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Ein echter Weinfreund geht immer und immer wieder in die Lehre, selbst im „zarten” Alter seiner Pensionsberechtigung. Lehrmeister gibt es viele - selbsternannte und auserwählte Gurus der Weinbewertung. Ihnen nachzueifern ist zum gesellschaftlichen Spiel geworden, gekrönt durch das Bewusstsein: alles erraten, richtig getippt und konform bewertet zu haben.

Eine verschworene Gruppe nimmt die Arbeit auf

So mache auch ich mich - immer wieder als Weinnasenlehrling - oft und gerne auf den Weg zu einer Degustation, um meist in einer von zwei Kategorien den Mann zu stellen. Mann? Tatsächlich sind es vorwiegend Männer, die sich diesem freiwilligen Wettbewerb aussetzen. Frauen gibt es auch, sicher, doch sie sind - nach meinen Erfahrungen - meist in der Minderheit, sehr oft auch bloß „Begleitpersonen”, die den sich tapfer schlagenden Mann im Auto sicher nach Hause zu bringen haben.

In meiner Lieblingskategorie werden Weine und Weingegenden präsentiert, die ich nicht oder viel zuwenig kenne. Da schnüffle, nippe, schlucke und spucke ich mit großem Vergnügen: unbekannte Welten, neue Erfahrungen, unerwartete Erlebnisse. Da habe ich auch keine Mühe mitzuhalten und mitzureden, schließlich stuft man mich da als Anfänger ein, und für Anfänger hat man Verständnis, Nachsicht - und oft den Drang, sich als Lehrmeister zu outen. Nur mit dem Punkten, da habe ich dann meine liebe Mühe. Wie soll ich meine Wertskala eichen? Der Vergleich mit Gleichwertigem aus der Region fehlt mir, das Schielen auf des Nachbars Blatt - fast wie in der Schule - bringt oft Erlösung und Rettung vor der Blamage. Doch sonst macht das Ganze Spaß. Ein Gesellschaftsspiel mit neuen Erfahrungen und ernstem Hintergrund. Doch das gibt sich, je mehr der Abend fortschreitet und der Schluckkonsum seine Wirkung zeigt.

Die Utensilien: Drei Gläser% ...

Die zweite Kategorie von Degustationen ist weit anspruchsvoller, eine Herausforderung, mitunter für den Ruf eines Weinkenners existenzbedrohend. Da wird jener Bereich „getestet”, in dem man sich sattelfest fühlt, viel weiß, viel gelesen und so manchen Wein getrunken hat. Da wird das eigene Wissen und die eigene Erfahrung auf den Prüfstand gestellt. Geschafft oder durchgefallen? Alle Weine erkannt, richtig gewichtet, vernünftig gepunktet? Da hängt das Selbstbewusstsein oft an einem dünnen Faden!

Spucknapf und Wasserflasche% ...
An einer solchen Degustation bin ich wieder einmal (zum wievielten?) gewesen und - wie so oft - mit einem zünftigen Komplex nach Hause zurückgekehrt: wenig erraten, eigenwillig gepunktet, Bekanntes falsch zugeordnet, Lieblingsweine unterbewertet, gestaunt über das Fachwissen und die Eloquenz der andern Teilnehmer. Es geht um Bordeaux 2000. Dabei weiß ich so viel über das Bordelais, kann die Erfahrung von unzähligen getrunkenen und verkosteten Weinen vorlegen, habe Hunderte, Tausende Notizen gemacht und noch weit mehr Bewertungen der Wein-Gurus in meiner Datenbank festgehalten. Alles umsonst? Ich tröste mich mit den immer gleichen oder ähnlichen „Ritualen”. Sie sind mir vertraut, ich kann mich darin bewegen, sogar verstecken. Die höchstdotierten Weine kommen meist in der letzten Runde, der „Pirat” (ein Wein, der nicht in die Serie passt!) kann überall lauern, das schmale Vokabular der Spontanbeurteilung ist mir vertraut: tanninreich, fruchtig, verschlossen, komplex, grüne Noten... Aber Achtung: in einer solch erlauchten Runden werden Begriffe und Namen ins Englische transferiert, auch wenn es um französische Weine geht: Grand-Puy-Lacoste wird zum „GPL”, phonetisch „”ji-(”)pi-el”, ein berühmtes Châteaux in St-Emilion, benannt nach dem Abendgebet „Angelus”, wird phonetisch zum „en-j&-l&s” und sein Appellationsnachbar Château Canon von „ca’non” zu „'ka-n&n. Ganz einfach ist es nicht, die Übersicht zu bewahren.

zwölf Weine aus Médoc und Graves% ...

Notfalls kann ich mich retten, indem ich tief ins Glas schaue, es gegen die weiße Unterlage halte und entzückt ausrufe: „immer noch wunderschönes Kirschrot!” oder - in ganz hartnäckigen Fällen - die Nase tief ins Glas stecke und dann im Brustton der Überzeugung verkünde: „leicht nasse Erde, Heu, Kirschanklänge” und dann entzückt: beende: „Lakritze, retronasal klar erkennbar!”

und eine verlockende Speisekarte.
Ich kenne das Spiel mit seinen leicht variablen Spielregeln. Auch deshalb mache ich immer wieder - oft mit Vergnügen - unverdrossen mit. Zum letzten Mal - wie gesagt - mit dem wackeren „Jüngling” Bordeaux 2000. Vier „Flights”: St-Julien, Margaux, Graves und Pauillac, dazu zur Einstimmung drei Rieslinge (Deutschland-Österreich) und zum Käse zwei Sauternes.

Natürlich geht es mir vor allem um die zwölf Bordeaux, die fast alle auch in meinem Keller lagern, aber wohl noch lange nicht geöffnet werden. Neugierig bin ich schon: neugierig zu erfahren, wie sich Gruaud Larose, Léoville Poyferré und Ducru-Beaucaillou inzwischen entwickelt haben. Erste Feststellung: noch viel zu jung. Dann mein Versuch, die Weine dem richtigen Château zuzuordnen. Natürlich: Wein Nr. 2 ist Gruaud Larose: diese überschwänglichen Aromen, Mokka, ja sogar Feigen, die René Gabriel angekündigt hat, kann ich feststellen. Wein Nr. 3 hingegen dürfte Ducru-Beaucaillou sein: voll, robust, fruchtig, mit recht viel Gerbstoffen und Trüffelnoten. Dann muss Nr. 1 der Poyferré sein: St-Julien-typisch, etwas von der Weichheit und Wärme eines Margaux und Kraft von Pauillac, papiermäßig der schwächste der drei Weine.

Was wird da wohl mit der Nase erschnüffelt?
Dann die Ernüchterung: Alles falsch, die statistische Trefferquote ist zwar die gleiche, wie wenn alles richtig gewesen wäre und - o Schreck, der Beaucaillou hat von mir am wenigsten Punkte erhalten - wohl weil ich angenommen habe, den Poyferré vor mir zu haben (gemäß Durchschnittswertung aber der zweitbeste Wein des Abends) Kleinlaut nehme ich das Verdikt zur Kenntnis.

Auf zur zweiten Runde! Margaux: Rauzan Ségla, Giscours, Du Tertre. Jetzt lasse ich die Zuordnung sein: konzentriere mich auf die Punkte. Welches ist der beste, welches der schwächste Wein? Und wieder liege ich statistisch falsch. Der „kleinste” der drei Weine, Du Tertre, ist am zugänglichsten, also erhält er von mir am meisten Punkte. Der Rauzan Ségla aber ist noch unzugänglich, doch das Potential ist zu spüren: feingliedrig, grazil und frisch. Also dafür mehr Punkte: da liege ich nicht schlecht! Den total verschlossenen Giscours habe ich mit wenig Punkten „abqualifiziert”. Na, das geht ja schon etwas besser!

Schließlich gibt es einen Sieger: wieder einmal Château Pichon-Longueville-Baron.
Beim nächsten Flight, da nehme ich mir vor, vorsichtig zu sein, zu üben. Pessac-Léognan: Pape Clément, Smith au Lafitte und Carmes Haut-Brion (ein Liebling von mir!). Und tatsächlich, es geht schon wieder besser! Bei einer Zuordnung liege ich richtig und in der Bewertung nicht allzu daneben. Meinen Lieblingswein habe ich deutlich über dem Durchschnitt bewertet.

Zuversichtlich starte ich in die letzte Runde. Pauillac: Pichon Baron, Lynch Bages, Grand Puy Lacoste. O Wunder, fast alles richtig: korrekte Zuordnung, konforme Wertung, aber eine eigene Meinung. Ich finde den Lynch Bages deutlich besser als den Lacoste und drücke dies durch einen halben Punkt aus.

Zufrieden kann ich mich jetzt den Süßweinen zuwenden. Da ordne und punkte ich nicht mehr, mir genügt das Genießen, mit der stillen Zuversicht, beim nächsten Gesellschaftsspiel namens Degustation - nun besser bestehen zu können.

Herzlich
Ihr/Euer
Peter (Züllig)

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