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Das Château steht vor mir, kubisch, kompakt, fast ein wenig bedrohlich, kein romantischer Anblick, eher eine sachlich nüchterne Atmosphäre. Die großen Schriftzüge und spärlichen Ornamente vermitteln den Eindruck: hier handelt es sich um ein hoch stilisiertes, technisches Produkt, hier dominiert die Zweckmäßigkeit. Doch dann, beim Eintritt in das Château wird alles anders. Der Weg zum Inhalt gestaltet sich geradezu als ausgereifte Cabaretnummer.

Ein Wein% der sowohl als Bag-in-Box als auch in der Flasche in der Schweiz im Verkauf ist (COOP). In der Box vergleichsweise um ein Drittel billiger.

Es sei alles ganz einfach, hygienisch und höchst benutzerfreundlich, hat man mir gesagt. Zudem haben Fruchtsafttrinker und Olivenölkonsumenten den Zutritt zu diesen modernen „Châteaux“ längst erprobt, allfällige Schwierigkeiten längst überwunden. Ich bin kein Fruchtsaftrinker, und Olivenöl kommt bei mir noch in der Flasche in die Küche und auf den Tisch. Doch - warum soll ausgerechnet ich als Weintrinker die Hürde nicht nehmen? Es ist alles ganz einfach, schwupp und der Wein fließt ins Glas. Vorsichtshalber habe ich dann doch noch das Internet konsultiert. Da ist bestimmt etwas zum Thema Bag-in-Box zu finden. Und siehe da, anschaulich, plastisch, wie aus dem Leben gegriffen. Nicht ausschalten, nach der obligaten Werbung kommt es: http://en.sevenload.com/videos/Yk8uWj3-Bag-in-Box-Wein-aus-dem-Schlauch. Mike Krügers Nippel-Laschen-Song begleitet mich beim Entdeckungsgang zum Château meiner neusten Wein-Erfahrung. Sollte es Weinfreaks geben, die nicht wissen, wovon ich spreche, der mache einen Ausflug zu youtube http://www.youtube.com/watch?v=GwI9bNKUp88. Doch so neu ist dies alles auch wieder nicht. Ich erinnere mich: Vor gut vierzig Jahren erschien ein Händler in unserer Redaktion, in jeder Hand einen Karton, gefüllt mit - Wein. Ja mit Wein! Und er pries die neue Errungenschaft – junger Wein aus frischen Schläuchen – so inbrünstig an, als sei es eine „Revolution im Weinkeller“.

Nicht ganz einfach ist das Öffnen der Box. Doch ist der Nippel einmal draußen kann der Wein sprudeln.

Wir haben damals – es war in den 60er Jahren – nicht über diese friedliche Revolution berichtet. Uns schien, als bahne sich hier eine „Unkultur“ an. Die beiden Boxen wanderten damals in meinen Keller, der noch ein Vorrats-, Früchte- und Gemüsekeller war und gingen dann dort prompt vergessen. Einige Jahre später, als der Keller in einen Weinkeller verwandelt wurde, da kamen sie wieder zum Vorschein. Vergammelt, der Karton durchnässt und schimmlig, der Wein wohl untrinkbar. Jedenfalls ist mir die Lust auf einen experimentellen Schluck vergangen. Die Boxen wurden entsorgt. Eine Weltrevolution (im Weinkeller) ist knapp an mir vorbeigeschwappt.

So hat mich – gut dreißig Jahre später – ein Bericht in der Tageszeigung nicht überrascht: „…Cavino bringt ein uraltes Kulturgut ins Wanken: die Weinflasche. Sie setzt statt dessen auf Kunstoffbeutel und hat nun erstmals einen Schweizer Winzer als Partner….“

Winzer Reto Honegger% Stäfa (Schweiz)% der sich auf das Experiment Bag-in-Box eingelassen hat.

Spätestens jetzt kommt die „Gretchenfrage“, auch bei mir. Ich bin – in Sachen Wein – eher konservativ. Wein ist für mich auch (und vor allem) ein Stück Kultur. Dazu gehören nicht nur die Weinflasche aus Glas, der leicht feucht-dunkle Weinkeller, die richtig geformten, klingenden Gläser, ja sogar der leidige Korken (der mir schon so manchen Wein gründlich verdorben hat). Und jetzt die alles entscheidende Frage: gelingt es mir, die Blockade im Kopf zu lösen? Haben die rund dreißig wohlgeformten Dekantier-Karaffen im Schrank wirklich ausgedient?

Elisabeth, eine Bekannte aus unserem Freundeskreis, wagt die Nagelprobe: „Wie hast Du es mit den Wein-Boxen?“ Jetzt muss ich Farbe bekennen, und ich bin über mich und meine Antwort selber erstaunt: „Ich finde die Bag-in-Box eine echte Chance!“ Wie? Eine Chance und keine Unkultur? Und diese Aussage ausgerechnet von mir?

Präsentation in einer südfranzösischen Winzer-Genossenschaft. Oben die Geschenkverpackungen% unten Bag-in-Box.

Tatsächlich tauchen vor mir Bilder auf, Erfahrungen aus meiner zweiten Heimat Südfrankreich. Ein Glas Roter am Strand, zum Mittagessen im Strandcafé. Gewöhnlicher „Vin de table“ – untrinkbar, oxydiert, zu lange offen, offensichtlich abgefüllt aus den „Vracs“, den Tanks für Offenausschank. Hier wird eigentlich nur Rosé getrunken am Mittag, kaum Rotwein, und schon gar nicht aus Flaschen. Und mit einem Mal kommen all die Erinnerungen hoch, in denen ich „abgestandenen“ Wein zu trinken vorgesetzt bekam, in Restaurants, ja sogar bei Bekannten, die keine ausgesprochenen Weintrinker sind. Es waren immer einfache Weine, aber auch die sollten zumindest nicht fehlerhaft sein. Wenn immer möglich frisch, ansprechend, genüsslich, voll Aromen und in guter Balance der Frucht, Säure, Tannine und des Alkohols. Dann doch lieber etwas weniger Kultur, dafür einen „anständigen“ Wein. Auch in der Küche die gleiche Erfahrung (ich koche fast immer mit Wein).

Werbung eines Herstellers von Bag-in-Box.

Richtig! Ich finde, die Bag-in-Box hat zwar wenig mit Kultur zu tun, dafür um so mehr mit dem Weingebrauch. Für eine gewisse Sparte von Weinen – den einfachen, aber qualitativ guten Alltagsweinen – ist das Château Karton eine Chance, die genutzt werden muss. Die zum einen den Preis deutlich reduziert, zum andern im Bereich der belanglosen Massenweine einen echten Qualitätssprung darstellen kann. Sofern Winzer bereit sind, ihre guten, einfachen Weine in Bag-in-Box anzubieten. Wenn bisher in den Kartons meist ungenügende Qualität anzutreffen war, dann können die Boxen nichts dafür, dafür sind allein die Winzer verantwortlich oder die Großverteiler, welche die praktische (und billigere) Schlauchverpackung nutzen, um ihre nichtssagenden Massenprodukte zum Konsumenten zu bringen. Marktvorteil eben!

Nie mehr abgestandene und oxidierte Weine - auch nicht am Strand!

In Deutschland (und auch in der Schweiz) hat es Bag-in-Box schwer, sowohl bei den Konsumenten als auch in der Weinwelt. Zeitschriften, Blogs, Foren nehmen davon kaum Kenntnis, kein Thema für anspruchsvolle Weingenießer. Wirklich kein Thema? Oder doch? Für alle, die am Abend nur ein wo möglich gutes Gläschen trinken, bei denen oft offene Flaschen herumstehen und die den Zapfhahn nicht nur für Bier, sondern auch für Wein akzeptieren können. Vielleicht auch nur für jene, die bisher nur das Bibelwort kennen: „Man füllt nicht neuen Wein in alte Schläuche; sonst zerreißen die Schläuche…“, sondern bereit sind, auch neue Schläuche mit gutem Wein zu akzeptieren. Gefordert sind die Winzer, guten Wein auch in modernen Schläuchen anzubieten.

Herzlich

Ihr/Euer

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