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Er ist 65 geworden und zieht sich aus der Chefredaktion seines publizistischen Unternehmens zurück. Einen Teil seines Imperiums hat er bereits verkauft, seine neuen Partner sind Hedgefonds-Manager aus Singapur. Ich spreche natürlich von Robert M. Parker, dem einflussreichsten Weinkritiker der Welt. Ohne seine PP (Parker-Punkte) geht nichts mehr in der Weinwirtschaft. Hat ein Wein die 90 PP erreicht, lässt er sich auch vermarkten, denn das Urteil von Robert M. Parker ist längst zum verlässlichsten Garanten für Qualität geworden. „Parkerweine“, sagen – leicht verächtlich – seine Kritiker und rümpfen die Nase.

 

Auf dem Olymp angekommen: Clos Fourtet 2009 – 100 Parkerpunkte (Quelle: P. Züllig)

Soll ich wirklich auch noch über das Phänomen Parker schreiben? Ist nicht alles – und auch mehr – bereits gesagt worden? Lässt sich der Mythos Parker überhaupt durchschauen oder gar analysieren? Nein! „The Baltimore Sun“ – Parker lebt in Baltimore – meldet am 10. Dezember: „Fast 35 Jahre nach der Gründung von ‘Wine Advocate’ hat Robert M. Parker Jr. die Weinliebhaber geschockt mit seiner Ankündigung vom Rücktritt als Chefredakteur und dem Umzug seines ‘Newsletters’ von Maryland in den fernen Osten.“ Ein Rückzug in Raten, so scheint es. Ist dies der Anfang vom Ende des „Parkerismus“?

Als Bordeaux-Liebhaber bin ich – ob ich dies wollte oder nicht – einfach nicht an Parker vorbeigekommen. Er hat zwar nicht mein Leben, aber einen Teil meiner Finanzen, meiner Bordeaux-Kenntnisse, meiner Weinglaubwürdigkeit, meines Weinkellers aus dem fernen Maryland ferngelenkt. Und zwar so sehr, dass ich lange Zeit – entgegen besserem Wissen – schlicht behauptet habe, Robert M. Parker Jr. n’existe pas – Robert M. Parker Jr. gibt es nicht  –, zumindest nicht als Person, nur als Mythos, als Kunstfigur, als Institution. Dabei dachte ich an Betty Bossi, die fiktive Köchin, die den Schweizern seit 1956 das Kochen beigebracht hat und noch heute beibringt. Könnte dies nicht auch bei Parker – im Bereich Wein – so sein?

 

„The Wine Advocate“ mit hohem Anspruch: „...the planet’s most interesting discussion board..." (Quelle: P. Züllig)

Es gibt kaum eine Wein-Publikation, die in diesen Wochen nicht über Parker geschrieben hat. Er geistert durch alle Zeitungen, Zeitschriften, Websites, Blogs. Er hat es wieder geschafft, allgegenwärtig zu sein. Das gehört zu seinem Mythos: immer präsent und doch nie ganz fassbar. Das „große Interview“ mit Parker aus dem Jahr 1995 prangte – fast schon Zeitzeugnis – an die zehn Jahre prominent auf der Website des Hamburger Journalisten Mario Scheuermann. Authentische Zeugnisse sind eben rar. Mythen stehen an ihrer Stelle. Zum Beispiel die Legende, dass Parker pro Tag mehr als 100 Weine degustiert; oder dass er aus 100 Proben – noch nach Jahren – einen Wein mit Sicherheit wiedererkennt; oder dass er über einen „absoluten Geschmackssinn“ (analog zum absoluten Gehör) verfügt; oder dass er 200.000 Weine aus der Erinnerung beschreiben kann; oder, oder, oder...

Legenden und Mythen tragen immer auch einen Kern von Wahrheit in sich. Dieser Kern verdichtet sich – bei Robert M. Parker – in einer Art von amerikanischem Sonnengott und päpstlicher Unfehlbarkeit. Nicht umsonst wird er seit gut 30 Jahren als Weinpapst bezeichnet. Die Geschichte lehrt uns: Europa war bis weit ins 18. Jahrhundert vom Absolutismus beherrscht, bis dann die Aufklärung  – zum Teil durch Revolutionen – andere Machtverhältnisse brachte. Die katholische Kirche, vor der die Aufklärung nicht Halt machte, reagierte 1870 mit dem Dogma der „päpstlichen Unfehlbarkeit“. Es sicherte ihr für weitere hundert Jahre Einfluss und Macht.

 

Ludwig XIV. – der Sonnenkönig (Quelle: P. Züllig)

Ähnlich in der jüngsten Geschichte des Weins. Als in den späten 1960er und 70er Jahren die Dominanz der Traditionen verloren ging und die Vermarktung in der Weinwirtschaft zum Wildwuchs anschwoll, da sehnten sich viele – vor allem Händler und Konsumenten – nach einer klaren, ordnenden Kraft. Wenn sie dazu noch aus dem damals gelobten Land Amerika kam und Unabhängigkeit versprach, war der wachsende Einfluss nur eine Frage der Zeit. Robert M. Parker Jr. hieß diese Kraft, er war Anwalt, Weinliebhaber und ein guter Degustator. „Sein einfaches System ist trottelsicher und für jeden Einkäufer, Händler oder Konsumenten verständlich“, schrieb Die Welt.

Wie die Gläubigen einst, sind jetzt die Weinkonsumenten „endlich vom Stress der eigenen Einschätzung befreit“. Man kann sich fortan auf Parker berufen. „Dem verunsicherten Bürgertum – das Weinkultur zunehmend als Erweiterung des Lebensstandards begreift – wird Halt gegeben. So bahnt sich Parker seinen Weg.“ Dieser Weg – inzwischen ein lukratives Geschäft – wird auch immer mehr zum „Leidensweg“. Die Unabhängigkeit des Papstes wird mehr und mehr angezweifelt, der Irak-Krieg bringt 2003 Parker in arge Bedrängnis (er reist nicht zur traditionellen Primärverkostung nach Bordeaux; Begründung: Er hätte seiner Tochter versprochen, nicht in das gefährliche Europa zu Reisen!), dann – 2007 – das kritische Buch seiner ehemaligen Mitarbeiterin Hanna Agostini „Robert Parker – Anatomie d'un mythe" und schließlich der unvorteilhafte Auftritt (Parkers öffentliche Auftritte sind ohnehin eine Rarität) im Dokumentarfilm „Mondovino" von Jonathan Nossiter. Parkers Autarkie geht langsam zu Ende.

 

Robert M. Parker% Jr. (Quelle: P. Züllig)

Und jetzt? Soll ich traurig sein? Einen neuen Papst suchen? Meine nicht ganz seltene Parker-Kritik wiederholen? Meinen elektronischen Zugang zum Parker-Archiv (seinen „Wine Advocate“ habe ich längst abbestellt) unterbrechen? Jubeln, weil sich meine Vermutung bewahrheitet, es gehe da längst nur noch um das „große Geschäft“? Ihn verantwortlich machen für die exorbitanten Preise bei Spitzenweinen, die ich mir längst nicht mehr leisten kann?

Nichts von alldem. Mir bleibt eine nüchterne Bilanz zu ziehen, das ist wohl die angemessenste Reaktion auf Parkers Teilrückzug.

  1. Auch ich – durchaus parkerkritisch – bin all die Jahre nie ganz ohne sein Urteil ausgekommen. Zumindest mit einem Auge habe ich auf seine PP geschielt. Ich habe aus seinen Urteilen viel gelernt, über Wein und Weingeschmack.
  2. Aus der Person Parker (legendenumwoben) ist eine Marke geworden, die durch den Verkauf nach Asien zum Big Player für das China-Geschäft aufgestiegen ist.
  3. Nicht Parker, aber die Macht des Faktischen hat die Weinwelt beeinflusst, weit mehr als jede Klimaveränderung. Beim Wein hat ein Modediktat Einzug gehalten. Der Weinmodepapst wäscht – zurecht – seine Hände in Unschuld.
  4. Es ist nicht Parker – der geniale Verkoster und Meinungsvermarkter –, der die Weine verändert hat. Es sind die Produzenten, bis hin zum kleinen Winzer, die der Mode gefolgt sind, um im Geschäft zu bleiben.
  5. Was lehrt die Geschichte: Neue Päpste (auch wenn man sie nicht mehr so nennt) werden erkoren und geweiht, neue Dogmen werden aufgestellt. Sie sind schon im Anmarsch und heißen Bio oder Terroir oder Internet. Gestern noch Mode, heute eine Irrlehre und morgen vielleicht vergessen.

Das alles gehört (auch) zu Parkers Weinwelt. All die, die im Keller „Parkerweine“ gestapelt haben, fürs gute Geschäft, müssen lernen, auch mit der Mode zu leben.

Herzlich
Ihr/Euer

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