfernt, und wenn er seine Hand in die mit Flughafer bedeckte Erde seiner Parzelle auf der Bruck steckt, dann zieht er zufrieden Fauna und Flora mit aus dem Boden. Kein Traktor fährt hier rein, und so verdichtet sich auch kein Boden. Der Garten lebt und die Weine tun es auch.

 

Foto: Dominik Portune% weinundtext

Die Weine, das sind Veltliner und Rieslinge von insgesamt sechs Lagen, und um ihnen gerecht zu werden, verfolgt Malberg akribisch (s)eine im Laufe der Jahre gewachsene Philosophie. Er vergärt spontan und stets ohne Botrytis, „um den Charakter und die Originalität des Weingartens wiederzugeben“, er liest erstaunlich früh, simuliert mit einer modernen Presse eine alte Baumpresse, quetscht extrem schonend und langsam und lässt die Moste ein wenig oxidieren, um danach für den Wein keine Schwefelung mehr zu brauchen. Zudem wird bei warmen Temperaturen vergoren. Das fördert zwar die Individualität jedes Jahrgangs, kann aber – da dadurch die primären Fruchtaromen verfliegen – anfangs auch Kopfzerbrechen bereiten. 2010 war das so: „Von Weihnachten bis Ende Januar habe ich die Weine nicht mehr probiert, ich war frustriert, nichts hat gepasst, keine Harmonie, kein Duft“, bekennt Malberg.

Das hat sich freilich seither geändert. Schon der GV Kreutles, den Malberg als seinen Saufwein tituliert, präsentiert sich präzise, klar, harmonisch und spielerisch leicht, der Veltliner von der Hochrain dicht, quasi burgundisch, mineralisch, lang und trotzdem extrem süffig, und auch die anderen Veltliner vom Weitenberg und Loibenberg sind ausbalanciert, würzig, druckvoll und saftig. Und das auch noch nach 14 Tagen. Peter Malberg setzt auf Nachhaltigkeit. Nicht nur im Weingarten, auch bei den Weinen. Und so kommt es, dass seine Rieslinge vom Buschenberg und der Bruck auch nach zwei Wochen noch ihre filigranen und feinen Aromen demonstrieren, ihre Balance wahren und zuweilen sogar noch besser offenbaren als im frisch geöffneten Stadium.

Ein paar hundert Meter grabeneinwärts und immer schön bergauf, in Laaben, knackt Johann Donabaum eine Flasche GV Federspiel Spitzer Point. Auch er reflektiert erst einmal den letzten Jahrgang und sieht ihn mit der typischen Pragmatik und dem stoischen Fatalismus der Grabenwinzer. Kalt war es lang, geregnet hat es viel, die Blüte kam spät, und Mengeneinbußen waren früh absehbar. Doch sind das Situationen, mit denen sich die Winzer fernab der Donau immer wieder herumzuschlagen haben, und vielleicht ist das auch der Grund, warum die Weine auf breiter Linie auch diesmal brillant ausfallen. Straffer sind sie, ein wenig strenger, aber auch mineralisch und lang – nie ausladend, vielmehr wie auf Schienen in Richtung Gaumen unterwegs. „Aufgrund der bescheidenen Befruchtung gab es das ganze Jahr über keinen Ärger mit Botrytis. Das wiederum ermöglichte Maischestandzeiten von bis zu einem Tag – die Weinsäure wird dadurch geringer, die Weine extraktreicher. Letztlich lagen wir beim Veltliner bei unter sechs Promille Säure“, und generell wirken die Weine perfekt strukturiert, glasklar, mit filigraner Frucht und extrem präzise.

 

Foto: Dominik Portune% weinundtext

Sich locker zurücklehnen und der Sonne zuschauen gehört ohnehin nicht in den Alltag der hiesigen Winzer. Irgendwas passiert immer. So auch 2009, als sich der freundlich dahinplätschernde Spitzer Bach in einen reißenden Strom verwandelte, die kleine Zufahrtsbrücke zum Weingut wegriss und den Donabaumschen Keller unter Wasser setzte.  Die Flaschen spülte es durch die Gegend, und zurück blieb ein riesiges Chaos unetikettierter Weine, die Donabaum als Flutweine an Stammkunden weitergab. Die wussten zwar nicht, was drinnen ist, allerdings jedoch, dass sie sich auf die Qualität ihres Winzers verlassen konnten. Das bestätigte dann auch im letzten Jahr der Decanter. Die vielleicht wichtigste Weinzeitschrift der Welt zeichnete anlässlich des alljährlichen Wettbewerbs und in langen Blindverkostungen den Riesling Smaragd vom Setzberg 2007 mit der Trophy und somit als besten Riesling der Veranstaltung aus.

Locker zurückgelehnt schaut Johann Donabaum in die Sonne und erzählt vom Graben. Von den Tag-Nacht-Unterschieden, die den Weinen einen kompakten, festen Körper verleihen, von der allgemein späten Lese, die oft erst 14 Tage später als draußen an der Donau und dann erst oft im November abgeschlossen ist, und von den unterschiedlichen Lagen und ihren Böden, dem Setzberg, der auf Kalk ruht, dem Geröll vom Spitzer Point und von den Schiefereinschlüssen am Offenberg (klar und frisch wie der Spitzer Bach, stahlig wie eine Messerklinge und eine Frucht, die ein paar Minuten am Gaumen hängenbleibt). Davon, dass das Klima und die Topographie hier schon immer den Ton vorgeben. Die besten Lagen, die Smaragdlagen, befinden sich demnach auch nicht ganz oben, sondern ähnlich wie im Burgund in der Mitte, bis zu einer Höhe von 350 Metern.

Und er schließt damit, dass hier, so unterschiedlich die individuellen Konzeptionen vieler Winzer sein mögen, letztlich doch oft am gleichen Strang gezogen werde. Gemeinsam mit seinem Freund Friedrich Rixinger hatte Donabaum die Idee, durch das Ausbringen von Pheromondispensern den ganzen Graben in eine schädlingsfreie Zone zu verwandeln. Ein Unterfangen, das, obwohl im Spitzer Graben eher wenig geredet wird, doch so überzeugend dargelegt wurde, dass seither das Ausbringen von Insektiziden der Vergangenheit angehört.

 

Foto: Dominik Portune% weinundtext

Auch der Kumpel, Friedrich Rixinger, ist kein Winzer großer Worte, doch die Weine, die er keltert, sprechen ohnehin für ihn. Und außerdem, darauf wies Josef Högl als wandelndes Beispiel schon hin, sind die Winzer hier ein bisschen wie ihre Weine – sie brauchen ein wenig, bis sie aufgehen. Ein paar hundert Meter weiter den Spitzer Graben hinauf also, in Gut am Steg, sieht man den Kalkofen, den Zornberg und die Spitzer Biern in den Himmel ragen, drei wilde, nur noch händisch zu bestellende Steillagen – und eine Schwalbe im Zimmer. Die kreist über die Verkostungsgläser und sieht von oben einen funkelnd klaren GV Federspiel vom Zornberg. Und während sie sich langsam genau dorthin aufschwingt, steigt aus dem Glas soviel Würze und Grapefruit, dass man es, ganz schlicht gesagt, mit einem paradigmatischen Veltliner zu tun hat – der potenzielle Traum eines jeden Weinviertlers.

Der Wein eröffnet dann auch gleich die Fragestunde, und Friedrich Rixinger gibt bereitwillig Auskunft über seine drei spektakulären Lagen. Der Zornberg, meint er, sei wie gemacht für Veltliner: die Böden sind, da sich seine Lagen auf einem zwei bis drei Hektar großen Plateau befinden, sandig und tiefgründig, erodierte Verwitterungsböden, die all das bieten, was ein Veltliner mag.

Der stand freilich nicht immer da. Der Spitzer Graben war bis vor nicht allzu langer Zeit Neuburger-Terrain. Bis zu 90 Prozent machte die Bepflanzungsdichte aus, und das hatte auch gute Gründe. Der Neuburger ist ein Tiefwurzler und holt sich selbst in den trockensten Jahren notwendiges Wasser aus der Tiefe. Als dann 1993 ein Bewässerungssystem bewilligt wurde, war auch gleichzeitig der sukzessive Umstieg zu Riesling und Veltliner besiegelt. In der Kalkofen jedoch stehen noch 50 Jahre alte Rebstöcke (neben einigen jungen, die er gegen den Trend neu ausgesetzt hat), aus denen Rixinger seinen Neuburger X macht, einen mineralischen, kühlen Wein, bei dem eine dezente Süße im Hintergrund und eine filigrane Frucht im Vordergrund stehen. Zudem jedoch gibt es von dort auch einen exzellenten Riesling, einen Terroirwein, mineralisch und fruchtpräzise, wie Rixinger meint, und fügt hinzu, dass man „nach 40 Zentimetern gleich mal auf Stein stößt und die Terrassen, die sich über 100 Höhenmeter hochziehen, oft nur 1,5 Meter breit sind.“ Der Spitzer Graben ist, soviel steht fest, ein Tal der Extreme.

„Die gilt es auszuloten“, meint Josef alias Graben Gritsch und lässt seinen Blick über die Rieden Schön und Bruck schweifen, ehe er hinter das Haus deutet. Dort, am Fuße des Jauerlings, hat er vor kurzem Gewürztraminer ausgepflanzt und „das hat bisher ganz sicher niemand gemacht." Warum? „Nun, dass sich das Klima langsam wandelt, das ist ein Fakt, den man, ist man hier aufgewachsen, einfach akzeptieren sollte. Tut man das, muss man auch reagieren.“

 

Foto: Dominik Portune% weinundtext

Der Blick von seiner Terrasse, im übrigen der vielleicht schönste im ganzen Graben, geht zurück auf die klassischen Rieden und bleibt, nachdenklich geworden, an den Trockensteinmauern hängen. Generationen von Winzern haben an ihnen gearbeitet, sie prägen das Landschaftsbild der Wachau entscheidend und machen Weinbau in diesen Steillagen erst möglich. „Ohne Mauern geht hier gar nichts“, erzählt Gritsch, „doch sind die zunehmend intensiveren Unwetter oft selbst für die beste Mauer zu heftig.“ 200 bis 300 Quadratmeter Mauerwerk pro Jahr repariert er, zwei Monate seiner Winzertätigkeit dienen der Erhaltung der Wachauer Kulturlandschaft. Früher wurde das gefördert, 60 Euro pro Quadratmeter ließ die EU springen, doch diese Zeiten sind vorbei, und das Landwirtschaftsministerium und die Tourismusbetriebe stellen sich taub. Lässt man der Natur jedoch ihren freien Lauf, verwildern die Terrassen in kurzer Zeit, Büsche und Stauden übernehmen, und mit ihnen kommen Vögel und Rehe. Schon Peter Malberg gab eine Terrasse auf, weil ihm die Rehe sämtliche Trauben weggefressen haben. „Würde ich einen Bauunternehmer beauftragen“, fährt Josef Gritsch fort, „würde das meinen Jahresumsatz sprengen." Also restauriert er weiterhin selbst. Doch überall im Graben sieht man auch verfallenes Mauerwerk, aufgegebene Terrassen meist von Nebenerwerbsbauern und Genossenschaftsmitgliedern, die, zunehmend älter, keine Lust und Kraft mehr haben, die Mauern immer wieder instand zu setzen und die Parzellen zu bewirtschaften.

Im Spitzer Graben gibt es die höchste Dichte an Genossenschaftsmitgliedern in der ganzen Wachau. Das fällt auch auf, wenn man an den Gärten entlanggeht. Schilder erzählen davon. Muskateller hier, Neuburger dort. Die meisten Trauben bilden das Rückgrat für die Terrassencuvees der Domäne Wachau, doch seit Weingutsleiter Roman Horvath und Kellermeister Heinz Frischengruber das Genossenschaftsruder übernommen haben, setzt man zunehmend auf die Vinifikation von Einzellagen. Horvath, einer von zwei österreichischen Masters of Wine, weiß um die Extravaganz des Grabens: „Wir kratzen, je weiter es nach hinten geht, wirklich an den Grenzen des Weinbaus. Die Böden sind karg und steinig. Der Wind pfeift durch und die Formung als Talkessel führt zu rascher Abkühlung. Letztlich sind es spezielle Mikroklimata in Hangmulden, die das Gedeihen der Reben ermöglichen.“ Zwei Weine sind es, die die Domäne Wachau im Spitzer Graben separat vinifiziert: einen ganz hinten, den Riesling Federspiel von der Bruck, klar, straff und kühl; und einen ganz vorne, den Traminer vom Setzberg, der vielleicht beste Traminer der ganzen Wachau, floral, dicht, aromatisch und kompakt. Eine seiner Ansicht nach unterschätzte Lage streicht Horvath noch heraus, den Trenning, die hinterste und höchste, freilich auch sonnigste Lage des Spitzer Grabens.

 

Foto: Dominik Portune% weinundtext

Den Trenning sieht man auch von Josef Gritschs Terrasse. Er hat dort keine Weingärten, doch teilt er Horvaths Ansicht und dehnt sie sogar gleich weiter aus. Im Spitzer Graben sei man noch lange nicht am Ende angelangt, und doch müsse jeder erst mal das bewältigen, was er zur Zeit bewirtschaftet. Gritsch tut das auf beeindruckende und eine für den Graben typische Weise. Mit möglichst viel Bio im Weingarten, botrytisfreien Trauben (er hat eine eigene Linie, in der er Trauben mit Edelfäule separat vinifiziert), die seiner Ansicht nach eine bessere und positive Reifung bewirken, mit warmen Gärtemperaturen und langen Maischestandzeiten, die sich dem Trend zu dropsartigen Weinen entgegenstemmen, vor allem jedoch mit einem Bekenntnis zum natürlichen Umfeld. Die Techniken sind konservativ und oft traditionell, doch führen sie auch zum erklärten Ziel, authentische und terroirbetonte Weine zu machen.

Das Wort Terroir fällt hier selten, obwohl es vielleicht nirgendwo in Österreich so gerechtfertigt ist wie im Graben. Vielleicht gerade deshalb. Es gibt im ganzen Graben keine Ebene, die Bedingungen, Boden wie Klima, prägen permanent und müssen nicht noch fortwährend den Stempel des Terroirs aufgedrückt bekommen. Es ist sowieso da und jedem bewusst. „Wir wissen, dass wir hier potenziell weniger Zucker haben als in Weissenkirchen, doch wissen wir auch damit umzugehen.“ Das Ziel ist generell Eleganz und Finesse, eine gotische Struktur, nicht, wie oft draußen an der Donau, Wucht und Üppigkeit, das barocke Pendant. Und diese gotische Struktur ergibt, trotz der allgemein hohen Säure, kleine Meisterwerke, vielschichtig und nuanciert, knackig, aber komplex.

 

Foto: Dominik Portune% weinundtext

Vielschichtig ist auch die Hauerjause der Frau Muthenthaler, Schichten voller Speck und Käse, Aufstrichen und Eingelegtem. Wenn man in Elsarn ankommt, dem letzten Weinbauort des Spitzer Grabens, braucht man diese kulinarischen Schichten schon mal. Und so innovativ die Weinszene auch sein mag, mit einem Blick, der sich weit über die Landesgrenzen richtet, auf die Exportmärkte in Skandinavien, den USA oder Japan sowie der österreichische Top-Gastronomie, so elementar ist auch die lokale Verwurzelung, der Heurige und seine soziale Komponente. Also gibt es auch im Weingut von Martin Muthenthaler, dem jüngsten Stern am Grabenhimmel, alle paar Monate prallgefüllte Teller und bei der Gelegenheit auch die Möglichkeit, seine vier Weine zu probieren. Ganze drei Hektar nennt der ehemalige Kraftfahrer der Domäne Wachau sein eigen, samt und sonders biologisch bewirtschaftet, allesamt in den Steilstlagen der Bruck und Schön beheimatet, und in der Brandstatt, der ultimativen Herausforderung an die Winzer, steil wie die Kitzbüheler Mausefalle. Peter Malberg hat dort mit der Restaurierung einiger Parzellen begonnen, und Muthenthaler würde es seinem Freund von der anderen Seite des Grabens gerne gleichtun. Doch weiß er auch um seine Kapazitäten. Drei Hektar dieser Extremlagen sind fürs erste alles, was er allein bewirtschaften kann. Doch bei keinem anderen Winzer stehen die Zeichen so sehr auf Aufbruch wie bei Muthenthaler. Also träumt er, und das ist natürlich immer legitim. Von ein paar zusätzlichen Terrassen, aber auch von wirklich wilden Weinen. Heute liegt er mit seinen subtilen, mineralischen, kompakten und feinziselierten Weinen schon im Trend der besten Grabenwinzer, doch schweben ihm noch ganz andere Dinge vor. Auf der Suche nach den ultimativen Weinen stolperte er über die maischevergorenen Rieslinge von Peter Jakob Kühn im Rheingau und die hypermazerierten Weißweine der friulanischen Karstwinzer. Seither geistern ähnliche Ideen durch Muthenthalers Kopf. „Einen Riesling auf der Maische durchvergären, das gab es noch nie in der Wachau. Doch irgendwann, wenn...“

Muthenthaler sprüht vor Enthusiasmus, weiß aber auch um die Schwierigkeiten, sich überhaupt erst mal zu etablieren. Im hintersten Winkel, dort, wo die Wachau ihr wirkliches Ende nimmt, hat man es diesbezüglich nicht einfach. Touristen verlieren sich nur selten hierher, und so muss er zur Zeit mit dem Attribut des Geheimtipps leben.

Das ist Josef Högl schon seit einigen Jahren los, spätestens seit er 1998 vom Falstaff zum Winzer des Jahres gekürt wurde. Und doch gilt es gerade in der Peripherie der Wachau immer wieder an Qualitäten und Innovationen zu arbeiten. Eiswein macht er keinen mehr, viele andere, immer wieder konsequent durchgezogenen Ideen jedoch fruchteten.

 

Foto: Dominik Portune% weinundtext

Die haben nur selten mit verbesserten Technologien zu tun, vielmehr mit genauen Beobachtungen des gegebenen Umfelds. „Im Spitzer Graben, das ist uns bewusst, sind die Bedingungen sensibler“, sagt Högl. Doch genau diese klimatische Gratwanderung macht die Weine auch eigenständig – straff und streng, präzise und mineralisch. Dafür sorgen auch die Böden. Weniger Gneis als in den Donauterrassen findet sich hier, vielmehr haben wir es mit Schiefer zu tun, das Fundament für Eleganz, sowohl beim Riesling als auch beim Veltliner.

„Die lange Beziehung zu unseren Weingärten bedingt ein detailliertes Wissen über unser Terroir“, fährt Högl fort und bringt das Dilemma des Grabens ein letztes Mal auf den Punkt: „Wir wissen, dass wir oft später zur Lese ausrücken müssen und dass es Jahre gibt, in denen wir drei Lesedurchgänge haben und erst im Dezember die letzten Trauben von den Stöcken schneiden. Wir wissen, dass es im Spätsommer immer wieder Probleme mit Botrytis gibt, weil der Ostwind ausbleibt, oder dass die Waldviertler Wolken öfter am Jauerling bersten und auf uns herabregnen. Wir wissen aber auch damit umzugehen, müssen eigentlich nur in extremen Jahren bewässern, nutzen vielmehr den Regen zur Begrünung unserer Terrassen und schützen die steilen Abhänge so vor Erosion.“

In einer dieser Steillagen, hoch über dem Höglschen Haus, steht auch wieder der Vater, diesmal in Regenstiefeln. Er strickt die Triebe durch Drahtrahmen, und nach kurzer Zeit verabschiedet sich auch der Sohn und klettert durch die Bruck hinauf in seinen Weingarten.

Mehr Informationen über Weine und Weingüter aus dem Spitzer Graben und der Wachau im Weinführer

Folgende Weingüter aus dem Spitzer Graben sind im Artikel erwähnt und haben größtenteils auch aktuell Weine zur Verkostung eingesandt:

Domäne Wachau im Weinführer

Weingut Johann Donabaum im Weinführer

Weingut Josef Gritsch - "Graben-Gritsch" im Weinführer

Weingut Josef Högl im Weinführer

Weingut Martin Muthenthaler im Weinführer

Weingut Friedrich Rixinger im Weinführer

Weingut Veyder-Malberg im Weinführer

Folgende nicht im Artikel erwähnte Weingüter aus dem Spitzer Graben haben darüber hinaus aktuell Weine zur Verkostung eingesandt:

Weingut Gritsch - Mauritiushof im Weinführer

Weingut Rupert & Erika Gritsch im Weinführer

Weingut Schneeweis im Weinführer

Folgende Weine aus der Wachau wurden aktuell verkostet und bewertet:

Alle aktuell probierten Weine aus der Wachau im Weinführer

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