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Historische Weine in uralten Mauern: Die Staatsweingüter Kloster Eberbach, das Weinmagazin „FINE“ und der VdP hatten rund 20 Gäste an den Rhein geladen, um 100 Jahrgänge Riesling zwischen 1846 bis 2009 zu verkosten. Sie wollten zeigen, welche Lagerfähigkeit deutscher Riesling von trocken bis edelsüss bietet. Das Ergebnis: „Grandiose Spitzenweine“, bewertete Starwinzer Wilhelm Weil die Flights.

Dieter Greiner blickt ein wenig nervös in die Fernsehkameras und Objektive der Fotografen. Er setzt behutsam den Korkenzieher auf den Flaschenhals. Seine andere Hand umfasst die Flasche, auf deren Etikett „1846er Steinberger Auslese“ und darunter „Originalfüllung aus dem Herzogl. Nassauischen Cabinets-Keller“ zu lesen ist. Der Geschäftsführer der Hessischen Staatsweingüter Kloster Eberbach zieht routiniert den Korken heraus und riecht: „Schon mal kein Korkton“, sagt er zu den Fotografen und Kameraleuten.Er lächelt gespannt. Greiner gießt einen winzigen Schluck ins bereitstehende Glas, während die Kameras herankommen und die Fotoapparate blitzen. Greiner riecht, schmeckt. Sein konzentrierter Blick entspannt sich. „Betörende Frische. Trockene Früchte. Harmonie!“ Greiner strahlt und schweigt einen Moment. Schließlich ruft er in Richtung der Objektive und applaudierenden Gäste: „Geschichte! Ein Riesling aus der Zeit vor der deutschen Revolution!“

Höhepunkt einer Jahrhundertprobe: Der 1846-er Steinberger Cabinet

Das Öffnen des 1846-er Steinbergers war der Höhepunkt einer Jahrhundertprobe von Riesling-Raritäten im tief verschneiten, ehemaligen Zisterzienserkloster im Rheingau. Das hatten die Verantwortlichen der Veranstalter – das Weinmagazin FINE, die Staatsweingüter Kloster Eberbach und der VdP – wörtlich gemeint. Unter der kunstvoll verzierten Stuckdecke des Mönchsrefektoriums verkosteten rund 20 Journalisten, Weinkritiker, Winzer und Experten 100 Jahrgänge Riesling aus den Jahren 1846 bis 2009. Diese Probe sei „eine kleine Weltsensation“, betonte Ralf Frenzel, Inhaber des Tre Torri-Verlages und FINE-Herausgeber. Es gäbe weltweit „nur ganz wenige Güter, die über ein Weinarchiv verfügen, das auch nur annähernd den Umfang und die Tiefe der Schatzkammer des Klosters Eberbach erreicht.“ Und so begaben sich die Gäste – unter ihnen die Kritiker Jancis Robinson und Stuart Pigott, Winzer Wilhelm Weil, die Sterneköche Hans Stefan Steinheuer und Michael Hoffmann („Margaux“, Berlin) sowie der Ex-Sommelierweltmeister Markus del Monego - an zwei Tagen auf eine Reise in die lebendige Geschichte des Rieslings.

Bewusst hatten die Organisatoren der Verkostung nicht nur die Spitzenjahrgänge, sondern auch „Weine aus mittleren und Katastrophenjahren“ geöffnet, um die Vielfalt der Entwicklung von Rieslingwein zu erkunden, erläuterte Frenzel. „Einige Süßweine stammen aus Jahrgängen der 70er-Jahre, die heute als untrinkbar gelten“, erläuterte er das Konzept, „doch die Verkostung beweist, dass auch in dieser Zeit interessante Weine mit Lagerpotential entstanden sind.“ So verströmte beispielsweise die tiefbraune 1973er Steinberger Eiswein Beerenauslese mit konzentrierten Aromen nach Kamin, Asche, antikem Holz und dunklem Honig eine wunderbare Wärme, die durch frische Säure gut kontrastiert wurde. Den folgenden Flight mit acht Trockenbeerauslesen von 1969 bis 1920 taxierte Dieter Greiner übrigens mit einem aktuellen Versteigerungswert von insgesamt 40.000 Euro.

Sieben Mal trockener Riesling aus dem 19. Jahrhundert

Eine besonderer Aspekt der Raritätenprobe war das Aufgebot an trockenem Riesling, das mit 23 Weinen bis ins Jahr 1896 zurückreichte. Die „Cabinet“-Weine, deren Bezeichnung im Kloster die besten eines Jahres kennzeichnet, reichten mit sieben Weinen sogar tief ins 19. Jahrhundert - bis hin zum 1846-er. „Grandios und hochinteressant“, bewertete Wilhelm Weil, Vorsitzender des VDP Rheingau, die Flights der trockenen Weine. Seine drei Favoriten stammten alle aus dieser Kategorie: Der elegante 1917-er Rüdesheimer Berg Schlossberg Cabinet mit Noten nach Kaffee, Sherry, etwas Pfeffer und, Petrol, der 1900-er Steinberger Cabinet mit Aromen nach Macademia-Nüssen, Kuchenteig und Baguette sowie der tiefbraune 1893-er Neroberger Cabinet, der zart-elegante Aromen nach Kaffee, Karamell, Schokotrüffel und Schokolade mit feiner Säure bot. Besonders interessant für ihn war das Verkosten des 1898-er Kiedricher Gräfenbergs – denn diese Lage ist nun seit vielen Jahren in seinem Besitz. „Gegenüber diesen Weinen habe ich mehr als nur eine Respekthaltung. In ihnen steckt Leben – und zwar viel mehr, als ich je erwartet hätte“, erklärte Weil, noch begeistert vom Eindruck der Weine.

Auch Markus del Monego resümiert: „Diese Frische trotz hohem Alter ist phänomenal.“ Ihn hatte „besonders die massive Konzentration außergewöhnlicher Weine“ in den Flights beeindruckt – aber auch, dass darin die „Nebenjahrgänge integriert“ gewesen seien: „Nur so kann man die Entwicklung des Gutes anhand der historischen Abläufe nachvollziehen.“

Die Riesling-Expertin Jancis Robinson erklärte, die Probe habe ihre Ansicht bestätigt, „dass Riesling die beste aller Weißweinsorten ist.“ Gleich sechs Mal vergab sie 19,5 von 20 Punkten, erzählt sie, hält inne, zählt am Laptop nach und wundert sich ein wenig über die für sie hohe Zahl: „Ich bin nämlich mit Bewertungen ab 19 Punkten sehr, sehr vorsichtig.“ Der 1898-er Kiedricher Gräfenberg gehörte dazu. Auch sie staunte nicht schlecht „in welch guter Verfassung“ die alten Weine gewesen seien. Robinson habe „20-20-Weine“ verkostet, schmunzelt sie: „Best drunk 1920 to 2020“. Zu ihren Favoriten gehörte ein 1915-er Erbacher Marcobrunn Cabinet, der sich überraschend frisch, präsent und elegant mit Noten nach Sherry und Kaffee samt üppiger Länge zeigte.

„Viel Blume, stahlig und geistig.“ „Elegant, fein und hochreif.“ Diese Bewertungen des 1846-er Steinberger Cabinet, den Dieter Greiner vor den Fernsehkameras öffnete, wurden bereits zwischen 1888 und 1892 in einem Buch veröffentlicht. Zu dieser Zeit war der Wein bereits rund 45 Jahre alt. Der Hofrat Dr. Conrad Schmitt hatte ihn auch analysieren lassen: Demnach hatte er lediglich 7,3 Prozent Alkohol und rund sechs Gramm Säure. Und 2010? Es klingelt gläsern, als der Wein eingeschenkt wird. Denn den über die Jahre verdunstete Wein haben die Wächter des Weinschatzes mit Glaskugeln aufgefüllt. Und tatsächlich: Frische! Eine etwas indifferente Nase nach antikem Holz und eine Ahnung von kandierten Früchten, am Gaumen füllige, präsente Noten nach Kaffee und Sherry mit guter Länge. Zumindest für ein paar Minuten. Nach etwa einer Stunde schwebte der Steinberger mit Aromen nach Rauch und Essig ganz langsam hinüber ins vinologische Nirvana. Die Verkoster, die am Tisch mit mittlerweile über 500 Gläsern vor sich saßen, applaudierten ihm noch einmal herzlich. Nun liegen in der Schatzkammer nur noch zwei Flaschen des Steinbergs. Er ist übrigens nicht der älteste Wein, der dort lagert. Der stammt, perfekt gelagert und gepflegt, aus dem Jahre 1706. Ein Riesling aus der Zeit vor der französischen Revolution.

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