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Spontan wurde ich von der Nachbarin eingeladen, an einem ganz gewöhnlichen Werktag, weil ihr mein Gemüsegarten während Wochen zur Verfügung stand. Gekocht und angerichtet hat sie Zucchetti-Gratin mit Gorgonzola statt Reibekäse, Teigwaren und ein zartes Bio-Kalbsplätzli.

Nun aber bin ich neugierig, was wohl der Herr des Hauses als Wein dazu gesellt. Zum Gorgonzolagemüse passt - nach meinen Vorstellungen - eigentlich kein Wein. Denn jeder Wein, der es wagt, dagegen anzutreten, wird vom Gemüse, dem Schimmelkäse und den vielen Eiern glatt „erschlagen”. Mein Nachbar ist kein Weinspezialist, aber er liebt den guten Wein, hat sogar eine Weinzeitschrift abonniert.

Bettflucht: Der Portugieser hat mich an den Schreibtisch getrieben

Lächelnd holt er den Korkenzieher:  „Was ich jetzt bringe, das hast auch Du wohl noch nie getrunken!” Dann macht er sich daran, eine Flasche zu öffnen, deren Etikette mir völlig unbekannt ist. Natürlich muss ich sofort meinen Kommentar abgeben, sozusagen Blindprobe.

„In der Nase deutlich Holz, aber auch Brombeeren, Himbeeren, etwas Pfeffer. Das Auge registriert einen eher hellen, stark purpur-violett gefärbten Wein, keine dunkle, aber eigenartig intensive Farbe. Im Gaumen frisch, etwas herb, an reife Kirschen erinnernd, das Holz noch deutlich wahrzunehmen, aber gut eingebunden. Mittlerer Abgang, doch erstaunlich fruchtig nachhallend...” Was habe ich denn da im Glas?

Seine Farbe% ein tiefes% purpurnes Rot

Ich kann den Wein überhaupt nicht einordnen! Doch - und dies ist das erstaunliche - er passt wunderbar zum Essen. Er kämpft nicht mit dem Zucchetti-Auflauf, er verstärkt und verändert nicht den Teigwarengoût, er setzt sich adrett neben das feine Kalbfleisch.

Jetzt endlich kommt die Flasche auf den Tisch: Portugieser von der deutschen Weinregion Saale-Unstrut. Ich gebe zu, zuerst muss ich zweimal leer schlucken, es ist mir nicht klar, ob schließlich die soeben gemachte Erfahrung, die Überraschung, die angeborene Neugier oder die gesammelten Vorurteile obsiegen werden. Ich will meinen Nachbarn nicht beleidigen und stottere etwas von einer „nicht so hoch eingeschätzter” Traubensorte, von dem nördlichsten Weinanbaugebiet Deutschlands, von der schwierigen Kombination mit dem Essen.

Ich habe nur ein Glas getrunken, vor allem weil ich mittags selten Wein zur Mahlzeit einschenke, vor allem wenn ich nachmittags arbeiten muss.

Weingarten "Längricht" Weischütz an der Weinstrasse% Saale-Unstrut
Mein Nachbar ahnt nicht, was er mit seinem Essbegleiter ausgelöst hat. Ich kann nicht schlafen: ist es der Vollmond - die Weinqualität kann es nicht sein - oder ist es die neue Erfahrung mit einem mir unbekannten Rebensaft? Jedenfalls stehe ich um vier in der Frühe auf und beginne zu recherchieren: Portugieser. Schon da widersprechen sich die Quellen: kommt er aus dem Osten oder hat ihn Schlossherr Freiherr von Fries 1772 wirklich aus Porto nach Bad Vöslau in Österreich gebracht? Aber nicht nur die Herkunft ist zweifelhaft, auch fast alle Eigenschaften werden unterschiedlich beschrieben. „Früh bis mittelfrüh” sagen die einen, „mittel bis spät reifende Sorte” die andern. Auch die Farbe reicht von „zumeist hellrot” bis „farbintensiv mit etwas Burgunderart”. Nur über eines ist man sich einig: „ein Großteil wird zu Portugieser Weißherbst verarbeitet”.

Nun zur kleinen Weinregion Saale-Unstrut, „nördlich der Anbaugrenze”. Der „Feinschmecker” hat in seinem Führer „durch die besten Weingüter in Deutschland” dem Anbaugebiet gerade mal vier von 374 Seiten gewidmet und „Gault-Millau Deutschland” bringt es immerhin auf 9 von 736 Seiten.

Ein Glas zu einem Zucchetti-Gratin mit Gorgonzola genossen
Was bin ich da in eine Welt der vinophilen Langweiligkeit geraten! Ich überfliege die Wertungen im Wein-Plus-Weinführer und alle Vorurteile werden gefestigt: „passabel (74), ordentlich (75), passabel (72), passabel (72), gut (79)” und ein einziges Mal „sehr gut (83)”. Schließlich finde ich im Forum-Archiv das ultimative Urteil „Der Portugieser ist der traditionelle Brot- und Butter-Wein.... Sicher gibt’s auch ganz gute, aber eigentlich...” braucht ihn die Welt nicht.

Zurück zu meiner eigenen Erfahrung: Zum nicht einfachen, aber prägnanten Essen passte der Wein, obwohl es nicht Butterbrot war. Er passte sogar ausgezeichnet. Und wenn ich im Nachhinein überlege, es hätte kaum ein anderer so gut dazu gepasst. Der Portugieser war schlicht genial.

Heute morgen, als der Nachbar an meinem Haus vorbei ging, da habe ich ihn um die Flasche und - wenn vorhanden - um den Rest des Weins gebeten. Und so kommt es, dass ich frühmorgens, es ist noch nicht acht Uhr, bereits ein Glas geleert habe. Und immer noch suche ich den „milden und fruchtigen Rotwein mit weichem Tannin und angenehmen Veilchenduft” . Dagegen treffe ich einen zwar säurearmen, aber doch kräftigen Wein, der zum Schimmelkäse passt und - immer mehr und deutlicher seine pfeffrige Note zeigt. Mit diesem Urteil gehöre ich wohl zu einer Minderheit, wie der Portugieser und die Saale-Unstrut in der Weinwelt Minderheiten sind. Für Minderheiten aber habe ich schon immer ein „Herz” gehabt, denn sie werden leicht unterschätzt.

Herzlich
Ihr/Euer
Peter (Züllig)

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