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Wo er recht hat, hat er recht, der österreichische Schriftsteller Johannes Mario Simmel. Es muss wirklich nicht immer Kaviar sein! Auch an Festtagen nicht, auch dann nicht, wenn Essen (und Trinken) zur süßen Verführung gehören. Vor fünfzig Jahren ist Simmels Romanfigur, der Bankier Thomas Lieven, bei diversen Geheimdiensten angetreten, um mit seinen Kochkünsten Frieden (und Verwirrung) zu stiften. Und er konnte dies – es ist im Buch nachzulesen – auch mit guter „Hausmannskost“. Soll dies in der Welt des Weins anders sein? Gibt es nicht auch beim Wein so etwas wie eine Hausmannskost: deftig, nahrhaft und traditionell? Die Festtagsweine haben den Beweis nicht geliefert.

Das Buch von Simmel ist älter als der Wein: beides zu genießen.
In Sachen Wein – dies ist keine neue Erkenntnis – scheut man in der Regel das Experiment, wenn es darum geht, mit dem Getränk zu imponieren, sich selber und seinen lieben Gästen. Ich stelle dies immer wieder fest, auch bei mir selber. Der Entdeckergeist von Archimedes bis Kolumbus, von Galilei bis Amundsen, von James Cook bis Neil Amstrong findet im Weinglas kaum Platz. Besonders dann nicht, wenn es um den (fast) garantierten Erfolg eines Weingenusses geht.

An Festtagen, bei willkommenen Besuchen, an Geburtstagen, wo immer es zu feiern gilt, da sucht der Weinliebhaber meist in der hintersten Ecke seines Kellers eine ganz spezielle Flasche. Etwas, mit dem man einen nicht alltäglichen Anlass mit einem überzeugten Prost-Wow – begießen kann. Und weil dieses „Prost-Wow“ nicht zu garantieren ist, greift man nach Wein aus berühmten Weingegenden, mit großen Namen und zu hervorragenden Jahrgängen ...

Berühmte Namen aus einer berühmten Region
Schon fast verschämt bemerke ich: dies funktioniert auch bei mir. Da kommt Christoph, mein ältester Freund, mit seiner Frau auf Besuch, und schon steht mein Lieblingsbordeaux (der letzten Zeit), ein Tertre Rôteboeuf 1996, auf dem Tisch. Weil Käthi-Anna den viel einfacheren, rustikaleren, unbekannten „Anna“ 2006, aus der Bündner Herrschaft, sozusagen ein schweizerischer Bordeaux, besonders gerne hat, stelle ich diesen Wein – nach dem Bordeaux-Hochgenuss – auf den Tisch. Und siehe da: der zweite Wein kann – zumindest auf der Welle der Zufriedenheit – mitreiten, obwohl weder Name, Jahrgang, Preis, Anbaugebiet noch Winzer mit dem hochgelobten „echten“ Bordeaux mithalten können. Aus der Bündner Herrschaft (Schweiz) kommen vor allem ausgezeichnete Pinot Noirs. Cabernet-Merlot ist dort ein Exot.

Bündner Herrschaft - Pinot Noir-Gebiet

Die Erfahrung hat mich nachdenklich gestimmt: Muss es wirklich immer Bordeaux sein? Ein paar Tage später sind Rémy und Uriela, zwei Freunde, die etwas von Wein verstehen, zu Besuch. Wiederum habe ich auf die Karte Sicherheit gesetzt. Zwar keine guten Jahrgänge, aber ganz große Namen. Ausone 1997 und Mouton Rothschild 1993. Zwei Flaschen, die irgendwie etwas Besonderes sind. Der Ausone – warum ich ihn damals gekauft habe, weiß ich heute noch nicht – war (wie der Bordeaux-Jahrgang 1997 insgesamt) viel zu teuer, aber im Vergleich zu heute noch (fast) bezahlbar. Und der Mouton Rothschild 1993 machte damals Furore, weil der Akt auf der Künstler-Etikette von Balthus (mit eigentlichem Namen Graf Balthazar Koslowski) in Amerika verboten wurde. Wir haben die beiden Weine genossen, sie waren großartig, der Ausone erwartungsgemäß um einiges besser als der Mouton. Und wieder mache ich mir Gedanken: ist es nun die Qualität der Weine oder „nur“ das Gefühl, etwas Außerordentliches, etwas Besonderes getrunken zu haben?

Die beiden Etiketten von Mouton Rothschild 1993 – links für Amerika% rechts für die übrige Welt

Trotzdem: am Silvesterabend mache ich es wiederum nicht anders. Wir sind allein, an diesem Abend, meine Frau und ich. Es gab „Hausmannskost“, Osso Bucco, ein typisch italienisches Fleischgericht aus der Haxe vom Kalb. Dazu würde wohl ein kräftiger Roter aus Italien passen, ein Chianti Classico, vielleicht sogar ein gereifter Bandol aus der Provence, wenn es unbedingt ein Franzose sein sollte (Empfehlung von Philippe Bourguigon). Tatsächlich habe ich mit einem Italiener gekocht, aber ins Glas kam wieder ein Bordeaux, Latour 1986, ein Klassiker, mit schwarzen Waldbeeren, Tabak, vielleicht sogar etwas Marzipan (jedenfalls süße Anklänge), aber opulent, wuchtig, mit ausgewogenem langem Abgang. Dies alles habe ich – déformation professionelle – zwar an diesem Abend noch registriert, sonst aber den Wein einfach köstlich gefunden. Frankreich und Italien vereint!

Letzter Schliff auf Château Latour - die Etiketten werden geprüft

Wieder habe ich die „sichere Seite“ gewählt, den „Kaviar“ dem Entdecken, dem Neuen vorgezogen. Latour war in diesem Fall einfach das Zeichen für das Außergewöhnliche, ein sicherer Markstein an der Schwelle zum neuen Jahr. Es ist wohl eher der Gedanke, 2011 mit etwas Besonderem zu beginnen, den Augenblick auch oenophil festzuhalten und so den oft mühsamen Alltag hinter mir zu lassen, der besticht.

Nachträglich aber habe ich mich ernsthaft gefragt: muss es denn wirklich immer Kaviar sein? Muss der Wein in Bezug auf das Anbaugebiet, den Jahrgang, die Bewertung, den Namen, die Reife etc. immer eine (fast) sichere Bank sein? Oder wäre nicht etwas Anderes, etwas, das nicht längst gelobt, besungen und mit Punkten ausgezeichnet ist, vielleicht sogar eine Wein-Entdeckung, das richtige; ein ganz „kleiner“ Wein, der Freude macht, bei dem Begeisterung und Enttäuschung nahe beieinander liegen und der den Geist von Marco Polo mehr in sich trägt als jenen von Ludwig XIV, dem Herrscher von Gottesgnaden.

Auf Entdeckungsfahrt - Châteaux Marac in Puijols (Entre-deux-Mers)

So habe ich denn, schon in den ersten Tagen des neuen Jahres, einen „kühnen“ Beschluss gefasst. Nein, es muss nicht immer Kaviar sein. Auch in feierlichen Stunden nicht. Und ich habe kurz entschlossen einen Wein gekauft, von dem ich noch nie etwas gehört habe. Natürlich aus meinem Lieblingsgebiet Bordeaux. Château Marac, ein sogenannter Geheimtipp aus dem großen Gebiet von Entre-Deux-Mers, süd-östlich von Saint-Emilion, einzig von einem Weinhändler empfohlen, der in der Regel „günstige“ Weine anbietet, und der auch meinen bevorzugten Bordeaux-Tischwein „Parenchère“ im Programm hat. Grund genug, in die See zu stechen, Unbekanntes anzupeilen, und vielleicht, vielleicht – Name, Preis, Weingegend, Jahrgang ohne verlockende Sirenentöne – den nächsten Festwein zu finden. Bestimmt keinen, der sich an Kaviar messen kann, dafür an guter, eigenständiger, vielleicht sogar naturnäherer Hausmannskost.

Herzlich

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