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Es sind vier Jahre her, seit Giovanni Trapattoni – der erfolgreiche italienische Fußballtrainer – der „leeren Flasche“ zum Kultstatus verholfen hat: „Was erlauben Strunz, ... ware’ schwach wie eine Flasche leer... ich habe fertig!“ (http://www.youtube.com/watch?v=gCvRRFwBs3Y) Seither wird die „leere Flasche“ in allen möglichen (und unmöglichen) Situationen als Zitat verwendet. Dabei ist beim Wein die Hülle – in der Regel ist es eben eine Flasche – von tragender Bedeutung. Sie prägt das Image des Weins, ist aufgrund des unerlässlichen Verschlusses Anlass zu den hitzigsten Diskussionen, ja, zu eigentlichen Glaubenskriegen, und schließlich ist sie – versehen mit einem Etikett – auch Statussymbol.

 

Prestigeweine einer Auktion% Weinbörse 83-2012 (Foto: P. Züllig)

Königlicher oder Arme-Leute-Wein wird nicht in eine Wiege gelegt, sondern in die entsprechende Flasche verpackt, abgefüllt. Die „Fülle“ wird in allen Stadien – ob jung oder alt, ob ruhig gelagert oder Schwankungen ausgesetzt – analysiert, kritisiert, gelobt oder heftig getadelt, gerühmt oder verdammt, sogar in Rangordnungen gepresst. Die Hülle hingegen – obwohl augenfällig und angeblich an vielen Übeln schuld – bleibt unerwähnt, wird – sobald leer – meist umweltgerecht entsorgt. Dabei hat sie mehr (Symbol-)Kraft, als wir ihr zubilligen.

 

Traditionelle Korbflasche „Fiasco“ aus der Toskana (Foto: P. Züllig)

Die meisten Menschen werden durch die Flasche und weit seltener durch deren Inhalt weinsozialisiert. Sie ist eben auch Attribut der Mode und ein Bekenntnis zu einer bestimmten Art von Wein-Konsum und -Genuss. Bei mir waren es die Korbflaschen aus der Toskana, „Fiasco“ genannt, die zuallererst den Begriff Wein prägten. Da lese ich kürzlich in einem Kochblog: „... ich möchte demnächst eine italienische Party machen und suche verzweifelt diese schönen Korbflaschen mit Chianti. Ich weiß, zu meiner Teeniezeit brachte jeder zweite so eine Flasche mit zur Fête (war nicht teuer und viel drin). Jetzt nach 25 Jahren wollte ich diese Flaschen teils zur Deko und natürlich auch zum Trinken kaufen.“ So ganz daneben kann also mein Hinweis auf die Weinsozialisation nicht sein. „Meine Fiaschi“ verschwanden allerdings schon recht bald vom Tisch und nahmen als Lampenständer in der Studentenbude Platz. Ins Glas kam Wein aus Literflaschen – meist aus Frankreich oder Algerien – aber fast immer mit Kronkorken oder Drehverschluss.

Auf die Idee, daraus „minderwertigen“ Wein zu trinken, kam ich schon gar nicht: Der Wein war gut, billig und entsprach meinem damaligen Weingeschmack. Dann – auf meiner ersten Reise in die Provence – lernte ich den Verkauf von Wein „en vrac“ kennen – bei uns als Bulk-Wein bezeichnet. Noch heute stehen – vor allem in Südfrankreich – in den Wein-Shops – besonders in den Genossenschaften – große Stahltanks bereit, aus denen die Kunden Wein in größere Behälter (Bidons) – meist aus Plastik – abfüllen und sehr oft zu Hause in Flaschen umschütten. Qualitätsweine (AOC) dürfen heute nicht mehr so verkauft werden. Bis in die 1960er Jahre war der „Offen-“ oder „Bulk-Kauf“ selbst im Burgund und anderen angesehenen Weingebieten noch möglich – ein Glück für Weinfreaks. So füllte ich noch lange Jahr für Jahr „meine eigenen Flaschen“ zu Hause ab und war stolz auf die Qualität, die wir – meine Freunde und ich – irgendwo in der großen Weinwelt aufgetrieben hatten.

 

Abfüllen von Flaschen – Beginn meiner Weinsozialisation vor mehr als 30 Jahren (Foto: P. Züllig)

Die Weinsozialisation durch Flaschen geht aber weiter; sie ist heute noch nicht abgeschlossen. Das Abfüllen von „Vrac-Weinen“ brachte mich zu den Flaschen in „Bordeaux-Form“. Nur sie ließen sich – weil sie keine Bäuche haben – einigermaßen ordentlich liegend stapeln. Also begann ich leere Bordeaux-Flaschen zu sammeln.

Eine weitere Wandlung im Umgang mit Flaschen hat sich stillschweigend vollzogen: Die 0,75-Liter-Flasche kam auf den Tisch, äußeres Zeichen der „Weinkennerschaft“. Nie hätte ich mich getraut, selbst wenn ich zu Hause war, eine Literflasche aufzumachen. Dieser Viertelliter macht es aus, um wenigstens „äußerlich“ ein „anständiger Wein“ zu sein. Endlich habe ich es geschafft, so sehr weinsozialisiert zu sein, dass die Etiketten – und nicht mehr die Flaschengröße und -form – mein Weinverständnis definieren.

Und da sich schon mein Sammeln von leeren Bordeaux-Flaschen im Freundeskreis herumgesprochen hat, wurde Bordeaux – zumindest die Flaschenform – zur bestimmenden Norm. Automatisch schlossen sich die Burgund-, Bauch- und anderen Flaschen aus. Bordeaux muss es sein, sonst kommt mein Weinkeller durcheinander. Es blieb aber nicht bei den leeren Flaschen, allmählich kamen volle dazu – auch „echte“ Bordeaux. Und wieder setzte ein Quantensprung in meinem Weinbewusstsein ein: das Karaffieren oder Dekantieren.

 

Vin en Vrac (Foto: P. Züllig)

Flaschen erklommen gar nicht mehr meinen Tisch. Sie wurden vorher umgefüllt – dekantiert – in Karaffen mit den wunderlichsten, aber auch schönsten Formen. Wieder übernahm das Glas (und seine Form) so etwas wie eine Leitfunktion. Besonders kostbare Weine wurden in besonders eleganten Karaffen präsentiert, einfachere Weine in einfacheren. Das ging so lange gut, bis mir meine Freunde auf die Schliche kamen. Also konnte ich fortan keine „einfacheren“ Karaffen mehr aufstellen.

Das eigentliche Ungemach mit den Flaschen kam aber – plötzlich, so vor zehn Jahren – von ganz anderer Seite. Es war zuerst länderspezifisch klar zu orten: Deutschland oder Österreich. Obwohl ich weiterhin standhaft Karaffen (und keine Flaschen) aufstellte, gab es keinen „schönen“ Wein mehr ohne eine Verschluss-Diskussion: Naturkorken, Kunststoffkorken, Glaskorken, Schraubverschluss, Kronkorken… die verschiedenen Marken, die verschiedenen Typen, die verschiedenen Ausführungen. Und wenn ich seither eine Weinzeitschrift aufschlage, einen Testbericht lese oder einen Wein-Blog besuche, ich treffe sie immer an, die Flaschenverschlussdiskussion. So hat mich also die Flasche – auch die leere – wieder eingeholt. Ich weiß jetzt mit Bestimmtheit: Es geht zuallererst um die Flasche und erst viel später um den Wein.

 

„Château Karton“ auf der ProWein in Düsseldorf (Foto: P. Züllig)

Und wieder musste ich mich mit einem schon fast „revolutionären“ Flaschenersatz beschäftigen, mit dem „Château Karton“. Eigentlich wollte ich mir das ersparen, bei meinen Bordeaux-Flaschen bleiben und bei meinen Karaffen (es sind inzwischen mehr als 30 – also genügend, um Qualitätsstufen zu markieren). Doch meine Freunde stellten jetzt – bevor Wein ins Glas kam – fast immer die Gretchenfrage: „Wie hast du es mit dem Karton?“ Eigentlich gar nicht, wollte ich sagen. Doch diese Antwort zählte nicht. Also bemühte ich mich um eine neue – zeitgemäße – Weinsozialisation. Es war schwierig, ernstzunehmende Weine im „Château Karton“ zu finden. Auf der riesigen Fachmesse ProWein in Düsseldorf fand ich – unter Tausenden – gerade mal zwei oder drei Anbieter. Schließlich habe ich den Sozialwandel in mir doch geschafft. Ich finde die Kartons praktisch und brauchbar, nur nicht ästhetisch. Mit gutem Wein gefüllt sind sie sogar eine echte Alternative für Weintrinker, bei denen immer mal offene Flaschen in der Küche oder im Kühlschrank stehen; was bei mir kaum der Fall ist. Also bleibe ich doch bei den Flaschen.

 

Mein Weinkeller% schön geordnet (Foto: P. Züllig)

Die nächste Hürde habe ich mir selber eingebrockt. Wieder sind die Flaschen ein Stein des Anstoßes. Ich lerne immer mehr Weine aus immer mehr Weingebieten kennen und schätzen. Zuerst waren es die Burgunder. Doch die Flaschen ließen sich gar nicht gut in meinen – für Bordeauxflaschen – so praktisch angelegten Keller integrieren. Dann kamen eigentümliche Spezialformate (mit ausgezeichnetem Inhalt), wie zum Beispiel die Bocksbeutel aus Franken. Noch schlimmer, mein Freund, der Winzer, füllte seinen besten Wein in dickbauchige Flaschen ab, die überhaupt nicht mehr in meine ausgeklügelte Kellerordnung passen. Dazu kamen Großformate: Magnum, Doppelmagnum, Jeroboam, Methusalem… bis hin zum Goliath. Doch auch der Piccolo oder die „Halbe“ hielten Einzug bei mir.

Und dann erst die Entsorgung. Die Flaschencontainer in unserem Dorf – wie in den meisten Orten – verfügen über drei Kategorien für Leerflaschen: weiß, grün und braun. So oft stehe ich ratlos davor: Was mache ich mit dieser verflixten blauen Flasche? Oder: Ist das nun eine grüne, eine braune oder gar eine schwarze Flasche? Da bin ich überfordert. Einfacher haben es die Franzosen. Flaschen sind da einfach Flaschen, ob grün, weiß oder braun: schwupps – wenn überhaupt – in den Container.

 

Ready-to-Trink (Foto: P. Züllig)

Wer jetzt annimmt, „... ich habe fertig“, die Flaschenformqual nehme ein Ende, den muss ich enttäuschen. In einem Lebensmittelgeschäft habe ich nun die ultimative Lösung gefunden: den „Glas-Wein“. Nein, nicht etwa das Wein-Glas, das kenne ich ja schon lange (denn ich trinke ja Wein nicht aus Tassen, Bechern und Pokalen). Doch der „Club des Sommeliers“ hat den „Glas-Wein“ kreiert. Ein Trinkglas eben – welches in diesem Fall – Weißwein zum Inhalt hat. Der Verschluss eine Alufolie, der Inhalt 187 Milliliter, 12,5 Volumenprozent, Pays d’Oc, Château Capendu (Corbières). „Ready-to-Trink“ nennt sich die Linie: „Die ideale Lösung für Weinkonsum bei nahezu allen Außenveranstaltungen, Picknick, Fast-food... einfach zu öffnen durch abziehen einer Aluminium-Schutzlage, welche unsere Weine perfekt bewahrt. Das 100% recycelbare PET-Glas ist unzerbrechlich und garantiert einen einwandfreien Schutz der Aromen.“ Werbung gekonnt in vier Begriffe zusammengefasst: unzerbrechlich, qualitätsbewusst, recycelbar und durchsichtig. Ich gebe zu, in Französisch klingt es schon etwas eleganter: „incassable, recyclable, transparence, conservation + 12 moins“. Übrigens: es gibt das „Ready-to-Trink“-Glas mit Rot-, Rosé- und Weißwein. Immer mit der Garantie: „Die Weine, welche wir in unsere Gläser füllen, sind genau die gleichen, welche wir in den 75-cl-Flaschen anbieten.“

Ist dies nun der Abschied von der Flasche? Hat Giovanni Trapattoni die Situation frühzeitig erkannt? Wie der Wein ist, der da kauffertig ins Glas verpackt wurde, weiß ich nicht. Ich habe ihn noch nicht getrunken. Doch es geht ja hier nicht um den Wein, um die Fülle, es geht um die Hülle: „... ware’ schwach wie eine Flasche leer... ich habe fertig!“

Herzlich
Ihr/Euer

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