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Süßweine kommen auch beim Weinliebhaber nur selten ins Glas und wenn, dann meist am Schluss einer üppigen Mahlzeit; wenn es darum geht, dem Käse standzuhalten oder dem „Bleu“ (Blauschimmelkäse) eine ideale Weinbegleitung zu geben. Dabei sind sie weltberühmt und werden hochgelobt, die Süßen: edelsüße Rieslinge, Eisweine, Sauternes, Monbazillac, Vin Santo, Recioto, Tokajer... bis hin zu den Portweinen und Sherrys. Dessertweine eben, sozusagen eine Nachspeise. Es sei denn – dies ist längst kein Geheimtipp mehr – man sucht den idealen Wein-Begleiter zu Foie Gras, zur Stopfleber. Doch wer will sich diese Delikatesse heute noch häufig leisten? Moralische und finanzielle Gründe sprechen dagegen. Und die weit verbreitete Meinung, zur süßen Nachspeise gehöre auch ein süßer Wein, ist als nützliche Legende längst entlarvt.
Nach all den verkosteten alten Bordeaux und dem guten Essen – jetzt noch ein süßer Wein? (Foto: P. Züllig)

Weinliebhaber behaupten mit einigem Recht, dass Süßweine – vor allem edelsüße – eine „Explosion von Aromen“ im Mund erzeugen. Wer aber will nach einem genüsslichen Essen – mit den vielfältigsten Aroma-Erlebnissen – noch eine Explosion am Gaumen riskieren? Das Gleiche gilt für Weinverkostungen: Auch ich habe den Fehler schon gemacht. Nach einem ausgiebigen Essen mit Weinfreunden und vielen schönen Weinen habe ich noch etwas ganz Spezielles aus dem Keller geholt: eine kleine Flasche Yquem 1987, und diese selbstverständlich einer Blindverkostung ausgesetzt. Natürlich erwartete ich – von Weinkennern – ein Schwall von Ahhs, Ohhs und Uhhs. Nichts dergleichen geschah, dafür in etwa Aussagen wie: „Ganz ordentlich!“ – „Ein schöner Dessertwein!“ – „Wir haben schon bessere Sauternes getrunken!“ Mag alles richtig sein, doch mit enthülltem Etikette – davon bin ich überzeugt – wären die Kommentare ganz anders ausgefallen. Es entspann sich dann auch eine heftige Diskussion rund um Eisweine und Sauternes. Sie gipfelte in einer Wette, dass bei einer Degustation von deutschen Eisweinen und französischen Botrytis-Weinen (Sauternes, Barsac) die Deutschen (Ansicht meiner Weinfreunde) respektive die Franzosen (meine Behauptung) klar obsiegen würden.

 

Monbazillac% Zentrum der Süßweine im Périgord. Als Dessertwein sind seine eher leichten Weine viel geeigneter als die weit berühmteren Sauternes. (Foto: P. Züllig)

Die Wette läuft immer noch. Niemand wollte sich bisher  des edelsüßen Wettstreits annehmen, oder wir haben keinen „neutralen“ Schiedsrichter gefunden, der von beiden Seiten akzeptiert wird. Inzwischen vermute ich, der Wettstreit wäre nie ausgebrochen, hätte ich den Yquem nicht am Schluss des langen Abends serviert, sondern am Anfang, einfach so als Aperitif, als „kleine, aufmunternde Überraschung – genial“, wie die Schweizerische Weinzeitung einmal geschrieben hat. Ich habe diese Art von süßem Aperitif schon öfters in Frankreich genossen, wirklich „genial“! Tatsächlich ist es eine gute Idee, nicht abzuwarten, bis jeglicher Appetit gestillt und der Magen (über)voll ist, um erst dann den meist cremigen, opulenten, konzentrierten Süßwein noch draufzulegen. Kein Wunder, dass am nächsten Tag der Kopf brummt oder der Magen rebelliert. Natürlich wir dann der Port, der Sauternes oder gar der Santos (mit 16 Volumenprozent Alkohol) dafür verantwortlich gemacht.

 

Das berühmteste Süßweingebiet südlich von Bordeaux: Sauternes und Barsac. (Foto: P. Züllig)

Das scheinbar ideale Zusammenspiel von Dessert und Süßweinen – der schon fast unabdingbare Ausklang eines guten, üppigen Essens – erweist sich als Bumerang.  Der Dessertwein verkommt zum Magenfüller und wenig genussreichen Supplement. Es erstaunt deshalb nicht, dass Süßweine unter den Genießern oft einen zweifelhaften Ruf haben. Der  Süßwein ist eben nicht unbedingt ein Dessertwein, nur weil die Nachspeise süß ist und ein Essen – nach gängigem Muster – damit aufzuhören hat. Der Süßwein hat einfach mehr Restzucker (EU-Norm: mehr als 40 Gramm) und kann – oder soll – immer dann genossen werden, wenn man Lust auf „Süßes“ hat, und dies korrespondiert nur selten mit den Essensplänen und -zeiten. Im Gegenteil: „Naschen“ ist etwas, was sich zwar viele verkneifen und doch von Kindesbeinen an so sehr lieben. Warum kann ein Dessertwein nicht genauso gut ein Naschwein sein? Das würde uns auch von einer sehr häufig gestellten, kniffligen Aufgabe entbinden, den „richtigen Wein“ zur süßen Nachspeise zu finden. Süß zu süß mag sehr schön klingen, aber ob es auch wirklich passt? Ich meine, eher als Wortspiel denn als Aromenerlebnis. Zum Beispiel zur Creme – wohl die häufigste Dessertart – wirkt ein cremiger Süßwein fast schon wie eine Persiflage. Da würde ich einem kräftigen, trockenen Weißen oder einem gereiften (trockenen) Roten den Vorzug geben. Oder nehmen wir die Palette von Nachspeisen aus Großmutters Küchenlatein: Pudding, Eierspeisen etc. Dazu ein Barriquewein – bevorzugt rot – ist weit besser als jede süße Weinbegleitung. Eigentlich, wenn ich mir dies so richtig überlege, gibt es nur wenig süße Desserts, zu denen so genannte Dessertweine harmonieren. Harmonie bedeutet ja nicht einfach Gleichschritt, sondern viel eher und weit häufiger Ergänzung, Vervollkommnung; das was fehlt, noch hinzufügen – in diesem Fall zum Beispiel Säure, weitere Aromen, Bitterstoffe, andere Konsistenzen, aber sicher nicht zum vielen Zucker nochmals viel Zucker.

 

Fasslager von Château d’Yquem. Hier reiften die besten Weine vier Jahre lang. (Foto: P. Züllig)

Jetzt habe ich mich aber weit in den Bereich der Geschmacksempfindungen vorgewagt. Aus dieser Verstrickung kann mich eigentlich nur noch eine anerkannte Geistesgröße retten, eine Autorität. Und ich habe sie – Gott sei Dank – gefunden: Sie lebte im 18. Jahrhundert und heißt (jeder Schüler ist ihm im Deutschunterricht schon begegnet) Gotthold Ephraim Lessing. In der Hamburgischen Dramaturgie schrieb er: „Es ist einem jeden vergönnt, seinen eigenen Geschmack zu haben, und es ist rühmlich, sich von seinem eigenen Geschmack Rechenschaft zu geben suchen. Aber den Gründen, durch die man ihn rechtfertigen will, eine Allgemeinheit erteilen, die, wenn es seine Richtigkeit damit hätte, ihn zu dem einzigen wahren Geschmacke machen müsste, heißt aus den Grenzen des forschenden Liebhabers herausgehen und sich zu einem eigensinnigen Gesetzgeber aufwerfen.“

Herzlich
Ihr/Euer

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