wein.plus
ACHTUNG
Sie nutzen einen veralteten Browser und einige Bereiche arbeiten nicht wie erwartet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser.

Anmelden Mitglied werden

Er hat mir keine Ruhe gelassen, der perfekte Weihnachtswein. Ins Spiel gebracht hat ihn ein fleißiger Schreiber im Forum von Wein-Plus. Einfach so, wohl zu verstehen als Auszeichnung oder Werturteil, als Anpreisung oder sprachliche Hilflosigkeit. Man kann es drehen und wenden wie man will. Der „perfekte Weihnachtswein“ bleibt eine Fiktion, womöglich sogar eine schöne, genüssliche. Es hat dann prompt auch einen Aufschrei im Forum gegeben: Was ist das, ein „perfekter Weihnachtswein“? Perfekt – so denke ich – leitet sich vom lateinischen „perfectum“ ab, was etwa so viel bedeutet wie „vollendet“. Vielleicht gibt es ihn, den perfekten Wein – mag sein, ich bin ihm zwar noch nicht begegnet, trotz hunderten, ja, tausenden von Ansätzen. Einfach Pech gehabt?

Festagsessen – Festtagswein – etwas Besonderes (Foto: Peter Züllig)

Es geht noch weiter: Ein Weihnachtswein – schmeckt der anders, besser, gar süßer als der Karfreitags-, Oster- oder Pfingstwein? Oder ist es einfach der Wein, den man an Weihnachten trinkt? Warum aber soll gerade der perfekt sein? Das Problem – ich gebe es zu – lässt mich einfach nicht mehr los. Ist es nur sprachlicher Natur oder steckt mehr dahinter, etwas, das ich nicht weiß, das ich nicht kenne? Ist es eine ganz besondere Art von Wein? Spontan kommt mir Glühwein in den Sinn, doch der ist alles andere als perfekt, jedenfalls nicht als Wein. Der Verdacht verdichtet sich: Es handelt sich hier weniger um ein Wein- als vielmehr um ein Sprachproblem. Man sucht einen passenden Ausdruck für etwas, das besonders sein soll, in diesem Fall für einen Wein, den man an Weihnachten trinkt. Dadurch weitet sich die Frage aus: Was trinkt man denn an Weihnachten? Eine Regel gibt es nicht, eine Order schon gar nicht. Nicht einmal ein aussagekräftiger Durchschnitt lässt sich errechnen. Und trotzdem soll ausgerechnet er perfekt sein?

Suche nach dem perfekten Weihnachtswein (Foto: Peter Züllig)

Je mehr ich darüber sinne, desto mehr gerate ich in Teufels Küche. Dabei ist Weihnachten – so, wie ich es verstehe – etwas Himmlisches. Man könnte das Sprach- und Begriffsspiel nun weiter treiben. Darum geht es mir nicht. Der „perfekte Weihnachtswein“ ist ein Beispiel, wie schwer wir uns mit der Beschreibung von Wahrnehmungen und Gefühlen tun. Das eine Mal klingt es kitschig-süß, das andere Mal brachial-direkt, kaum aber je, wie man wirklich empfindet. Hilfskonstruktionen müssen her: Perfekt ist da noch harmlos, Weihnachstwein eine bloße Worthülse. Gewiefte Leute vermeiden das Problem bei der Wein-Genuss-Wertung, sie vergeben Punkte. Dafür gibt es sogar Skalen – zwar unterschiedliche, aber doch einigermaßen genormte. Die Frage bleibt: Wie ist der Genuss, das Erlebnis, das Gefühl bei einem 97-Punkte-Wein im Vergleich mit einem mit 87 oder gar 77 Punkten? Und was ist der Unterschied zwischen einem Weihnachts- und Neujahrswein?

Die professionelle Weinkritik hat für die Eigenschaften eines Weins ein paar Begriffe geschaffen. Einige kann man gut nachvollziehen, auch als Laie: mineralisch (zum Beispiel), reintönig (vielleicht), mächtig (da fehlt meist der Vergleich), konzentriert (ein Ding der Erfahrung), exotisch (kommt darauf an, wo man zuhause ist), strahlende Frucht (da habe ich schon meine Mühe, wie kann eine Frucht „strahlen“?), langer Abgang (kann man zwar messen, doch jeder erlebt das Nachwirken anders)… Und dann kommen also die Hilfsbegriffe, Analogien: Früchte vor allem, Beeren, Gewürze, Gerüche, Erfahrungen aus allen Lebensbereichen, vom Stall über Teerstraßen und nasse Socken bis zum Fell von Tieren.

Degustation – Suche nach den richtigen Begriffen (Foto: Marcello Weiss)

Aber auch das sind nur Hilfskonstruktionen. Ein paar davon sind gut nachvollziehbar, andere weniger. Wer weiß schon, wie die Drüse am Bauch des Moschushirsches riecht? Wie schmeckt eine Zedernwürze? Was ist der Unterschied zwischen dunklen und hellen Pilzen? Wie drückt sich ein blumiger Charakter aus? Nein, so kommen wir der Sache auch nicht näher. Dies sind alles ehrenvolle Vergleiche, Eigenschaften und Merkmale, die man mit viel Übung durchaus einem Wein bei einer sensorischen Überprüfung entlocken kann. Für den Weintüftler mag dies hilfreich sein, für den Weingenießer eher belastend. Seine Gefühle stecken da nicht drin. Seine Empfindungen bleiben unausgesprochen. Da greift man schon mal zu plakativen Formulierungen wie der „perfekte Wein“, ein „Weihnachtswein“. Der so katalogisierte Wein hat aber weit mehr Eigenschaften – vielleicht sind es gerade diese, die ihn zum „Weihnachtswein“ machen: zum Beispiel eine „hedonistische Stilistik“. Altgriechen haben wir nur noch wenige unter uns, doch der Begriff ist – Internet sei Dank – leicht zu deuten: Hedonismus (von altgriechisch ἡδονή, hēdonḗ) bedeutet etwa Freude, Vergnügen, Lust, Genuss, sinnliche Begierde. Ja, da liegt schon etwas Weihnachtliches drin. Mehr Mühe bereitet mir der häufig gebrauchte Begriff sexy. Ich weiss nicht, ob ich da falsch liege. Aber mit Sex hat Wein wenig zu tun, es sei denn, dass bei zu viel Alkohol es aus ist mit dem Sex. Aber – vielleicht ist dies auch nur ein rhetorisches Schmuckelement. Wer weiß das schon?

Im Weinkeller einer provenzalischen Krippenlandschaft – der Weinbau und das Trinken gehören zur Weihnachtsstimmung und -tradition (Foto: Peter Züllig)

Dies alles sind mal lustige, mal ärgerliche, mal hilflose Bemerkungen und Überlegungen zu dem, was man in Worten ausdrücken möchte. Nämlich das besondere, das außergewöhnliche, das überragende Geschmacks- und Genusserlebnis. Da helfen auch keine Slogans wie „mega-geil“, „food-friendly“, „deftig-knackig“ und wie sie alle heißen (wir werden in der Weinwerbung im Augenblick damit überschüttet). Ebenso wenig hilft die Ironisierung, wie sie in solchen Augenblicken – Momenten der Sprachlosigkeit – immer wieder vorkommt. Ein köstliches Beispiel habe ich hier entdeckt, dargeboten vom Schauspieler Louis de Funès (auch ohne Französisch gut verständlich): http://www.youtube.com/watch?v=opdC4_DC6Yg&feature=related

Doch kehren wir zurück zum Weihnachtswein, der mich so sehr beschäftigt und etwa zehn andere LeserInnen und SchreiberInnen im Forum genauso. Zum Beispiel: Ein „Weihnachtswein ist aus meiner Sicht etwas Besonderes, also nicht unbedingt das zwingende Schnäppchen. Der Wein sollte sich am Weihnachtsmenue orientieren und aus meiner Sicht kann er bei so einer Gelegenheit auch mal etwas in den Vordergrund rücken“, schreibt ein Leser. Das sind ein paar Hinweise mehr, aber noch lange keine Antwort auf die Frage nach dem ultimativen Weihnachtswein.

Vielleicht etwas resigniert stellt der Forumschreiber fest: „Vor wenigen Tagen wurden im Wine-Spectator 100 Ideen dafür vorgestellt. Die letzten 10 Jahre dazugerechnet macht 1000 und die sind noch lange nicht komplett.“ Hundert Weihnachtsweine, ja tausend und viel mehr… Da kann ich einzig und allein festhalten: Es muss etwas Besonderes sein. Sind dass aber nicht viele Weine und viele Worte für eine einfache Feststellung: etwas Besonderes? Da begegnet mir eine Figur, die seit mehr als 200 Jahren in der südfranzösischen Weihnachtstradition als „Santons“ („Kleiner Heiliger“) verankert ist. Jeder kennt ihn, jeder weiß, was damit gemeint ist: der Ravi, der Entzückte.

Figur des Ravi als Santons in den traditionellen Krippenfiguren der Provence – Ausdruck der unverfälschten Begeisterung (Foto: Peter Züllig)

Er kann es nicht in Worte fassen, hält einfach beide Arme hoch, als Zeichen der Freude, der Überraschung, des Glücks. Tatsächlich ist diese Geste in der Provence noch heute sehr verbreitet, sobald man von etwas spricht, das eher das Gefühl als den Verstand berührt. Wortlosigkeit. Ein Ausdruck des Körpers, der für jene schwer zu deuten ist, die nur nach Fakten, Analysen, Beweisen fragen. Der Ravi müsste jeden Wein begleiten, wenn er dann die beiden Arme hebt, dann haben wir ihn gefunden, den „perfekten Weihnachtswein“. Der Ravi hat recht: Er braucht keine Namen, er braucht nur seine Emotionen und die sind ehrlicher als noch so viele Worte, die ich im Augenblick in Zusammenhang mit Weihnacht und Festtagen in der Werbung lesen kann. Ich wünsche Ihnen deshalb nicht eine perfekte Weihnacht und auch nicht den perfekten Wein dazu. Dafür den perfekten Ravi – als Begleiter. Mit anderen Worten: Ich wünsche Ihnen Schweigen in glücklichen Momenten – auch beim Genuss von Wein.

Herzlich
Ihr/Euer

Mehr verwandte Stories

Alle anzeigen
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr

Veranstaltungen in Ihrer Nähe

PREMIUM PARTNER