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Man spricht lieber von Entdeckungen, von Geheimtips oder von Trouvailles (was auch „Geistesblitz“ bedeuten kann), als von einer Fundsache oder gar von einem „objet trouvé“. Nüchtern, unprosaisch ausgedrückt, heißt dies: „einen guten Wein entdecket!“. Und das ist – angesichts der weltweit immer größeren Weinproduktion

„Domaine de la Jasse“ - auf der Etikette eine große% schirmförmige Platane. Daher sein Name „Bäumleinwein“

– längst kein nennenswertes Ereignis mehr. Neue Weine, gute und schlechte, begegnen dem Weinliebhaber zuhauf. Wenn ich heute trotzdem von einem Wein spreche, den zwar nicht ich, sondern mein Freund Rémy entdeckt hat, dann soll dies all jenen Mut machen, die glauben, nur mit bekannten Namen und viel Geld zum „ultimativen“ Weingenuss zu kommen.

Zwischen dem Dutzendwein, beim Discounter mehr oder weniger lieblos in den Einkaufskorb gehievt, und den gesuchten, meist teuren Markenweinen gibt es das weite Feld des individuellen „Genussweins“. Der „Bäumleinwein“ ist so einer, zufällig in mein Glas gekommen, weil mein Freund zwischen einem alten Burgunder und einem 90er Bordeaux den mir unbekannten Wein erwähnt und darauf sein Töchterchen in den Keller schickt, mit dem Auftrag, einen „Bäumleinwein“ zu holen. Welcher Baum soll denn einem alten Burgunder und einem Cos d’Estournel aus dem Spitzenjahr 1990 standhalten? In Wirklichkeit heißt der Bäumlein-Wein „Vieilles Vignes de la Jasse“ und kommt von der Domaine „La Jasse“ im Languedoc. Seine Herkunft aus dem Süden Frankreichs weckt mein Interesse, anderes eher meinen Argwohn: Cabernet und Merlot, zwei für das Languedoc untypische Rebsorten; dann die Bezeichnung „alte Reben“, ein Begriff, der immer häufiger zum Verkaufsargument mutiert, die drei Medaillen auf der Rückseite der Flasche, sogar die Herkunft des Weins aus „Combaillaux“, einem wenig bekannten Weingebiet.

Drei Medaillen auf der Rückseite der Flasche des Jahrgangs 2006

Die Rebsorten Cabernet-Merlot sind für AOC Weine im Languedoc nicht zugelassen, Gold-, Silber- und Bronze-Medaillen werden in Frankreich geradezu inflationär vergeben, und das Weingut liegt nördlich von Montpellier, also am Rande und nicht im Herzen der Languedoc. Combaillaux ist bekannt für Oliven, Spargel und Pfirsiche. Aber Reben? Es gibt zwar bekannte Weingüter im weiteren Umkreis, wie Clavel, Hortus, Cazeneuve, Lascaux. Gegen all diese Namen soll die wenig bekannte „Domaine de la Jasse“ bestehen können?

Für mich ist das Languedoc eng mit den Rebsorten Grenache, Syrah, Mourvèdre, Cinsault und Carignan verbunden, wobei Mourvèdre meist dominierend ist. Der Wein-Modetrend „Bordeaux-Blend“ erfasst inzwischen – wie ein Moloch – fast alle Weingegenden der Welt, also auch in das Languedoc. Schließlich frage ich mich: Wie alt müssen denn „alte Reben“ sein, damit sie einen Wein auch wirklich „edler“ und kostbarer machen können? Verbindliche Normen gibt es da nicht. Das Weingut „La Jasse“ existiert noch nicht sehr lange. Es gehört einem Holländer, der mit Bordeaux viel Geld verdient hat und nun ein Stück Bordeaux-Philosophie ins Languedoc bringen möchte. Daher ließ er Cabernet- und Merlot-Reben anpflanzen, keine „gewöhnlichen“, sondern spezielle Klone aus dem Bordelais.

Das Weingebiet von Combaillaux: Domaine de la Jasse

Ich gebe zu, dies alles hätte genügt, um den Wein für immer dort zu belassen, wo er ist, in der Flasche. Weil mein Freund aber auch Weinliebhaber und –kenner ist, nehme ich die Flasche, die er mir überreicht, trotzdem mit nach Hause, um später die Nagelprobe zu machen. Schon zwei Tage später ist es dann so weit. Wir bekommen unerwarteten Besuch von Weintrinkern zwar, aber keinen Weinkennern. Ich stelle – statt eines Bordeaux – den „Bäumleinwein“ der Domaine de la Jasse auf den Tisch. Die Runde ist begeistert, ich verziehe leicht meine Stirn und meine Frau meint: „Sehr gefällig“. Ist dies nun ein Kompliment oder ein eher abwertendes Urteil? Ich bin mir da nicht sicher und komme zum eher banalen Schluss: „Halt ein Charmeur!“.

 

Lynch-Bages% 5ème Cru% Pauillac

Kein Zweifel, wir haben einen guten Wein im Glas. Der Weinführer soll Klarheit bringen: „Die 35 Jahre alten Reben, aus der er gekeltert ist, wachsen auf zwei Erhebungen im Mosson-Tal nördlich von Montpellier. Hier, auf 100 bis 200m Meereshöhe, verzögert sich die Reife stets um rund eine Woche gegenüber den Weinbergen der im Tal ansässigen Produzenten. Heraus kommt ein dicht gewirkter, vielschichtiger Rotwein….“

Das direkte Vorbild sei, so lese ich, „Lynch-Bages“ aus Pauillac im Bordelais. Dies lässt mir keine Ruhe. Ich hole einen trinkreifen Lynch-Bages aus dem Keller, Jahrgang 1995. Bereits nach einem ersten Vergleich wird mir bewusst, was Differenziertheit, Tiefe, Nuancenreichtum bedeuten kann. Meine Frau meint spontan: „Ja, da ist bedeutend mehr im Glas!“. Den Besuch können wir aber nicht überzeugen. Der „Bäumleinwein“ bleibt Favorit: kräftig, geschmeidig, elegant.

Also hole ich eine dritte Flasche aus dem Keller: „Tertre Rôteboeuf“ 1997. Wow, da dominieren aber nochmals viel, viel mehr Eigenschaften: Kraft, Energie, Harmonie, Sanftheit, Reife, Nuancen….“ Ich spreche ein Machtwort: „Dies ist eindeutig der beste der drei Weine des Abends!“ Meine Gäste nicken zwar, doch ihnen – ich sehe es – gefällt „La Jasse“ immer noch am besten.

 Das Weingut „de la Jasse“ mit seiner charakteristischen Platane

Für mich ein Beweis, wie sich Weingenuss den gängigen Mustern differenzierter Wertungen entziehen kann. Kommt dazu, dass die Relation des Preises, Jasse – Lynch-Bages – Tertre Rôtebeuf etwa 1 zu 6 zu 10 ist. Doch das wissen unsere Gäste nicht. Für sie ist die Neuentdeckung „La Jasse“ eindeutig der beste Wein:: Ein Schmeichler zwar, ein Charmeur,: „Halt nicht so schwierig, so schwer verständlich wie die andern beiden Weine“. Ein Wein zum Genießen eben.. Verknüpft mit dem Preis – 10 Euro – eine echte Entdeckung!

Unter Weinliebhabern ist ein „Charmeur“ aber bereits verdächtig: zu vordergründig, zu oberflächlich, zu wenig Tiefe… Braucht es wirklich so viel mehr Eigenschaften, als gut und charmant zu sein, um Freude am Wein aufkommen zu lassen?

Herzlich

Ihr/Euer

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