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Bloggen ist in. Es gibt kaum eine Zeitschrift, eine Zeitung, ein Fernseh- oder Radioprogramm, die darauf verzichten wollen oder können. Auch private Blogger gibt es zuhauf. Die „Demokaratisierung“ der Medien hat eingesetzt, eigentlich ist sie schon voll im Gange. Auch im Bereich des Weinjournalismus. Oder besser: beim Schreiben und Diskutieren über Wein. Einer der besten und eigenwilligsten deutschen Weinblogger, Dirk Würtz, hat eine Diskussion weitergeführt, die in der Zeitschrift „Feinschmecker“ lanciert wurde: „Inflation der Kritiker“… Und prompt hagelt es Kommentare, so viel wie kaum zuvor, 86 bis heute.

 

Blogger Dirk Würtz% wenn er nicht im Internet ist

Im Grunde genommen geht es um die Frage der Professionalität im Journalismus, besonders im Weinjournalismus. Dies interessiert mich, war ich doch ein Berufsleben lang Journalist. Journalist BR, was so viel bedeutet wie: eingetragen im Berufsregister. Mit andern Worten: ich habe ausschließlich mit Journalismus mich und meine Familie ernährt. Das war noch vor der Bloggerzeit. Dabei habe ich aber nie über Wein geschrieben. Ich bin also kein Weinjournalist. Trotzdem schreibe ich jetzt über Wein. In diesem neuen Metier also bin ich nicht „berufsregistertauglich“, viel eher ein Amateur, im besten Sinn des Wortes.

Journalisten sind auch keine Richter, Weinjournalisten in einem gewissen Sinne schon. Sie richten nicht über Menschen, sondern über Weine. Dies unterscheidet ihre Arbeit von vielen, ja den meisten andern journalistischen Bereichen. Kommt dazu, dass dabei in einem besonders sensiblen Gebiet agiert wird. Der berühmte kaiserliche Daumen nach unten ist zwar nicht mehr tödlich, kann aber Verlust und finanzielle Einbußen bedeuten, besonders wenn es der Daumen eines bekannten Weinkritikers ist.

 

Kaiserliche Geste: Daumen hoch% Daumen runter

Dies hat mit Journalismus wenig zu tun, schon viel eher mit Gladiatorenkämpfen. Die aber sind – im römischen Reich – seit dem 5. Jahrhundert verboten. Im Journalismus gibt es die Sparte „Kritik“ eigentlich nicht oder nur ganz am Rande. Zum Beispiel in der Kunst, beim Film, beim Theater und eben auch beim Wein. Dabei müssen Kritikerinnen und Kritiker besonders legitimiert sein, durch Fachwissen, vor allem aber durch Verankerung im Medium, in dem sie ihre Meinungen und Wertungen veröffentlichen. Die Empfänger wollen wissen, wer was wie beurteilt. Öffentliche Kritik, sei es nun Lob oder Tadel, ist immer eng mit dem Kritiker, der Kritikerin verbunden. Objektive Kriterien vermählen sich mit subjektiver Akzeptanz und Glaubwürdigkeit. Und da sind die Dämme – zumindest im Weinbereich – längst gebrochen.

Dirk Würtz formuliert es auf seine, meist nicht gerade zimperliche, offene Art: „….was ich da manchmal erlebe, ist schon sehr absonderlich. Jeder dahergelaufene und gelangweilte Hausmann wird zum wichtigen Weinkritiker. Schreibt für “total wichtige” Publikationen - meistens ist es ein Forum - und penetriert die Weinwelt ...

 

Webseite von Dirk Würtz% die 86 Kommentare provozierte

Solch starker Tobak musste ja zu Widerspruch oder Beifall führen. „Hallo Dirk, ich finde deine Ausführungen doch ein bisschen einseitig…“, so der erste Kommentar. Sofort tritt der Mathematiker auf den Plan: „Punkt 1: Wenn sich ein Blogger durch Einladungen und Presseevents korrumpieren lässt, liegt auf Seiten des Schreibers eindeutig ein persönliches Defizit vor. Punkt 2:…..“ Das geht so weiter bis Punkt 5. Dann der obligate Hinweis auf die Subjektivität: „Die Professionalität eines Verkosters, nicht eines Journalisten!, lässt sich nun mal nicht objektiv überprüfen. In der Branche, wie in vielen anderen auch, profitieren beide Seiten, Winzer und Kritiker, von einander.“ Jetzt natürlich die polarisierende Feststellung: „….Auch Weinblogger werden langsam aber sicher instrumentalisiert. Hier eine Einladung, dort eine “Pressereise”, jede Menge Probeflaschen. Ich sehe das sehr kritisch….Mehr Mut wünsche ich vielen Bloggerkollegen! Dieser “Wohlfühlzustand”! ist unerträglich teilweise.“ Es kommt der Gedanke einer Blogger-Charta auf. Es gibt ja auch im Journalismus festgeschriebene Grundsätze, so etwas wie ein Ehrenkodex. Warum nicht auch im Bereich der Blogger? „Ich denke, die Mitglieder der online-szene wissen, wie sie Blog-Schreiber und Beiträge einzuordnen haben. Verwirrt sind doch eher die Kollegen aus den PR-Agenturen, die sich nicht die Zeit nehmen, Bloggern und ihren Diskussionen längere Zeit zu folgen….“, meint ein Profischreiber. Damit bekommen auch die PR-Leute ihren Anteil an Schelte ab. In der engagierten Diskussion wird festgestellt: „…dass die Profis von dieser Entwicklung nicht begeistert sind …. Einzige Möglichkeit wäre es, eine Art “Zertifizierung” mit Ringversuchen etc. ins Leben zu rufen, wo es dann wenigstens eine Art statistische Absicherung der Verkostungsergebnisse gibt….“ Aha, zertifizierte Weinkritiker, dies fehlt bisher noch. Blogwendend die Reaktion: „hahaha……… brauchen wir jetzt also einen Verkostungs-Führerschein?! Typisch deutsche Diskussion!!!“

 

Weinblogger-Treffen auf ProWein (Bild: Blog Weinkaiser)

Ich möchte hier abbrechen. Die Diskussion geht natürlich weiter, sie ist nachzulesen auf http://wuertz-wein.de/wordpress/2011/05/10/die-inflation-der-kritiker/. Es lohnt sich, auch wenn die Diskutanten in etwa immer wieder die gleichen sind und die Argumente auch weitgehend bekannt. Es lohnt sich überhaupt, sich Gedanken zu machen über den Wandel im Journalismus. Die klassischen Formen von Bericht, Reportage, Report, Interview, Porträt, Stories etc., die fast schon seit Gutenbergs Zeiten definiert sind, sind in einer Mischtrommel gelandet, aus der neue Kreationen von journalistischen Formen entsteigen und sich festmachen in der Blogger-Szene. Am Anfang war ich entsetzt: wo kommen wir da hin, wenn sich Kommentar und Bericht, wenn sich Meinung und Fakten kunterbunt mischen? Inzwischen bin ich fast bekehrt. Ich habe unter Bloggern auch gute Rechercheure kennen gelernt, auch wenn sie (noch) in der Minderheit sind. Auch die klassische angelsächsische Trennung von Information und Kommentar wird da und dort wieder eingeführt. Blogs haben auch immer öfter ein „Stammpublikum“, das sich durchaus mit Abonnenten vergleichen lässt (auch wenn dafür nicht bezahlt werden muss). Selbst PR und Werbung, wohl der heikelste Bereich, werden in Blogs immer häufiger klar markiert.

 

Professioneller Weinblog der Zeitschrift Vinum

Die technisch bedingte neue Möglichkeit, den klassischen Journalismus durch Blogs zu erweitern und vor allem die „Leserbriefspalten“ weit zu öffnen, hat so etwas wie eine Demokratisierung der Informationswelt gebracht. Informationen können besser fließen. Zweifellos. Und doch bleibt immer wieder ein schaler Nachgeschmack. Nämlich dann, wenn Blogger zu Richtern mutieren. Wenn ohne Gesetz und Ordnung, ohne Kodex und Richtlinien, ohne Kontrollinstanzen und Verantwortlichkeiten, ohne Verteidigung des Angeklagten (Weins) ge- und verurteilt wird. Dagegen sträubt sich nicht nur mein Rechtsempfinden, dagegen sträubt sich meine (vielleicht idealisierte) Vorstellung einer informierten Gesellschaft.

Herzlich
Ihr/Euer

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