Sobald bei meinen deutschen Weinfreunden die
Augen seltsam glänzen, die Nasenflügel zittern und die Handflächen leicht
schweißig werden, dann geht es um deutschen Riesling. Dann weiß ich auch, dass ich jetzt – als Schweizer – zu schweigen habe, denn das Thema
Riesling liegt im
Bereich von H und H und ist geradezu vermint. Nein, natürlich ist mit HH nicht
Hamburg gemeint, sondern eben ein Gebiet, wo es nur „Haue“ und „Häme“ gibt.
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Fachleute unter sich. Links: Chefradakteurin von Vinum Schweiz% Barbara Meier-Dittus% Rechts: Wein-Buchautor Ernst Meier. Im Glas Riesling-Unplugged 2007% Weingut Tesch |
Wenn ich es trotzdem wage, über eine eigene Erfahrung zu berichten, dann nur, weil es sich um ein „Experiment“ handelt, um die so bedeutende Frage: „Was trinkt der Weinfreund zu Sushi?“. Mein Problem beginnt bei diesen In-Lokalen, die plötzlich wie
Pilze aus dem Boden schiessen. Da sitzt man zum Essen an einer Art
Bar, wie Hühner aufgereiht auf dem Stengelchen und hat im besten Fall einen eifrig hantierender Koch als Gegenüber, meist aber nur Schälchen mit Leckerbissen, die auf einem Fließband vorbeiziehen. Schwupp – man kann sich bedienen! Was ich anfänglich als Gag noch lustig finde, wird für mich
rasch zum Horror: Fließband und Essen, das bringe ich beim besten Willen nicht zusammen. Bald einmal ziehen anstatt Häppchen die Bilder aus Charles Chaplins Satire „Modern Times“ (1936) an mir vorüber: sie wollen mir bewusst machen, dass „moderne Zeiten“ auch unsere Esssitten erfasst haben.
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An der Sushi-Bar - Der Koch bereitet vor den Augen der Gäste die Sushi zu |
Nun, bei diesem „Experiment“ ist es eben nicht um die von
Japan eingebürgerte, verwestlichte Esskultur gegangen, sondern um
Wein, genauer gesagt: um Riesling. Doch schön der Reihe nach. Eingeladen hat das „Deutsche Weininstitut“ – und zwar nicht irgendwo in
Deutschland, nein in meiner Nähe, in Zürich. Serviert werden „trockene, feinherbe und
süße Rieslinge aus verschiedenen deutschen Anbaugebieten“, begleitet von der Aufforderung: „erzählen Sie uns anschließend, welche Kombinationen von
Riesling & Gyoza, Tempura oder Uramaki Ihnen am besten gefallen haben.“
Allein schon die Aufgabenstellung ist für mich ein Rätsel. Was ist Gyoza? Natürlich eine gefüllte Teigtasche, werde ich belehrt. Und was ist Tempura? In der Sprache des Vermittlers der kulinarischen Köstlichkeiten heißt dies etwa: „Crevetten im Glasnudel- und Sesam-Tempuramantel, gedämpfte Teigtaschen gefüllt mit Schweinefleisch,
Ingwer, Lauch und Chinakohl, Flusskrebse im Teig...“. Ich gebe zu, allein schon dieser Speisezettel ist ganz schön aufregend. Dazu wird aber nicht etwa
Bier oder Green-Tea ausgeschenkt, nein deutscher Riesling.
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Sushi hat viele Formen und ganz unterschiedliche Aromen |
Während mein Nachbar zur Linken relativ
rasch und klar zu allem eine Meinung hat: „zu den Crevetten passt
Wein Nr. 5, zu Lachs natürlich
Wein Nr. 3 und zum Algensalat geht überhaupt nichts....“, stochere ich etwas ratlos in den Häppchen, nippe am Glas und habe überhaupt noch keine begründbare Meinung. Schon bei der zweiten Runde – es sind deren vier – lasse ich es darum sein mit dem Kombinieren und konzentrierte mich zuerst aufs Essen, dann aufs Trinken. Schön der Reihe nach. Da wird es mir – wen wundert’s – trotz Minenfeld (siehe oben!) – schon etwas wohler. Eigentlich beginnt mein „Irrlauf“ durchs Riesling- und Sushi-Reich beim Apero.
Weingut Tresch, Riesling-Unplugged 2007,
Kabinett trocken. Die weit gewiefteren Rieslingexperten unserer Schweizer Runde rümpfen die Nase: „gewöhnungsbedürftig“, ist der freundlichste Kommentar, den ich aufschnappen kann.
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Riesling im Glas - wie passt dies zu Sushi? |
Doch mir gefällt der
Wein ausserordentlich. Irgendwie ein
ehrlicher Wein, keine versteckte, falsche
Süße, deutliche
Säure, jung, frisch, “staubtrocken“, höre ich aus der Runde. Dann zum ersten
Durchgang der Sushis, taucht für mich ein Gegensatz auf, fast schon ein Schock: Riesling-Sekt.
Solter brut 2005. Ich tu mich schwer, wohl weil
Sekt kaum je mein Essen begleitet hat. Allerdings hat die prononcierte Süsse und das frische Prickeln etwas für sich als „Famuli“ der pikanten Füllungen in den Teigtäschchen. Nun aber geht es erst richtig
los:
Willi Haag, Braunberger
Juffer Riesling Kabinett 2007 und Dubacher Weinbaugenossenschaft,
Durbacher Plauelrain Klingelberger Riesling Kabinett trocken 2007. Die Verwirrung nimmt zu: der Braunberger
Juffer passt gut zum Lachs, notiere ich, der
Klingelberger zu gar nichts. Dabei finde ich den
Klingelberger eigentlich besser. Doch lassen wir das.
Die nächste Runde steht schon an: Georg Breuer, Terra Montosa 2007,
Carl Loewen, Thörichter
Ritsch 2005,
Van Volxem,
Schiefer Riesling 2008. Bei
Van Volxem war ich mit meinen Weinfreunden vor zwei Jahren. Jetzt, da der
Wein aufgestellt wird und erst noch zu japanischen Gerichten, schmeckt er so ganz anders. Ist es nur ein anderer
Jahrgang, oder sind es die besonderen Umstände hier in der Sushi-Bar? Die Zeit reicht nicht, um gleichzeitig zu essen, zu trinken, den Erklärungen zuzuhören und noch eigene Gedanken zu notieren. Bereits steht die letzte Runde an:
Peter Jakob Kühn,
Rheingau,
Riesling Kabinett 2007. Halt, da war ich ja auch schon – es ist etwas länger her. Verkostet habe ich damals die
Weine des Weinguts. Was weiß ich noch, was ist geblieben? Nur an die lebhafte Diskussion um den
Schraubverschluss kann ich mich noch erinnern.
Dann der nächste
Wein:
Markus Molitor,
Alte Reben 2005 und schließlich Vollenweider,
Mosel, Wolfer Goldgrube 2007. Warum hat mir ausgerechnet diese „Goldgrube“ am besten gefallen? Das schlechte Gewissen plagt mich, Vollenweider ist ein Schweizer, der vor etwa 10 Jahren in die
Mosel zog. Also doch Chauvinismus? Ich wage nichts zu sagen – H und H liegt als weites Feld vor mir. Der Abend ist trotzdem genussreich, die Häppchen mit ihren oft seltsamen Aromen haben mir gemundet, die Begegnung mit dem
Riesling ist spannend. Beschwingt gehe ich nach Hause – fast ohne Notizen. Ein schöner Abend! Erste Anmerkung: Zwei Wochen später, als ich meiner Gästeschar einen Wildlachs aus
Alaska vorsetze, hole ich eine schon fast vergessene
Flasche Riesling von Kühn aus dem Keller,
feinherb, glaub ich, nennt man das, was aus der
Flasche kam. Die Runde war hell begeistert. Zweite Anmerkung: An der letzten
Auktion wollte niemand für das
Lot 1267 bieten.
Franz Künstler,
Hochheimer Hölle 1997, 8
Flaschen Riesling Spätlese, halbtrocken. Da ist meine Hand ohne lange abzuwägen hochgeschnellt. 100
Franken (brutto 126 CHF) oder eben rund 10 Euro die Flasche. Jetzt warten acht Rieslinge auf den nächsten Lachs, einige Sushi-Häppchen oder einfach auf den Griff nach einer guten
Flasche Riesling. Dritte Anmerkung: alle aufgetischten
Weine sind auch in der
Schweiz im Handel.