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Nun ist es auf den Tag genau ein Jahr her, seit wir mit dem Hausboot auf dem „Canal du Midi” das Languedoc durchstreift haben (siehe Kolumnen „Am Canal du Midi von Agde nach Carcassonne” und „Unterwegs mit einer Pénichette”). Rasch, allzu rasch ist das Erlebnis verblasst - beiseite geschoben, überlagert von anderen Ereignissen und Eindrücken: etwa von einer Weinreise nach China, vom Besuch aller „Premier Crus” im Bordelais oder Winzerbegegnungen in Württemberg. Kann da die gemächliche Fahrt auf einem Relikt aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts - zwar 1995 von der UNESCO zum „Weltkulturerbe” geadelt - noch bestehen? Vermag es Spuren zu hinterlassen, zumal die zwei Wochen auf dem Kanal auch vom Eindruck des ewig Gleichen begleitet waren? Braun-trübes, langsam fliessendes Wasser, überwachsene, ausgespülte Ufer, endlose Pappelalleen, dahinter noch endlosere Rebfelder. Eben, das Languedoc, abseits der Touristenströme.

Am Canal du midi - Weltkulturerbe

Sobald aber die Ginster-Büsche wieder gelb leuchtend ihren süßlichen Duft verströmen, die karge Landschaft sich rotgetupft vom Mohn in ein frisches Grün verwandelt und die Sumpflilien dem Kanal entlang die Böschungen zieren, da zieht es den Täter zurück an den Tatort. Den Täter? Die Täter? Ja, irgendwie fühlt sich die vierköpfige „Besatzung” der „Jessy James” (so hieß unser Schiff) wie Eindringlinge - Potentaten - die sich einnisten in eine versunkene Welt, die vor 300 Jahren ein Lebensnerv - ein Verkehrsstrom - einer großen, weiten Region war. An ihm hingen Hunderte, ja Tausende von Weinproduzenten, die ihre Fässer auf dem Canal zum Atlantik und von da in die weite Welt des Weinhandels brachten. Heute gibt es auf dem Kanal schon lange keine Frachtschiffe mehr, nur noch Vergnügungsfahrer, auch Abenteurer, die sich redlich bemühen, als Kapitäne ohne Führerschein die 240 Kilometer mit 63 Schleusen von Toulouse zum L'étang de Thau (oder umgekehrt) zu überwinden. (Wir schafften in 14 Tagen nur einen Teil davon!)

Die „Treppe” von Fonséranne mit 8 Schleusen
Also kehren wir jetzt zurück zum Tatort. Auch ins kleine, südfranzösische Dorf Homps (selbst für Franzosen schwer auszusprechen), wo unsere Reise aufgehört hat. Der kleine Ort, etwa 32 Kilometer östlich von Carcasonne, war einst eine wichtige „Handelsstadt”, heute zählt er keine 700 Einwohner mehr. Doch in Homps gibt es eine der besten Weinhandlungen am Canal du Midi, untergebracht in der „Capitainerie”, die gleichzeitig auch als Galerie für Kunstausstellungen dient und als Touristenbureau zu funktionieren hat.

Hier werden die besten Weine aus dem „Minervois” präsentiert und verkauft, zum gleichen Preis wie auf den Weingütern selber, wie man uns ungefragt versichert. Minervois? Eine der am wenigsten bekannten Appellationen des Languedoc, die den AOC-Status erst 1985 erhalten hat. Minervois, wo im Herzen der Appellation, rund um Livinière, fünf Gemeinden liegen, die seit 1999 eine eigene Rotwein-Appellation bilden und wohl die besten und bekanntesten Minervois-Weine machen. Namen wie Gourgazaud, Piccinini, Centeilles, Oupia sind auch für den Weinfreund - selbst in Deutschland - mitunter ein Begriff. Doch wer kennt die Domaine Pujol, das Château de Fauzan, La Pade Mari oder die Cuvée „Le pas de Zarat” von der Domaine de Cazal? Sicher nur ganz wenige. Schade!

Capitainerie% Weinladen und Kunstgalerie

Auf einer Schiffsreise durchs Languedoc fehlt die Zeit für einen tieferen Einblick in das durchfahrene, durchquerte Weingebiet. Vor allem im Minervois, das nördlich des Kanals auf den besonders gut besonnten Ausläufern der „Schwarzen Berge” liegt, vom Kanal weit weniger einzusehen als die großen flachen Rebflächen im Süden. Wer als Tourist das mittelalterliche Städtchen Minerve besucht mit seiner bewegten und tragischen Geschichte - - 1210 eine der letzten Fluchtburgen der Katharer - , der dringt kaum ein in die rund 60 Weindörfer nördlich von Homps. Desto überraschender ist das, was wir zwar vor einem Jahr auf der Schiffsreise kurz besucht haben, jetzt bei unserer Rückkehr aber genauer erkunden: die besten Weine des Minervois. Unsere „Ausbeute”: sechs wunderschöne, charakteristische, eigenwillige, fein strukturierte Klasse-Weine (Kosten zwischen 6 und 15 Euro) werden als echte „Entdeckungen” im Gepäck mitgenommen, zuerst in unsere kleine Wohnung am Meer, später nach Hause in die Schweiz.

Präsentation der Minervois-Weine

Eigentlich bin ich gerade damit beschäftigt, die Arrivage-Preise des Bordeaux-Jahrgangs 2005 in meine umfassende Bordeaux-Dokumentation einzutragen. Kopfschütteln! Nein - Kopf hin und her, hin und her. Nochmals nein! Da sind im wenig bekannten Minervois - für einem Fünftel oder Zehntel der Bordeaux-Preise - ebenbürtige, zwar andere, aber meist sogar noch interessantere Weine zu finden als im hochdotierten, immer einheitlicher werdenden Bordeaux. Und ich, der Bordeaux-Liebhaber, mit einem eigenen ordentlichen Bordeaux-Keller schüttle noch immer den Kopf. Da habe ich offensichtlich in den letzten Jahren etwas verpasst! Eine Entwicklung im Languedoc, die nur infolge meiner Bordeauxhörigkeit, den längst verinnerlichten wohlklingenden Namen, der weltweiten Luxus-Euphorie, der horrenden Preise (eine Flasche, die 100 und weit mehr Euro kostet, muss ja gut, einmalig sein!!!) meist übersehen wird, auch von mir.

Sechs ausgewählte Flaschen Minervois

Dabei sind die mitgenommenen sechs Flaschen nur eine bescheidene Auswahl. Sie wären zu ergänzen mit Weinen von Château Coupe Roses, La Combe Blanche, Borie de Maurel, de Violet, Villerambert Julien, Lapyere, du Donjon, Domaine Cros - um nur ein paar über das Languedoc hinaus bekannte Namen zu nennen.

Auf den holprigen Straßen, möglichst nahe dem Kanal entlang, kehren wir zum Oertchen Le Somail zurück, wo im kleinen Hafen ein efeubewachsenes Haus aus dem 17. Jahrhundert noch heute Gäste beherbergt, wo ein alter Kühlturm als Zeuge einer bewegten 200jährigen Kanal und Weinfracht-Geschichte kaum mehr beachtet wird, wo ein Schiffsladen von April bis Oktober die Touristen versorgt und eines der größten Antiquariate Frankreichs, mit weit über 50‘000 Büchern, im kulturellen Niemandsland zu Hause ist.

Antiquariat im kulturellen Niemandsland

Da geht es mir fast wie mit den Minervois-Weinen: plötzlich entdeckt man dort, wo man kaum sucht und wo der lange Arm der Vermarktung (noch) nicht hinreicht, echte Schätze. Trouvaillen, sagt der Franzose. Zum Beispiel gute, charaktervolle, eigenständige Weine, kräftig und elegant, fruchtig und blumig, würzig, mit feinen Tanninen. Aber nicht nur Weine, auch Bücher über Wein und Weinkultur oder - aus einem ganz anderen Sammelgebiet - Bücher von Gustave Aimard - dem Populärschriftsteller, der mit seinen Abenteuerromanen das Bild des „Wilden Westens” - ähnlich wie in Deutschland Karl May - maßgebend geprägt hat. Bücher, denen ich sonst mühsam hinterher renne, sie liegen hier - abseits der Sammlerwelt - in unglaublicher Fülle und Qualität zu kleinsten Preisen bereit zum Kauf. Sie müssen nur beachtet werden. Genau wie die Weine des Minervois.
So fährt der Täter - diesmal mit einem viel schnelleren Transportmittel, dem Auto, mit Büchern und Weinen im Gepäck zurück zu seiner Bordeaux-Tabelle. Zurück zu seiner „Bordeaux-Sammlung” in der Schweiz.

50.000 alte Bücher zum Kauf

Jetzt ist der „Täter” wirklich zum Täter geworden. Er hat nicht nur staunend das Ersehnte, Schöne und Gute bewundert. Er hat etwas davon mitgenommen, und er wird wieder zurückkehren an den Tatort. An den Canal du Midi, wo Wein (noch) nicht ganz so total vermarktet wird wie in vielen berühmten Weingegenden der Welt. Wo der Wein noch das ist, was er sein möchte: eben guter Wein, zum Genuss bestimmt und kein Luxusprodukt.

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