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Eine denkwürdige Verkostung von Altweinen fand im Ende des Jahres 2016 im nördlichen Piemont statt. In der Villa Era nahe der Stadt Biella traten die Jahrgänge 1889, 1891, 1904, 1908, 1921,1961, 1964 und 1973 an, um einmal mehr das Lagerpotenzial von Nebbiolo zu beweisen. Wie aber präsentieren sich mehr als 100 Jahre gereifte Nordpiemonteser? Sind sie überhaupt genießbar?

Der Norden im Abseits

Das nördliche Piemont steht tief im Schatten der klingenden Namen Barolo und Barbaresco, die im Herzen des berühmten Weinbaugebietes liegend als große Stars agieren und auf der ganzen Welt gefragt sind. Der Norden hingegen ist das Stiefkind. Fortgeschrittenen Weinkennern sind die Appellationen Gattinara und Ghemme vertraut, doch gibt es noch einiges mehr zu entdecken. Unweit der Textil-Stadt Biella, Heimat weltberühmter Stofffabrikanten wie Cerruti oder Ermenegildo Zegna, gibt es eine Reihe wenig bekannter Herkünfte, die um Aufmerksamkeit ringen. Dort haben die Winzer erkannt, dass man gemeinsam stärker ist und in den DOCs Lessona, Bramaterra und Coste della Sesia haben sich 20 Weingüter zur „Associazione Vignaioli Colline Biellesi“ zusammengeschlossen, die gemeinsame Aktivitäten und Auftritte organisiert.

Ein Hektar als Role Model

Die Präsidentin dieser Vereinigung, Silvia Rivetti, verfügt über gerade mal einen Hektar Weinreben. Sie ist die Besitzerin der wunderschönen, aus dem späten 19. Jahrhundert stammenden Villa Era in Vigliano Biellese. Hinter der Villa verwandelt sich der ansteigende Garten in einen Rebhang, welcher die Gebäude wie ein Amphitheater umgibt. Diese Lage schafft ein perfektes Mesoklima für die Reben und das Reifen der Trauben. Erst vor zehn Jahren wurde der Weingarten hier wieder restauriert, doch der Wein, ein Nebbiolo Coste della Sesia, überzeugt schon jetzt mit feiner Komplexität, charakterisiert durch Kirschfrucht, kantige Säure und feine Würze. Der einst drei Hektar umfassende Weinbau der Villa Era besitzt sehr lange Tradition und fand bereits 1973 im bekannten Veronelli-Guide Erwähnung. Früher wurde der Nebbiolo hier „Spanna di Vigliano“ genannt und das Archiv mit Flaschen aus längst vergangenen Zeiten reicht zurück bis 1813.

Villa Era Weingarten

Villa Era Weingarten

D.Dejnega

Extrem saure Böden

Der Winzer Daniele Dinoia von Centovigne glaubt ebenfalls an das besondere Terroir der Region. Er geht beim Besuch im Weingarten des Castello di Castellengo kurz in die Knie und nimmt ein wenig lockere Erde in die Hand. Im hellen sandigen Boden sind winzige glänzende Quarzit- Kristalle deutlich zu erkennen. „Unsere Böden sind leicht, nährstoffarm und sehr sauer“, erklärt Daniele, „die pH-Werte sind also niedrig.“ In den Colline Biellesi, wo eiszeitliche Gletschermoränen mit lehmig-sandigen Ablagerungen oder auch Quarzporphyor vorliegen, beträgt der Mittelwert des Boden-pH nur 5,5. In bestimmten Lagen mit Alluvialböden (Schwemmböden mit Sand), wie z.B. „La Badina“ oder „Castello“ und „Drumma“, liegen die pH-Werte mit 4,6 bzw. 4,9 sogar im extrem sauren Bereich.

Welche Rolle spielt der pH-Wert?

Im Allgemeinen bezeichnet man pH-Werte im Boden zwischen 6,5 und 7,2 als „neutralen“ Bereich, an welchen auch der Großteil der Pflanzen am besten angepasst ist. Ein hoher pH-Wert von 8 deutet auf einen alkalischen Boden mit starkem Kalkgehalt hin. Der pH-Wert beeinflusst, welche Nährstoffe die Pflanze aufnehmen kann. Im extrem niedrigen oder extrem hohen Bereich sind bestimmte Nährstoffe nicht mehr pflanzenverfügbar. Andererseits können einige Nährstoffe unter Extrem-Bedingungen in so großen Mengen freigesetzt werden, dass sie schädigend auf die Pflanzen wirken. In sehr sauren Böden wird beispielsweise das für die meisten Pflanzen toxische Aluminium aus fester Verbindung freigesetzt und dadurch pflanzenverfügbar. Auch Kupfer, welches in hohen Konzentrationen Pflanzen schädigt, wird bei niedrigen pH-Werten stärker aufgenommen. Einige Pflanzen haben sich genau diese Extreme als Lebensbereich erobert und sind in dieser Nische etabliert. Typisch für die Gegend im nördlichen Piemont sind Robinienwälder, die sich gerade auf sauren Böden wohl fühlen, aber auch Rhododendren, Akazien und Azaleen sind häufig.

Unabhängig im Geist

Die Böden drücken den Weinen unverkennbar ihren Stempel auf. „Mineralität, Eleganz und eine sehr frische Säure sind typisch für unsere Weine“, sagt Daniele Dinoia selbstbewusst. Nebbiolo in diesem so leichten und floralen Stil, wie er hier im Norden erzeugt wird, hat wenig mit den mächtigen Barolo-Weinen zu tun, die nur rund zwei Auto-Stunden südlich erzeugt werden. Salzige Mineralität und eine kraftvolle, mitunter fast bissige Säure sorgen nicht nur für Haltbarkeit, sondern auch für frischen Charme und Trinkfluss. Die Farbe der Weine ist traditionell hell und die Tannine stützen die Struktur gut, sind aber immer fein und nur selten in übertriebener Menge vorhanden. Die regionalen Sorten Vespolina, Croatina, Uva rara und die weiße Erbaluce sind Beiwerk – eigentlich dreht sich alles um Nebbiolo, den die Winzer ganz offensichtlich heiß lieben und seine Eigenständigkeit gerne auf die Spitze treiben. So könnte man jedenfalls Daniele Dinoia interpretieren, wenn er klagt, dass Nebbiolo im Weingarten eine höchst komplizierte Sorte sei und abschließend mit Stolz erklärt: „Nebbiolo is a mental state.“

Die Altweinprobe

Die Weine für die einzigartige Raritätenprobe in der Villa Era stammten aus den Kellern von vier Weingütern – Villa Era, Montecavallo, Tenuta Sella und Castello di Castellengo. Italienische Sommeliers hatten die ausgewählten Flaschen kurz vor der Verkostung behutsam geöffnet und die Weine mit größter Vorsicht dekantiert. Wie hatten sich die Weine im Alter zwischen 43 und 127 Jahren gehalten? Der älteste Jahrgang,

Villa Era Archiv flaschen

Villa Era Archiv flaschen

D.Dejnega

Castellengo 1889, wurde zuerst in die Gläser geschenkt. In der Farbe leicht bräunlich und hellrot zeigte er sich im Duft sehr reif, auf angenehme und einladende Art. Am Gaumen kam sogar ein Hauch Frucht zum Vorschein. Im Resumé ein sehr gereifter Wein – noch schön trinkbar durch die erfrischende Säure, die den Wein hielt und den Abgang verlängerte.

Auch der nächste Wein, Montecavallo 1891, enttäuschte nicht. Zwar wirkte eine süße Whisky-Note ein wenig dominant und zarte Restsüße schmeichelte ihm, aber die Frucht besaß fast exotische Anklänge. Nur einer der acht Weine, Villa Era 1964, war nicht mehr genießbar. Manche waren von oxidativen Noten beeinträchtigt und hatten ihren Höhepunkt klar überschritten. Im Gesamtbild aber zeigten die Weine durchwegs eine gewisse Salzigkeit und die sehr frische Säure zog sich als Merkmal durch. Anwesende französische Sommeliers zogen immer wieder den Vergleich zu gereiften Burgundern – ein schönes Kompliment.

Flaschen Altweine

Villa Era Flaschen Altweine

D.Dejnega

Die Notizen

1889 Castello di Castellengo

Nussige Nase, herbstlich kühl und frisch, Walnuss-Nougat- Waffel. Am Gaumen noch ein Hauch gereifte rote Frucht; säurebetont, seidiges Finish. Hat sich gerade noch gehalten, erstaunlich.

1891 Castello di Montecavallo

Deutlich gereift; Whiskynoten, Kräutertee und florale Anklänge. Am Gaumen kommt exotische Frucht, die von zarter Süße gepusht wird, Noten von Teer und Hansaplast. Interessante Pikanz, zeigt noch Länge.

1904 Castello di Castellengo

Beginnt käsig; zeigt am Gaumen noch Grip und Biss. Lebendiger Säurezug, deutlich gereift mit blumig-herben Noten; Nusslikör, welkes Laub. Bricht dann im Abgang weg, morbider Charakter.

1908 Villa Era

Feine Nüsse, eingelegte Walnuss. Cremig am Gaumen, ein wenig Teer, oxidative Sauerkirsche, darunter Röstnoten und Karamell. Fein und angenehm firnig, verliert sich allerdings schnell im Glas.

1921 Tenuta Sella

Leicht rauchig, muffige Tendenz mit Rauchküche und Kamin. Deutlich rau am Gaumen, total reduziert mit null Frucht, anhaltend mit straffem Säurezug. Streng, keine Altersmilde.

1961 Tenuta Sella

Zeigt deutlich Frucht, Veilchen und eingelegte Kirschen, sehr interessant und vielfältig. Zart Grüner Tee, frische Kräuter; guter Grip, wenn auch im Finish etwas rau; hat Länge und mineralischen Zug.

1964 Villa Era

Nicht mehr genießbar.

1973 Montecavallo

Gereift, Granatapfel und feine Kräuter. Gut integrierte Säure mit lebendiger Frische, kantig. Hat eine gewisse Länge, wirkt aber ausgezehrt und macht keinen rechten Spaß.

Zum letzten BEST OF Nordpiemonbt im Magazin geht es hier.

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