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Wein ist gesund. Wein ist giftig. Beides stimmt auf seine Weise - alles eine Frage der Dosis. Über ein Jahrzehnt lang fand sich in Regalen und Weinlisten ein irgendwie ganz besonders gesunder Wein. Das war jedenfalls der Bezeichnung zu entnehmen: Der „Diabetikerwein”. Damit ist nun Schluss: Bereits seit dem 1.Juli 2007 darf aufgrund der EU-Verordnung zu „nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben über Lebensmittel” diese Bezeichnung nicht mehr verwendet werden. Verschwinden musste auch der Etiketten-Aufdruck "Für Diabetiker geeignet - nur nach Befragen des Arztes". Diese Aufforderung hat der Autor befolgt - und interessante Antworten erhalten.

 

 

Dr. Gert Nitzsche

Dr. Gerd Nitzsche, Facharzt für innere Medizin und Diabetologe aus Offenbach am Main, erklärt auf die Frage nach dem medizinischen Hintergrund der offiziellen Weinempfehlung für Diabetiker: „Das war schon immer eine Mogelpackung.” Aus seiner Sicht habe es nie eine medizinische Berechtigung für diese Empfehlung gegeben.

„Zwei Faktoren des Weins haben Einfluss auf den Stoffwechsel bei Gesunden und bei Diabetikern: Alkohol und Zucker”, erläutert der Facharzt. Wer einen Liter Weißwein mit 12,5 Prozent Alkohol trinke, nehme zwar, je nach Ausbau, 4-10 Gramm Zucker zu sich - zugleich aber 100 Gramm reinen Alkohol. „Die Zuckermenge ist damit geringer als die in einem halben Brötchen, die Alkoholmenge füllt aber ein schönes Wasserglas mit 50-prozentigem Schnaps.” Der Diabetikerwein sei „zuckerzentriert gedacht” und ignoriere völlig die Folgen des Alkohols.

Zunächst unterscheiden sich, so Nitzsche, Diabetiker in zwei Gruppen: Beim Typ-2-Diabetes ist der Stoffwechsel gestört; die Konzentration des zum Zuckerabbau aus der Nahrung notwendigen Hormons Insulin im Blut steigt in frühen Stadien sogar an. Aufgrund von schlechter Ernährung, Übergewicht und Bewegungsmangel sowie genetischen Faktoren werden die Rezeptoren an den Zellwänden immer unempfindlicher für das Insulin. Die Inselzellen der Bauchspeicheldrüse müssen daher mehr und mehr Insulin produzieren, um den Blutzuckerspiegel zu normalisieren. Irgendwann schaffen sie es nicht mehr ausreichende Insulinmengen bereitzustellen, um die Werte im Normbereich zu halten. Der Blutzuckerspiegel steigt an, obwohl scheinbar große Mengen Insulin im Körper zirkulieren. Das kann, unbehandelt und im Weiteren schlecht eingestellt, langfristig zu schweren Schäden führen.

Der Typ-1-Diabetes hat eine andere Ursache: Die Inselzellen der Bauchspeicheldrüse stellen aufgrund einer Autoimmunreaktion ihren Dienst ein; die Insulinproduktion versiegt. Folge: Der Blutzuckerspiegel steigt massiv an. Das fehlende Insulin muss von nun an vom Patienten selbst zugeführt werden.

 

 

 

 

Für Diabetiker ist der Weingenuss leider nicht immer so unbeschwert


„Es gibt eine Menge Studien, die darauf hinweisen, dass moderate Mengen Wein positive Effekte auf die Gesundheit haben, und zuviel Alkohol bekanntermaßen das Gegenteil”, erklärt der Diabetologe. Ein Faktor, der häufig beim Diabetikerwein unberücksichtigt geblieben sei, ist die Wirkung von Alkohol auf die Leber. Denn aufgrund ihrer Entgiftungsfunktion wird die energetische Ausnutzung des Zuckers blockiert, denn sie verhindert die Ausschüttung von Zuckerabbaustoffen zurück in den Organismus. Dies kompensiere ohnehin einen Teil der mit dem Wein aufgenommenen Zuckermenge. Daher wirke Wein - ob Diabetikerwein oder nicht -  fast nie Blutzucker-erhöhend, im Gegenteil: Diabetiker, die gerne bis zum Flaschenboden trinken, sollten daher sogar kleinere Mengen Kohlehydrate zu sich nehmen, um Unterzuckerungen zu vermeiden. Denn die gestörte Blutzucker-Regulation bei beiden Diabetes-Typen kann zu Unterzuckerungen führen, die im schlimmsten Fall in einer Ohnmacht enden.

Dies geschieht ansatzweise auch bei gesunden Menschen: „Wer richtig Wein gepichelt hat, gelangt im Schlaf unbemerkt immer wieder an die Unterzuckerungsschwelle. Damit erhält das Gehirn über Stunden zu wenig Zucker, den es als Energieträger benötigt. Eine der Folgen ist, zusammen mit anderen Faktoren, der bekannte Brummschädel am Morgen”, erläutert Nitzsche den Zusammenhang.

In einem Punkt seien aber bereits geringe Mengen Wein für den Diabetiker massiv schädlich, - damit auch der „Diabetikerwein”: „Wenn der Patient als Folge  eines langfristig zu hohen Blutzuckerwerts eine Neuropathie, also eine Nervenschädigung vorhanden ist, können auch kleinere Mengen Wein den Schaden deutlich verschlimmern. Der Alkohol wirkt nämlich direkt toxisch auf vorgeschädigte Nervenzellen.”

„Ich mache jedem meiner Patienten mit vorhandener Neuropathie  klar, dass er besser gar keinen Alkohol trinkt”, betont Dr. Gerd Nitzsche. Habe der Diabetes, etwa durch gute Blutzuckereinstellung, keine Schäden hervorgerufen, sei die positive Wirkung moderater Alkoholmengen dieselbe wie bei Menschen ohne Diabetes. Daher sei es „eine gute Entscheidung der EU”, den Diabetikerwein endgültig von der Karte zu streichen. Es gibt also letztlich nur einen Wein für alle. Genuss und Gift - alles eben eine Frage der Dosis. Auch für Diabetiker.

 

 

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