Das Weindorf Berlou liegt fast am Mittelmeer, gut 50 Kilometer vom Strand entfernt, am Fuße der Vorberge des „Haut Languedoc”. Trotz des mediterranen Klimas lässt der Frühling in diesem Jahre auf sich warten. Die Marktfrau entschuldigt sich: die paar Blumen auf dem Tisch seien eben die ersten frei gewachsenen Frühlingsboten.
In der Agenda von „Terre de Vin” entdecke ich eine Annonce: „Printemps de Berlou, randonnée V.T.T, dégustation, repas campagnard, marché de terroir...”
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Frühlingserwachen in Berlou
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„Randonnée”, das ist eine lange Wanderung, eine Wandertour... es kann auch eine Skitour sein. Doch um diese Zeit, nahe am Mittelmeer, wohl kaum! Die Abkürzung V.T.T kenne ich nicht, deute sie aber als „vin,
terroire, touristique” oder so ähnlich. Bei der Vorliebe der Franzosen für Abkürzungen können mich die drei Buchstaben nicht beunruhigen. Ich stelle mir einen Weinverband vor, eine ländliche Gemeinschaft
Winzer und Winzerinnen, Menschen, die einen Dialekt sprechen, den sie selber als „steinig” (rocailleux) bezeichnen.
Als man uns dann am Sonntagmorgen schon einen Kilometer vor Berlou auf einen Parkplatz in den
Reben weist, da taucht zum ersten Mal der Gedanke auf, dass vielleicht meine Französischkenntnisse doch nicht ganz so gut sind und ein „randonnée” auch etwas ganz anderes sein könnte. Auf dem Parkplatz werden „Bikes” aus den Autos geladen, und der Ort verwandelt sich zur großen Freilicht-Garderobe, in der sich (fast) alle in glänzend-leuchtende, enge Dresses zwängen. Bald einmal gibt es keinen
Zweifel mehr: Es geht mit Mountain-Bikes durch die Rebberge. Was durch die Buchstaben V.T.T. abgekürzt wird, weiß ich immer noch nicht: doch es muss sich nicht um einen Winzer- sondern um einen Sportverband handeln.
Mit Hilfe einer auskunftswilligen Frau bei der „Inscription” - wo bereits die Rückennummer 1147 ausgegeben wird - lösen wir unser Problem: Wir haben eben keine Velos, nicht einmal einen Spazierstock bei uns.
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Start zur Randonnée
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Doch die kleinste Tour - für die „Kleinen” gedacht - ist „nur” 8 Kilometer lang, führt durch mehr oder weniger ebenes Gelände und ist gut begehbar. Also machen wir uns auf den Weg. Auf die Rückennummer haben wir verzichtet. Es ist ein langer, aber wunderbarer Spaziergang geworden. Schwarze Rebstöcke soweit das
Auge reichte. Die ersten Veilchen und blühende Mandelsträucher. Kleine Wege, voll von Schieferbrocken,
Kies und spitzen Steinen. Immer wenn es verhältnismäßig eben ist, flitzen „die Kleinen” an uns vorbei, Geht es einmal bergauf und -ab: dann fliehen wir besser in den nächsten
Graben, sonst wird’s gefährlich.
Der Parcours entwickelt sich für uns zur einmaligen, lehrreichen Rebberg-Begehung. Ich begreife erst so richtig, was sich hinter dem Begriff „Strukturwandel” im
Rebbau verbirgt. Ein Drittel
der Winzer werden wirtschaftlich nicht überleben, sagt man und liest täglich in der Zeitung vom erbitterten
Kampf um Existenzen.
Doch die rund 500 Hektaren Kulturland des „Dorfgebiets” Berlou bestehen ausschließlich aus
Reben, aus vorwiegend alten
Rebstöcken, bestens gepflegt. Nur einer einzigen verwilderten
Parzelle begegnen wir auf dem langen Weg. Wir mutmaßen sofort: Erbstreitigkeiten.
Hier kann kaum etwas anderes wachsen als
Reben, als ein paar Olivenbäume und unfruchtbare
Garrigue, Wiesen gibt es nicht, nur „Steinwüsten” und in höheren
Lagen etwas Wald.
Drei Stunden später, zurück im Dorf, Mittagessen im Freien mit den aromatischen Würsten, für die das Hinterland bekannt ist. Alles schön angerichtet, auf Plastiktellern mit Plastikgeschirr. Nur für den
Wein, da gibt es
Gläser und pro Person einen halben
Liter „Schisteil” (mit
Drehverschluss) aus dem Genossenschaftskeller.
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der Autor beim "Schisteil"
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Dieser „Schisteil” von Berlou ist berühmt, man hat ihn noch vor 10 Jahren auf fast allen besseren
Weinkarten der Gegend entdeckt. Die Genossenschaft von Berlou gehört zu den besten im
Languedoc und ist ein Vorzeigebetrieb der 20
Gemeinden der
Appellation Saint-Chinian. Doch auch dieser Musterbetrieb kämpft heue mehr denn je um Marktanteile und damit ums Überleben der knapp 90 angeschlossenen Winzerbetriebe. Genossenschaftsweine sind - oft zu unrecht - nicht mehr im Trend. Individualität, Einzelkämpfer sind gefragt,
Selbstkelterer, die versuchen aus dem Boden möglichst viel Eigenheit und Qualität herauszuholen. Doch der zur Mahlzeit offerierte „Schisteil” 2005 ist ein „Genossenschaftswein”, noch sehr jung, typisch für die Gegend, ja für den Ort. Unverwechselbar, ein Schieferwein: in der Nase -
Pferdestall bemerke ich, meine Frau aber meint - eine ganze Geißenherde. Doch er
Wein ist frisch, harmonisch,
fruchtig, ja sogar fleischig.
Am Abend, zuhause hole ich einen älteren, ”reifen” „Schisteil” von Berlou,
Jahrgang 2002, aus dem Keller. Ich habe ihn vor etwa zwei Jahren zusammen mit den Forumsfreunden Michael und Maja in Berlou gekauft, inzwischen aber ganz vergessen. Der „Frühling von Berlou” hat ihn ins Glas gebracht: Kein Pferde- und kein Geißenstall, sondern ein traditioneller
Saint-Chinian, tieffarben,
kräftig, sonnendurchglüht, ohne Firlefanz und Holzanteile, der Weinsnob spricht da von „Terroir”. Für mich ist es einfach das wunderbare Produkt von Menschen aus einer kargen Gegend, einer Landschaft, einer
Kultur, die ich gerne habe und der ich im
Wein begegnen kann.
Herzlich
Ihr/Euer
Peter (Züllig)