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Wenn bei einer Weinveranstaltung im deutschsprachigen Zürich nur Französisch gesprochen wird, dann ist mit einiger Sicherheit Bordeaux zu Besuch. Denn nur die Repräsentanten der „berühmtesten Weinregion der Welt“ können es sich leisten, – dort, wo viel Geld zu Hause ist – die eigene Sprache zu sprechen, allenfalls – gnädigst – ins Business-Englisch zu wechseln. Es klingt dann etwa so: „70% Merlot, 10% Cabernet Sauvignon, 10% Cabernet Franc, 10% Petit Verdot“ – soweit ist das in allen Sprachen zu verstehen – und dann, fast litaneiähnlich: „...The palate is medium-bodied with mulberry and dark plum fruit intermingling with Chinese tea and a touch of cloves...“ Jetzt aber unbedingt eine ernste Miene aufsetzen, ja nicht widersprechen (oder gar neue Aromen herausspüren); viel besser ist es, das allerbeste Schulfranzösisch hervorzukratzen, tief ins Glas zu schauen und andächtig zu nicken, sonst wird man mit einem Schwall „Français“ überschüttet. So geht es von Tisch zu Tisch, von Château zu Château. Ein Ritual eben…

Primeur-Verkostung – ein Ritual (Foto: P. Züllig)

Früher waren es nur Weinhändler und Journalisten, die in den Genuss der allerjüngsten Bordeaux-Weine kamen, jedes Jahr so um die Osterzeit. Dann nämlich ist der neue Jahrgang ins Fass gewandert, und es ist Zeit, die ersten „Weinkompositionen“ zu kreieren, um dem Fachpublikum den „neuen Jahrgang“ vorzustellen. Die weltbesten Verkoster (leider nicht nur diese) stecken dann ihre Nase in das Degustierglas, prüfen mit (fast) allen Sinnen den Jungwein und fällen ihr Urteil. Ein Urteil, das entscheidend ist für die anlaufende Subskription, in der der neueste Jahrgang bereits weltweit verkauft wird, obwohl er noch fast zwei Jahre in den Fässern auf den Châteaux bleibt und erst dann abgefüllt und ausgeliefert wird. Es ist sozusagen ein Termingeschäft, bei dem das Urteil der Weingurus alles beeinflussen kann: hohe Gewinne oder gar Verluste für die Weingüter und die Händler. Wer sich verspekuliert, bleibt auf den Weinen sitzen, hat hohe Lagerkosten und muss sie schließlich mit Abschlägen verkaufen. Bordeaux-System nennt sich das Ganze, es hat eine recht lange Tradition und eine beliebte Spielwiese für nachgeborene Glücksritter, die das Goldgraben im 18. Jahrhundert verpasst haben.

Potentialwertung – auch ein Glücksspiel (Foto: P. Züllig)

Was neu ist in diesem Spiel: Man muss nicht mehr nach Bordeaux fahren (fliegen), um mitreden zu können. Bordeaux kommt zu den Konsumenten; die Châteaux tingeln mit ihren unreifen Neuweinen durch ihre wichtigsten Absatzgebiete: Großbritannien, Deutschland, Österreich, Luxemburg, die Schweiz, ja, sogar der Ferne Osten wird so „bewirtschaftet“, vor allem China und Japan. Der „Vorfinanzierer“ einer Ernte, der Käufer und Konsument, kann so selber Richter spielen und ist nicht mehr ganz den Weinjournalisten ausgeliefert. Die Prüfungszeit dauert nur ein paar Stunden (in Zürich waren es vier), in denen er Weine trinken (oder eben verkosten) muss, die eigentlich noch gar nicht trinkbar sind: so genannte Fassproben. Professionelle Auguren sprechen dabei von einer „Potentialbewertung“, was etwa bedeutet: Was könnte aus dem Wein werden in ein paar Jahren? Und so etwa klingt dann das Orakel:„Ein introvertierter Klassiker mit mittlerem Druck, aber langem Rückaroma. Geht in Richtung 1994, 1998, 2004. Könnte bei 19 Punkten (von 20) landen, ist aber so schon der beste von...“ Dazu kommt noch das Geschwätz um Mokkanoten, nussiges Bukett, Schwarzbrotkruste, Damassinenpflaumen und was alles noch so als Aromen-Analogie auftauchen mag. Die potentiellen Käufer nicken beifällig, wenn sie die – im Grund untrinkbare – weinähnliche Flüssigkeit durch den Mund rollen, sie am liebsten gleich wieder ausspucken und den Rest der Miniration so rasch wie möglich im Spucknapf entsorgen. Oder sie schütteln schon nach dem ersten Kontakt mit dem Wein den Kopf und entleeren das Glas, um es dann, bei ganz großer Abneigung, mit etwas Wasser auszuspülen.

Ein gesellschaftliches Ereignis (Foto: P. Züllig)

Eigentlich geht es bei diesen Anlässen weniger um den Wein als vielmehr um das gesellschaftliche Ereignis, um die Legitimation, auch mitreden zu können, nicht ganz den Spekulationen und Gerüchten rund um den Primeur-Verkauf (Subskription) ausgeliefert zu sein. All jene, die viel Geld in das Termingeschäft stecken, sind längst in Bordeaux gewesen, haben ihre Meinung und ihre Geschäfte gemacht. Es geht jetzt vor allem um den Endverbraucher und seine gesellschaftliche Akzeptanz in Weinkreisen. Die Botschaft: 40 Primeur-Verkostungen habe ich geschafft in nur vier Stunden, jetzt weiß ich Bescheid! Aber – weiß man nachher wirklich Bescheid? Sechs Minuten pro Château, inklusive das Warten im Gedränge bei den hochdotierten Weingütern, saubere Entsorgung der Restmengen des Weins im Glas und im Mund, Notizen, die man auch nachher noch lesen kann und die dauernde Vorsicht, sich nicht mit Wein zu bekleckern (was vor allem für Spuckungeübte ein Problem ist). Zudem trifft man auf Schritt und Tritt Bekannte (die auch Bordeaux lieben), wechselt ein paar Worte, ist sich aber bald einig: „Kein besonders guter Jahrgang“, die Weinpostillen haben es ja bereits über die ganze Weinwelt posaunt, „aber trotzdem ein paar schöne Weine entdeckt“. Bei solchen Je-Ka-Mi-Verkostungen (Eintrittspreis 100 Franken) gibt es immer „ein paar gute Tropfen“ und sogar – niemandem sagen! – einen oder zwei Geheimtipps. Das gehört zum Spiel.

Das Urteil ist gefällt (Foto: P. Züllig)

Auch ich habe das über viele Jahre mitgemacht. Viele Stunden mit dem Bordeaux-Primeur verbracht, viel Aufwand betrieben (mit endlosen Listen von Bewertungen aller namhaften Weinkritiker und Zeitschriften), nicht nur Punkte evaluiert und addiert, auch Beschreibungen eingescannt und miteinander verglichen, die recht teuren Datenbanken von Gabriel (Bordeaux Total), Parker (The Wine Advocate), Betane (b+d), Guide Hachette bis Robinson Jahr für Jahr erneuert und... eines Tages aufgehört mit der Geschäftigkeit rund um den Bordeaux. Es war anfänglich wie eine Trennung von einer „großen Liebe“, mit all den bekannten Entzugserscheinungen. Der Trennung war kein Krach vorausgegangen, kein Zerwürfnis, nicht einmal ein Sich-auseinander-Leben. Ich konnte (und vor allem wollte) den unverhältnismäßig gewachsenen Ansprüchen der Geliebten nicht mehr entsprechen. Ihr Flaschentanz um das goldene Kalb – eigentlich ein Götzendienst – wurde für mich immer heidnischer und entsprach gar nicht mehr dem, was ich unter Weinliebe verstehe. Meine Bordeaux-Flaschen, die ich noch vor den Praktiken auf dem Goldparkett erwarb, haben diesen Tanz nie mitgemacht, sind ruhig wartend (und reifend) im Keller geblieben, hoffend auf den Tag, an dem sie mich beglücken können. Und sie haben mich beglückt und sie beglücken mich noch immer. Ihnen ist – wie jeder echten Geliebten – jede Spekulation fremd, jemals bei einem reichen Prinzen oder einer noch reicheren Prinzessin zu landen. Ihre Bestimmung bleibt: Freude zu bereiten, nicht durch ihren äußeren Wert, sondern vielmehr durch ihre innere Qualität zu überzeugen.

Primeur-Verkostung in Zürich (Foto: P. Züllig)

Nach Jahren der inneren Distanz bin ich wieder einmal hingegangen zur Primeur-Verkostung, um zu sehen, was aus der „alten Liebe“ geworden ist. Wie habe ich mich gefühlt? Gut, aber wehmütig; es war die Begegnung mit einem Wein, dem man im Herzen treu geblieben ist, doch nicht mehr verliebt wie einst, vielmehr vertraut, erinnernd, nah und durchaus auch voll Anerkennung. Doch das übergestülpte goldene Kleid und die Tanzfläche – die zwar schon wacker bröckelt – haben mich angewidert. Der Traum ist ausgeträumt; der Traum vom Bordeaux, der gekauft wird, um Weinfreuden zu bereiten. Das traditionelle Potenzial-Bewertungsritual reduziert sich immer mehr auf die Frage: „Wie gut lässt sich die Wertsteigerung (in harter Währung) erahnen und vorhersagen?“ Eine mögliche Antwort: „In fünf Jahren eine Wertsteigerung von 200, 300 Prozent, dann ist der Wein gut.“ Ob er dann als gereifter Wein zum Trinken gut ist – 200, 300 Prozent besser –, das interessiert schon lange nicht mehr.

Herzlich
Ihr/Euer

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