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Mein Neffe ist Banker. Zwar (noch) nicht so bonigesegnet, dass er nach rentablen Investitionsmöglichkeiten Ausschau halten muss. Aber seine potenziellen Kunden tun dies. Sie wenden sich vertrauensvoll an ihn, den Fachmann auf der Bank. Ein Kundengespräch im noblen Restaurant ist allemal drin. Eine gute Flasche Wein ist da gar keine schlechte Investition. Doch welcher Wein? Und was redet man, wenn es nicht gerade um das liebe Geld geht? Wie alle Banker ist auch mein Neffe ein verschwiegener Mann. Verraten tut er nichts. Doch ich weiß: Als bonierhoffender Banker braucht er nicht nur gute gesellschaftliche Manieren, er muss auch etwas über Weine wissen.

 

Der Tisch ist gedeckt% die Gäste können kommen.

Darum wird ein junger Banker – mein Neffe ist noch jung – nicht nur in Geldfragen ausgebildet, er wird auch im Umgang mit reichen und superreichen Kunden geschult. Ein Banker muss mindestens vier weiße und vier rote Rebsorten kennen. Quasi die „Big Five“ der Weinkultur. Endlich haben wir ein gemeinsames Thema, mein Neffe und ich: Weinkultur. Wie gesagt: Mein Neffe ist noch jung. Zuerst kam natürlich eine gründliche Schulung in Sachen Geld, jetzt aber kommt das „Benimm-Dich“ ins Spiel. Wein zählt längst zum Statussymbol für Reichtum. Bordeauxliebhaber können davon ein Liedchen singen. Was im prestigeträchtigen Bordelais Rang und Namen hat, verschwindet zu wahnwitzigen Preisen in Prestigekellern. Zu hundert, ja tausend und mehr Franken oder eben Euro, Dollar, Renmimbi, Rubel etc. pro Flasche. Der Wein ist aufgestiegen zum Kultobjekt der Reichen. Da muss ein guter Banker mithalten können, zumindest beim Wissen über Wein und bei den Trinksitten.

Bei der letzten Begegnung mit meinem Neffen habe ich die Probe aufs Exempel gemacht. Welche von den rund 5.000 heute noch weltweit kultivierten Rebsorten kennt er denn? Es geht noch schleppend, was ich auch verstehen kann, denn Weinkultur gehört nicht zur Kernkompetenz eines jungen Menschen, der sich in einem Geldinstitut hocharbeiten möchte.

 

Parade von Prestigeweinen

Doch wir haben sie zusammengebracht, die Big Five oder noch besser die Big Eight der Rebsorten: Cabernet Sauvignon, Merlot, Pinot Noir, Syrah, Chardonnay, Sauvignon Blanc, Riesling (als Nachbarn von Deutschland) und (Referenz an die Westschweiz) Chasselas. Aber halt! Da sind wir schon auf einer recht glitschigen Ebene. Chasselas (oder Gutedel) ist weltweit gar nicht so verbreitet und schon gar nicht „angesehen“. Und mit dem wohl am häufigsten angebauten weißen Müller-Thurgau ist kein Staat zu machen, er gilt als „kommun“. Eigentlich wäre für diese Kreise der Sauternes ein gutes Stichwort, doch dies ist keine Rebsorte, vielmehr ein Anbaugebiet. Eine Diskussion darüber ist – für den Nicht-Weinkenner – schon eher heikel. Was ist denn Barsac und wie funktioniert denn die Botrytis cinera, die es für den Sauternes braucht? Darauf lässt man sich besser nicht ein!

Und doch: Eine Rebsorte außerhalb des Mainstreams würde sich gar nicht so schlecht machen, damit ließe sich punkten. Vielleicht Primitivo? Nein, nicht in diesen Kreisen – viel zu primitiv. Montepulciano macht zumindest Eindruck, erinnert er doch an die berühmte Weinstadt in der Toskana. Doch die Rebsorte Montepulciano hat mit dem Weinort nichts zu tun, sie stammt aus den Abruzzen. Diese Korrektur anzubringen und gleichzeitig, so nebenbei, Namen zu erwähnen wie Brunello di Montalcino, Carmigniani, Chianti Classico, Vernaccia di San Gimigniano, Vino Nobile di Montepulciano, dies macht Eindruck und ist ein Beweis für höchste Kompetenz.

 

Welches ist nun die passende Flasche?

Doch schon lauert wieder neues Ungemach. Was tun, wenn man selber am liebsten Rosé hat oder irgend einen andern leichten Wein, schick und bekömmlich? Wenn man nicht weiß, dass Bordeaux-Weine in der Regel Cuvées sind, nein, besser den englischen Begriff verwenden: Blends? Wenn man noch nie etwas vom Grünen Veltliner gehört hat und nicht weiß, wohin der Syrah gehört, das Napa Valley nach Australien oder Südafrika verlegt oder gar den Pinotage als Spitzenwein bezeichnet? Wenn der Kunde von Spanien schwärmt oder Georgien als aufstrebende Region erwähnt? Ich sehe ein: Ein guter Banker muss auch ein bisschen Sommelier sein. Spätestens seit Wein zum Statussymbol aufgestiegen ist.

Es hört ja nicht auf bei den Kenntnissen von Wein und Weinsorten. Der richtige Umgang mit dem Kellner, dem Glas, der Flasche, dem Anstoßen und, und, und gehören dazu. Auch die Situation, wenn der Wein einen Fehlton hat: einen Korker zum Beispiel, oder mäuselt, UTA aufweist oder käselt... Und wie, um Himmels willen, hält man ein Glas korrekt oder noch viel peinlicher: Welches der Gläser ist für Wein, für Wasser, für den Roten, den Weißen... Nicht immer ist der Kellner oder der Sommelier zur Stelle, nicht immer kann man sich mit einem saloppen Spruch aus der Affäre ziehen.

Ich sehe ein: Jungbanker möchte ich nicht sein. Sogar als älterer Weinliebhaber stoße ich immer wieder an Grenzen. Bei mir ist das nicht weiter schlimm: Wissenslücken kann ich schließen, geschmackliche Ausrutscher darf ich mir leisten, meine höchste Wein-Beurteilungsinstanz muss nicht Parker sein.

 

Rebgebiet in der Toskana. Ein (zu) weites Feld!

Vor allem aber sind die einträglichen Geschäfte meines Arbeitgebers, und damit auch mein Lohn, nicht abhängig von meinen Sitten beim Weingenuss. Ich kann mir leisten, den Primitivo oder den Pinotage hervorragend zu finden. Auf der Weinkarte muss ich nicht verzweifelt nach einem gut klingenden Namen suchen, selbst für einen leichten Korker, den ich nicht sogleich bemerke, brauche ich mich nicht zu schämen.

Wein als Prestige-Objekt, als Ausdruck des Wohlstands und Reichtums, hört eben nicht auf beim Kauf einer teuren Flasche. Da beginnt erst die Kür, die richtige Pflege von Weinkultur. Und da wird man nicht selten allein gelassen, allein im Milieu, in dem Wein ein Symbol ist, nämlich dafür, dass man es sich leisten kann, ja leisten will. Gerne lächeln wir über die superreich gewordenen Chinesen oder Russen, die angeblich einen Mouton Rothschild mit Wasser oder gar mit Cola trinken, die nicht unterscheiden können (oder wollen) zwischen einem Premier Cru – zum Beispiel Lafite Rothschild – und dem Zweitwein des Weinguts, Carruades de Lafite Rothschild; die aufgrund der Etikette Wein kaufen, zum Beispiel den Angélus, der das glücksbringende Emblem eines Glöckleins auf der Flasche hat. Wir sind vielleicht etwas weingebildeter oder -gewohnter. Jedenfalls bilden wir uns ein, ein Stück Weinkultur zu kennen. Richtig! Doch beim genaueren Hinsehen muss ich erkennen, dass auch wir uns nicht vom Prestigedenken oder –handeln ganz lösen können. Der prestigeträchtige Bordeaux-Blend beherrscht die Weinszene. Ob Australien, Südafrika, ob Südfrankreich oder Kalifornien, ob Toskana oder Spanien, die Cabernet-Sauvignon-Merlot-Mischung – meist leicht angereichert mit ein, zwei regionalen Rebsorten – beherrscht weltweit die Weinszene. Genau so wie Holzvanille in fast jedem etwas teureren Wein anzutreffen ist. Und Champagner muss es in bestimmten Situationen sein, auch wenn der Winzersekt oder der Prosecco in vielen Fällen weit besser sind.

 

Junge Modeweine% die sich gut verkaufen

Spätestens seit dem Gespräch mit meinem Neffen, dem Jungbanker, ist mir klar geworden: Wein hat viel mehr Dimensionen als wir denken oder zugeben. Wein kann ein Genussmittel sein, aber auch eine Droge, ein Naturprodukt, vom Bauern erarbeitet, genau so wie eine Geldanlage und ein Spekulationswert, ein Statussymbol, aber auch ein Kulturgut. Die letzten beiden Bordeaux-Jahrgänge machen besonders deutlich, was Wein inzwischen auch geworden ist: ein großes Geschäft, riesiger Gewinn. Weite Regionen – fast überall in der Welt – leben vom Anbau der Reben und vom Ausbau des Weins. Doch sie haben es schwer, immer schwerer, weil zu viel Wein die Welt überschwemmt, weil auch das Weingeschäft global geworden ist, weil nicht mehr das Produkt die Preise bestimmt, sondern das Prestige. Für eine einzige Flasche eines Spitzenbordeaux kann ich mir inzwischen ein ganzes Jahr lang, jeden Tag, eine Flasche namenlosen, aber guten Wein leisten. Zwar ohne Prestige, dafür mit Genuss.

Herzlich
Ihr/Euer

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