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Es ist mir aufgefallen, dass ich in meiner Kolumne und bei Weinbeschreibungen in der letzten Zeit immer wieder den Begriff „authentisch“ verwendet habe, und zwar in allen nur denkbaren Umschreibungen und Varianten: glaubwürdig, sicher, untrüglich, echt, verlässlich, zuverlässig, verbürgt, unverfälscht, ungekünstelt, charakteristisch, eigentlich, natürlich, nicht imitiert, originell… Warum wohl? Warum wird „authentisch“ immer mehr zu einem Schlüsselbegriff beim Beschreiben und Beurteilen von Weinen? Kann es sein, dass ein Wein dem andern immer mehr gleicht; dass Rebsorten, Anbaumethoden, Vinifikation bis hin zur Vermarktung einem kaum definierten, aber latent vorhandenen Leitbild folgen?

 

Mainstream – die Stromlinienform gehört dazu (Foto: Peter Züllig)

Der ominöse Begriff „Terroir“ – nur selten präzise definiert – hat sich längst in der Weinsprache festgesetzt. „Terroir-Weine“, zum Beispiel, was auch immer darunter verstanden wird, ist ein Gütesiegel geworden. Gleichsam ein Gegenpool zu den Begriffen „Internationalität“ oder „Mainstream“, die sich genauso in der Weinkritik festgesetzt haben. Auch ich bin von diesem Trend in den Formulierungen, bis hinein in mein Denken, nicht verschont geblieben. Auf meiner Fahrt durch das riesige Rebgebiet des Languedoc – fast 300 Kilometer im Stundentempo von acht Kilometern – hat sich „Authentizität“ geradezu zum Phantom entwickelt. In der letzten Kolumne schrieb ich: „Manche Winzer, auch Genossenschaften, haben erkannt: Es gibt einen Markt zwischen den Einfachweinen und den meist überholzten Modeweinen – es gibt den Markt des guten Terroir-Weins: eigenständiger Rebsortenspiegel, sorgfältige Arbeit im Rebberg, traditionelle und saubere Vinifikation und kein Schielen auf das, was gerade Mode ist.“

 

Präsentation der Genossenschaft „Caves Richemer“ von Marseillan und Agde (Foto: Peter Züllig)

Das alles hört sich so einfach an. Im Languedoc gehören dazu – zum Beispiel – die Rebsorten Syrah, Grenache Noir, Mourvèdre, Carignan und Cinsault für die Roten; Grenache Blanc, Macabeu, Viognier, Chardonnay, Roussanne, Marsanne, Clairette, Ugni Blanc, Rolle und Bourboulenc für die Weißen. Bei den Rotweinen dominiert eine Mischung von drei bis vier der hier anerkannten AOC-Rebsorten. Daraus entsteht der „typische“ oder eben der „authentische“ rote Languedoc-Wein. Dem Winzer bleibt dabei immer noch viel Spielraum, um seinen ganz persönlichen, eigenständigen Wein zu kreieren. Dazu gehören die Bodenbeschaffenheit, das Klima, die Arbeit im Rebberg, das Verhältnis der Anteile der einzelnen Rebsorten, die Art der Vinifikation, der Einsatz von Holz, der Ausbau in Fässern oder Tanks etc. All diese Möglichkeiten – und noch ein paar mehr – können und dürfen ausgeschöpft werden, um „authentische Weine“ aus dem Süden Frankreichs in einer großen Vielfalt auf den Markt zu bringen. Doch dies genügt – wie in fast allen Weinregionen – längst nicht mehr, zumindest nicht den Winzern und leider auch nicht den Konsumenten. Man schreit – gerade im Languedoc, das nicht das Renommee von Bordeaux oder Burgund hat – nach mehr Cabernet Sauvignon, Merlot, Pinot Noir, aber auch nach Holzausbau, prägnanteren Aromen etwa von Cassis, schwarzen und roten Beeren, nach mehr Wucht, Kraft und Volumen.

 

High-Tech im Weinkeller (Foto: Peter Züllig)

Auf der „größten Weinmesse unter freiem Himmel“, vor zwei Wochen in Cap d’Agde (am Mittelmeer), stellten etwa 80 regionale und lokale Winzer während drei Tagen ihre Weine vor. Ich habe gut hingeschaut und zugehört, ich habe einiges probiert und viel diskutiert. Der Trend ist eindeutig – man spricht den ersten Teil eines Gedanken offen aus: „Unsere Weine müssen besser verkauft werden“, doch den zweiten Teil verschweigt man meist: „Wir müssen deshalb viel stärker auf die Kunden und ihre Wünsche achten.“ Darunter wird eindeutig verstanden: „Wir brauchen mehr Mainstream, vor allem populärere Traubensorten: Cabernet Sauvignon, Merlot und Pinot Noir.“ Das Angebot an Vin de Pays d’Oc, also nicht-AOC-zugelassenen Weinen, nimmt sprunghaft zu. Ohne Trendsorten, Barriques, ohne Konzentrator und High-Tech im Keller lässt sich – so die Überzeugung vieler Genossenschaften (aber auch Winzer) – kein „guter“ (sprich: verkaufbarer) Wein machen. Selbst das „Bio-Label“ und all die weintechnischen Extravaganzen (wie Vergraben von Amphoren, Beschallung mit Musik, Lagern in Stollen etc.) dienen mehr dem Marketing als der Verbesserung der Weine.

 

Vermarktung auf der „größten Weinmesse unter freiem Himmel“ in Cap d'Agde (Foto: Peter Züllig)

Die Gesetze der Vermarktung haben das Bewusstsein für „authentische“ Weine längst umnebelt. Nicht nur im Languedoc. Weil diese Gesetze aber (mehr oder weniger) global sind und das Know-how des „modernen Weinbaus“ genau so vermarktet wird wie die Weine selber, entstehen immer mehr ähnliche – ich wage zu sagen: gleichartige – Weine, sei es im Bordelais, im Languedoc, in Australien, in Italien, in Südafrika, in Kalifornien. Das ist mir längst aufgefallen, nicht erst jetzt im Süden Frankreichs. Selbst im Bordelais, das sich so selbstbewusst und eigenständig gibt, reitet man auf dieser Welle: Mit immer größerem finanziellem Aufwand und mehr Mitteln werden immer „bessere“ Weine gemacht. Und die Weine gleichen sich immer mehr. Die Super-Seconds sind längst zu den Premiers aufgerückt, und wer nicht mehr High-Tech in den Keller bringt und keine neuen Philosophien für den Rebbau entwickelt, ersetzt die Traktoren durch Pferde und setzt die Mondkonstellation als Richtwert für die Arbeiten im Rebberg und im Keller ein. Und alle, ob Kleinwinzer, Genossenschaften oder Wein-Multis beschwören: „Unser Ziel ist es, gute – noch bessere Weine zu machen.“

 

Fahrt durch die riesigen Rebgebiete des Languedoc (Foto: Peter Züllig)

Während vieler Jahre – als ich versuchte, den Status eines Weinliebhabers zu erreichen – habe ich mich ganz auf Bordeaux-Weine konzentriert und versucht, die Eigenheiten und Eigenständigkeiten des Bordeaux zu ergründen und Château von Château zu unterscheiden. Bis zu einer gewissen Perfektion habe ich das geschafft. Heute aber ist das kaum mehr möglich. Es gibt zwar (auch unter den Spitzenweinen) gute und bessere Weine, doch das hat mit Terroir, Authentizität, Lage und Weinbaukunst wenig zu tun, viel mehr mit Labortechnik, Analyse und Einschätzung des gerade am besten vermarktbaren Weinstils.

Was im Bordelais (und andern renommierten Weingebieten) funktioniert, hat sich fast über die ganze Weinwelt ausgebreitet. Selbst China macht wunderbare Weine à la bordelaise, globalsprachlich ausgedrückt gute „Bordeaux-Blends“. Dazu gehören: Konzentrator, Eichenfass, die Rebsorten Cabernet Sauvignon und Merlot – der Rest wird dann als Ausdruck des Stils oder des Terroirs „verkauft“.

 

Vermarktung des Weins im Genossenschaftskeller von Ventenac% Minervois (Foto: Peter Züllig)

Noch nie habe ich diesen Trend so hautnah und allgegenwärtig erlebt wie auf meiner Fahrt durchs Languedoc. Noch nie habe ich auf einer „Weinmesse“ so deutlich zu spüren bekommen: Auch wir können „Mainstream-Weine“ machen. Noch nie habe ich so viele „nicht-authentische“ Weine verkostet wie in den letzten Wochen und Monaten. Deshalb wohl meine Sehnsucht nach all den Wein-Eigenschaften, die immer mehr verschwinden: „glaubwürdig, sicher, untrüglich, echt, verlässlich, zuverlässig, verbürgt, unverfälscht, ungekünstelt, charakteristisch, eigentlich, natürlich, nicht imitiert, originell…“

Herzlich
Ihr/Euer

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