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Der Kiedricher Berg% eine der besten Lagen des Rheingaus
Wenn Wilhelm Weil aus dem Fenster seines Weingut Robert Weil in Kiedrich schaut, erblickt er den Gräfenberg, eine der besten Lagen des Rheingaus. Die Trauben, die hier heranreifen, liefern das Erntegut für einen Riesling, der zu den teuersten und begehrtesten der Welt zählt. In diesem Jahr könnte sogar etwas Außergewöhnliches im Gräfenberg entstehen: ein Jahrhundertjahrgang. „Die Reife hat beim Riesling bereits Anfang August eingesetzt”, sagt Weil. „Rund vier Wochen früher als sonst üblich.”

Doch die Kehrseite des schönen Sommers äußert sich in Trockenstress. „In den besonders steilen Lagen, wo die Böden nicht so tiefgründig sind, sehe ich schon das ein oder andere gelbe Blatt”, sagt Weil. „Zwei, drei intensive Landregen würden wahre Wunder vollbringen.”

Wenige Kilometer östlich vom Gräfenberg äußert sich dieses „Wunder” in einem profanen Geräusch. Grelles Quietschen schallt dort durch die Reben am Rauenthaler Berg. Mit flinken Handgriffen öffnet Stefan Seyffardt den blau lackierten Wasserhahn der kleinen Versorgungsstation. Die schwarzen Kunststoff-Schläuche der Tropfbewässerung unter den Rebstöcken füllen sich mit Grundwasser - langsam, Tropfen für Tropfen, perlt das Wasser auf das zuvor noch so trockene Erdreich.

Für den Betriebsleiter der Hessischen Staatsdomäne Rauenthal ist der Griff zum Wasserhahn im Weinberg in diesen Tagen fast schon Alltagsroutine. Die Gluthitze ist schier erdrückend, in Strömen rinnt der Schweiß von Seyffardts Stirn. Dennoch freut er sich über „kalifornische Verhältnisse” in seinen Weinbergen und über „ein Drittel mehr an Sonnenschein-Stunden im Vergleich zu 1976.”

1976 - für deutsche Winzer ist das ein magisches Jahr, der letzte große Jahrhundertjahrgang. „Doch damals hatte es hin und wieder mal geregnet”, erinnert sich Seyffardt. Im Unterschied zu diesem Sommer, in dem es überwiegend trocken blieb.

Gäbe es ab und zu mal einen Landregen, könnte dies in Verbindung mit der Sonnengunst sicher bewirken, dass Großes in den Weinbergen am Rhein heranreifen würde. Die Winzer registrieren bei den Reben einen Reifevorsprung von vier Wochen. Das ist einmalig seit Beginn der Wetteraufzeichnungen Mitte des 19. Jahrhunderts. „Beim Müller-Thurgau könnte die Lese bereits Ende August beginnen und beim Riesling Mitte September”, prognostiziert Stefan Seyffardt.

Ein solch früher Lesezeitpunkt wäre eine historische Besonderheit. „Der früheste Erntezeitpunkt beim Riesling war bislang Ende September im Jahre 1827”, sagt der Physiker Dr. Manfred Stock vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Die Potsdamer Wissenschaftler haben die Archive von Schloss Johannisberg und anderen Weingütern im Rheingau ausgewertet und den jeweiligen Erntebeginn bis zum Jahr 1780 zurück verfolgen können.

Die Zusammenarbeit von Klimaforschung und Weinkunde hat Tradition, weil zum Beispiel der Beginn der Weinlese wichtige Erkenntnisse über den Klimaverlauf in früheren Jahrzehnten und Jahrhunderten liefert. „Die im Weinbau beobachteten Veränderungen werden vielfach als Indikatoren für den Klimawandel herangezogen”, sagt Stock. „In Südengland hat sich die wirtschaftlich genutzte Anbaufläche für Wein in den letzten 15 Jahren mehr als verdoppelt”, sagt der Klimaforscher. Insgesamt waren die neunziger Jahre die wärmste Dekade innerhalb des 20. Jahrhunderts: „Austrieb, Blütebeginn und Reife der Trauben treten seither vielfach früher im Jahr auf.”

Dieser Trend dürfte anhalten. De Potsdamer Wissenschaftler haben ein Klimaszenario bis zum Jahr 2050 entwickelt, und zwar auf Basis detaillierter Wetteraufzeichnungen der Periode von 1951 bis 2000 und dem prognostizierten Trend der globalen Erwärmung. Das Ergebnis: „Wir rechnen beim Riesling, dass in den nächsten 50 Jahren die Erntereife 10 bis 14 Tage früher einsetzen wird”, sagt der Physiker Manfred Stock vom PIK. Die Durchschnittstemperatur könnte im Rheingau bis dahin um zwei Grad ansteigen. „Zumindest im Sommer hätten wir dort dann mediterrane Verhältnisse”, meint Stock.

Wie sich diese Entwicklung auf Ertrag und Qualität auswirken könnte, ist bislang strittig. Zumindest beim Riesling könnte die allseits geschätzte Säurekomponente unter den höheren Temperaturen leiden. Doch Professor Hans-Reiner Schultz von der Fachhochschule für Weinbau in Geisenheim bleibt gelassen: „Bislang waren die wärmsten Jahre auch die besten Riesling-Jahre, das Optimum ist also noch nicht erreicht”.

Doch versuchsweise werden auf den Hessischen Staatsweingütern bereits Wärme liebende Trauben angebaut: der rote Merlot an der Bergstraße und der weiße Chardonnay im Rheingau. Selbst der Cabernet Sauvignon könnte bald ein Thema werden, meint PIK-Forscher Stock. Damit verstärkt sich ein Trend, der in Deutschlands Weinbergen ohnhein seit einigen Jahren anhält: Viele Winzer setzen verstärkt auf Rotwein zu Lasten des Weißweins.

Optionen offen halten, lautet also künftig die Devise - und dabei das Tagesgeschäft nicht aus den Augen verlieren. Denn die gemeinhin trockensten Monate im Rheingau, August und September, kommen erst noch. Stefan Seyffardt von der Hessischen Staatsdomäne Rauenthal fühlt sich gewappnet, denn der Brunnen im Rauenthaler Berg hält genügend Grundwasser bereit.

Daher sind gelbe Blätter an den Rebstöcken als untrügliches Zeichen für Trockenstress in der Rauenthaler Steillage „Gehrn” nirgends zu sehen. Aus den Tiefen des Rauenthaler Berges speist ein Brunnen die Tropfbewässerungsanlage. Die Schläuche sind 20 Zentimeter über dem Erdboden an den Rebstöcken befestigt. Im Sekundentakt quellen die Wassertropfen heraus und benetzen den zuvor noch staubtrockenen Boden - zwei Liter pro Stunde für jeden Rebstock. Zwiebelförmig breitet sich die Feuchtigkeit im Wurzelraum der Reben aus.

Im Sekundentakt wird der Boden benetzt. Foto: Netafim


Bernd Gruber von der Fachhochschule für Weinbau in Geisenheim hatte zuvor mit einer transportablen, zylinderförmigen, rund 20 Zentimeter langen Druckkammer aus Edelstahl den Feuchtegehalt einzelner Blätter bestimmt. Drei Stunden lang soll nun das Wasser in den Wurzelraum der Reben sickern. Gruber muss für seine Messungen früh aufstehen. Er misst immer morgens vor Sonnenaufgang, weil in der Nacht die Assimilationstätigkeit der Rebpflanzen ruht und dann ein weitgehendes Gleichgewicht zwischen Bodenfeuchte und Wassergehalt der Rebe herrscht. „Nur so erhalte ich unverfälschte Informationen und kann die die Wassergabe richtig dimensionieren”, sagt Gruber. Dabei kalkuliert Gruber die Wassermenge immer sehr knapp, damit die Rebe am nächsten Tag nicht „absäuft”, wenn doch einmal ein Sommergewitter den Weinberg heimsuchen sollte.

Seit 2001 experimentieren die Geisenheimer Weinforscher damit, bislang mit mageren Ergebnissen. „Die vergangenen zwei Jahre waren einfach nicht trocken genug, um deutliche Signale zu bekommen”, bedauert Professor Hans-Reiner Schultz, Leiter des Fachgebietes Weinbau in Geisenheim. Zwar hätte der Riesling in den bewässerten Parzellen höhere Öchsle-Grade und somit höhere Mostgewichte erreicht als in den trocken gebliebenen Kontrollflächen. Dieser reifeabhängige natürliche Zuckergehalt im Most ist für deutsche Weine nach wie vor das wichtigste Qualitätskriterium. „Doch Zucker ist nicht alles”, schränkt Schultz ein. „Die Bewässerung soll sich ja auch günstig auf die Entwicklung der Aromastoffe auswirken”, fordert der Biologe.

Mit Interesse verfolgen die Winzer im Rheingau die Arbeit der Wissenschaftler. Erfahrungen mit Bewässerung haben sie kaum. „Wir haben immer nur unsere Neuanpflanzungen vor dem ersten Ertragsjahr bewässert”, sagt Wilhelm Weil. Für die Reben in den Ertragsflächen hatte sich die Frage nach einer zusätzlichen Wassergabe aus dem Schlauch auch nicht gestellt. In der Regel hatte es ja zu viel geregnet, selten zu wenig. Zudem waren gerade die trockenen die besten Weinjahre. „Ein niedriger Wasserstand im Rhein bedeutete meist auch ein gutes Weinjahr”, verweist Wilhelm Weil auf eine Parallele aus der Historie des Weinbaus im Rheingau.

Der Leiter des Weingutes „Robert Weil” in Kiedrich erhofft sich von den Geisenheimer Forschern Antworten auf die entscheidenden Fragen: Wann ist der optimale Zeitpunkt für eine Bewässerung? Und wie hoch darf die Wassergabe sein, damit die Pflanze zwar noch profitiert, die Erträge jedoch niedrig bleiben? Denn wer seine Reben zuviel wässert, der erntet zwar jede Menge dicke Trauben, doch geht diese Quantität am Rebstock zu Lasten der Qualität im Glas. Nur wer Erträge reduziert, bringt hochwertigen Wein in die Fässer: „Unsere Reben dürfen ruhig ein bisschen hungern, damit sie besondere Qualitäten hervorbringen - mit kleinen Beeren, die aromatisch und intensiv im Geschmack sind”, sagt Wilhelm Weil.

Weil zählt zu jenen Qualitätswinzern in Deutschland, die durch konsequente Ertragsminderung im Weinberg die weltweite Renaissance der deutschen Rieslingweine ermöglicht haben. „Wenn der Rebstock hungert, entwickelt er langfristig ein tieferes Wurzelwerk im Boden, das fördert die Mineralität der Weine”, sagt Weil.

Gleichwohl begrüßt Weil eine wohldosierte Bewässerung, die Spitzenqualitäten optimiert und dabei starken Trockenstress der Rebe vermeidet. Erfahrungen aus Südafrika, Kalifornien oder Australien - wo die Winzer ihre Rebstöcke routinemäßig wässern - helfen in Deutschland nur bedingt weiter. Die Wassergaben müssen sich stets an den kleinräumigen örtlichen Bedingungen im Weinberg vor Ort orientieren. Selbst im Rheingau gilt es zu differenzieren. „Der steinige und flachgründige Schieferboden am steilen Rüdesheimer Berg braucht bei der gegenwärtigen Gluthitze jeden dritten Tag eine Wassergabe”, sagt Stefan Seyffardt. Am Rauenthaler Berg dagegen kann der Boden dank seiner Lössanteile das Wasser sehr viel besser halten. Daher muss Seyffardt der Wasserhahn dort nicht so häufig aufdrehen.

Die Dürre im Weinberg hat oft ein gefürchtetes Phänomen zur Folge: UTA. Dieses Kürzel steht für „untypische Alterungsnoten”. Vor allem die Aromasorten Müller-Thurgau und Riesling altern zu schnell, häufig bereits sechs Monate nach der Gärung. Der Wein hat dann eine blasse, wasserhelle Farbe. Er entwickelt nicht seine sortentypische Frucht und Frische, sondern riecht stumpf und muffig nach nassem Pappkarton, Sackleinen oder gar Mottenpulver, und schmeckt dabei dumpf und bitter. „Die Ursachen für diesen Weinfehler sind noch nicht eindeutig erforscht, doch dürften Wasser- und Nährstoffmangel während entscheidender Phasen der Vegetationsentwicklung ein Hauptgrund sein”, sagt Berthold Steinberg vom Fachgebiet Weinbau in Geisenheim. „Diskutiert werden auch zu hohe Erträge bei zu niedrigem Mostgewicht und eine zu frühe Lese.”

Möglich, dass dieser trockenheiße Sommer bei den Winzern die Angst vor UTA wachsen lässt. Für die Installation einer Tropfbewässerung wären Investitionskosten von bis zu 5.000 Euro pro Hektar fällig. Doch kaum ein Winzer verfügt über Brunnen, die Grundwasser für seine Weinberge bereit hielten. Und bei zunehmender Dürre wären auch diese Vorkommen begrenzt. Es bliebe also die Frage, woher das Wasser kommen sollte? Aus dem Rhein? Dann müsste es mit viel Energieaufwand die Weinberge hochgepumpt werden. Vom Wasserwerk? Das wäre auf Dauer zu teuer, meint Hans-Reiner Schultz: „Wir brauchen bis zu 60.000 Liter pro Hektar und Bewässerungsdurchgang, und das dann vielleicht sechs- oder siebenmal im Jahr”.

Es müssten wohl große Reservoirs oberhalb der Weinberge gebaut werden, die viel von den Niederschlägen im Winter und Frühjahr auffangen. Regenwasser für einen trockenen, glutheißen Sommer wie diesen. Stefan Seyffardt dreht den Wasserhahn inmitten der Rebflächen des Rauenthaler Berges wieder zu. Für die nächsten Tage dürfte die Wassergabe reichen. Seyffardt hofft wie alle Winzer auf den großen Jahrhundertjahrgang. Auch Wilhelm Weil ist zuversichtlich beim Blick hinauf in „seinen” Gräfenberg. Gleichwohl mahnt er zur Zurückhaltung: „Am Schluss wird immer abgerechnet und selbst der beste Wein kann im Glas noch umkippen.”

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