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Manch einer denkt bei Kanada an Dauerfrost und Nordlichter, an ein Grenzland der Arktis und möglicherweise an halbwegs trinkbares Bier, an Ahornsirup und Schinken in Dosen, dazu an einen unerschöpflichen Vorrat an Eishockeyspielern und Komikern, die alle irgendwann nach Süden auswandern.

Wenn es einen Wein gibt, der dem Image Kanadas am ehesten entspricht, dann ist es sicherlich der Eiswein, dieser süße und säurereiche Dessertwein, der aus fest gefrorenen Trauben gewonnen wird. Die Trauben aus denen Eiswein hergestellt wird hängen noch lange nach der regulären Ernte an blattlosen Reben, mit Netzen bedeckt, um sie vor den hungrigen Vögeln zu schützen. Einiges ist anders als in Deutschland, denn im Rahmen der üblichen Einstellung in der Neuen Welt wird Eiswein hier aus vielen verschiedenen Rebsorten gewonnen - Cabernet Franc sowie die französische Hybridsorte Vidal sind beliebt zur Herstellung von Eiswein auf der Niagara-Halbinsel. Inniskillin, eines der bekanntesten Weingüter Kanadas, produziert aus der Vidaltraube sogar einen schäumenden Eiswein. In der Neuen Welt gibt es noch kaum festgefahrene Traditionen, obwohl meine Erfahrung mir zeigt, dass die besten kanadischen Eisweine aus Riesling gewonnen werden.

 

Rieslingtrauben warten auf die Eisweinlese im Dezember

Für viele Konsumenten in der Neuen Welt ist Eiswein eine ebenso typische kanadische Erscheinung wie die Eishockeymannschaft der Toronto Maple Leafs. Dass Eiswein einen deutschen Ursprung haben soll ist für viele in Nordamerika eher erstaunlich, da wir immer wieder hören dass Kanada der weltweit größte Produzent von Eiswein ist. Die Kanadier haben sogar einen eigenen Begriff dafür, mit etwas abgewandelter Schreibweise, hier heißt es ”Icewine”, der Rest der englischsprachigen Welt sagt dazu ”ice wine”.

 

Die Produktion von Eiswein ist meistens mit hohen Risiken verbunden. In manchen Jahren spielt das Wetter nicht mit. Ein milder Winter kann alle Pläne bezüglich der Eisweinproduktion zunichte machen. In Kanada ist es Vorschrift, dass die Temperatur auf mindestens -8°C sinken muss, ehe man die gefrorenen Trauben ernten kann, aus denen der süße, extrem konzentrierte Most gewonnen werden kann. In diesem Jahr, zum Beispiel, wurden die meisten Trauben zur Herstellung von Eiswein erst Mitte Januar geerntet, viele Winzer haben sich deswegen Anfang der Saison große Sorgen gemacht. Der Ertrag, den die gefrorenen Trauben erbringen, liegt im vergleich zu Trauben für die Gewinnung von „normalem” Wein bei ca. einem Fünftel.

Es wäre verkehrt, würde man den kanadischen Weinbau als seltsame Nische beschreiben, die mit Eiswein gefüllt ist. Obwohl die offizielle Weinstatistik für Kanada berichtet, dass in Ontario im Jahr 2004 nicht weniger als 900.170 Liter Eiswein produziert wurden, sind es viele kanadische Winzer inzwischen leid, ausschließlich als Produzenten von Eiswein zur Kenntnis genommen zu werden: immerhin besteht die Weinproduktion in Kanada zu 99 Prozent aus ”normalem” Tafelwein. Andere sehen im kanadischen Eiswein ein einzigartiges Produkt, das Interesse weckt und den Verbraucher auf das Weinbauland aufmerksam macht.

Die Niagara-Halbinsel

Bei all dieser Diskussion um kaltes Klima und Eiswein gilt es zu bedenken, dass das Zentrum des Weinbaus in Kanada nicht am Yukon oder in Neufundland liegt. Kanada hat vor allem zwei wichtige Weinbaugebiete: Das Okanagan Valley in der Provinz British Columbia im Westen (nahe der Grenze mit den USA, auf der Südseite liegt der US-Bundesstaat Washington), und im Osten die Niagara-Halbinsel in der Provinz Ontario.

 

Niagarafälle

Alle großen Weinbaugebiete legen Wert darauf, dass sie sich aufgrund einer außerordentlichen geographischen, geologischen und/oder klimatischen Besonderheit von anderen Gebieten unterscheiden. Im Falle der Niagara-Halbinsel in Kanada ist es schon möglich, dass diese Unterscheidungsmerkmale etwas weiter gehen als anderswo. Das erste besondere Merkmal ist der Ontariosee, einer der tiefsten der Großen Seen, nur der Lake Superior im Nordwesten ist noch tiefer. Dieses tiefe Wasser speichert im Sommer die Hitze, so dass der See eine ausgleichende Funktion gegenüber den kalten Massen an Polarluft, die aus dem Norden kommen, hat. Das zweite besondere Merkmal ist der Niagara-Steilabbruch (Escarpment), ein hochgeschobenes dolomitisches Steingrat mit einer sehr steilen Oberfläche, das sich in südöstlicher Richtung quer über den Bundesstaat Ontario zieht, und im Staat New York weiterläuft. Diese interessante geologische Formation ist auch schon aus einem anderen Grund seit langer Zeit berühmt: es ist die Basis der Steinklippen über die der Niagarafluss in die Tiefe stürzt, auch bekannt als die Niagarafälle.

Sichtbares Urgestein am Niagara-Steilabbruch

Das Kerngebiet für den Weinbau, so wie es durch den Steilabbruch vorgegeben wird, ist relativ klein, die Länge beträgt in etwa 50 Km, die Breite variiert von 10 Km in der Nähe des Niagaraflusses bis auf nur 1 Km im äußersten Westen des Gebiets. Dennoch gibt es innerhalb dieses kleinen Anbaugebiets nicht weniger als 13 getrennte Untergebiete (Sub-Appellationen) für die Weinproduktion.

Der Steilabbruch zusammen mit dem Einfluß des Ontariosees führt dazu, dass das Klima in der sanft abfallenden Region zwischen Steilabbruch und See gemildert wird. Der Steilabbruch ist teilweise bis 25 Meter hoch und wirkt wie ein Schutzwall, der die zirkulierende, warme und feuchte Luft, die vom Ontariosee aufsteigt, in diesem Bereich festhält. So entsteht ein Mesoklima, das viel milder ist als in den Bereichen außerhalb dieser klar definierten Region. Diesem gemäßigten Klima ist es in erster Linie zu verdanken, dass aus der Niagara-Halbinsel eine erfolgreiche Weinbauregion geworden ist. Len Pennachetti vom Weingut Cave Spring Cellars nennt es einen ”klimatischen Glücksfall”. Mit einem leichten Lächeln beschreibt er das gemäßigte Klima der Niagara-Halbinsel mit widersprüchlichen Begriffen als ”maritim-kontinentales Klima”.

 

Der Niagara-Steilabbruch erhebt sich hinter den Weinbergen in der Region Beamsville Bench

Tatsächlich liegt die Niagara-Halbinsel, das bekannteste und führende Anbaugebiet für Wein im Osten Kanadas, am Südufer des Ontariosees, etwa 150 Kilometer südlich der Metropole Toronto, ungefähr auf dem selben Breitengrad wie Florenz in Italien. Trotzdem wird die Gegend noch als eine Region mit kühlem Klima klassifiziert. Die Polarluftmassen führen im Frühjahr und Herbst zu unbeständigem Wetter, und die Wintertemperaturen sind kälter als diejenigen, die man in den meisten europäischen Weinbauregionen mit kühlem Klima vorfindet.

Da das kühle Klima zur Realität der Niagara-Halbinsel gehört, muss man bei der Auswahl der Rebsorten entsprechend vorsichtig vorgehen. Die Rebsorten, die hier angepflanzt werden, kann man in zwei oder drei Kategorien unterteilen. Die eine könnte man als deutsches Modell bezeichnen. Dann gibt es die zweite Gruppe, das Burgundermodell, das sich auf Chardonnay und etwas Pinot Noir aufbaut. Beim dritten Modell werden alle diese Rebsorten, und noch einige mehr, in einer Art und Weise zusammengeworfen wie es nur in der Neuen Welt vorkommt. Bei einem kürzlichen Besuch auf der Niagara-Halbinsel habe ich außer den oben erwähnten Weinen noch Folgendes verkostet: Gamay, Cabernet Sauvignon, Merlot, Cabernet Franc, Syrah, Pinot Gris, Gewürztraminer, Sauvignon Blanc, Viognier, und Vidal. Vidal bedeckt 20% der gesamten Rebfläche, weil die Sorte sehr kälteresistent ist, und sich sehr gut für Eiswein eignet.

Freihandel, die VQA, und Agritourismus

In meinen Gesprächen mit vielen kanadischen Weinproduzenten kam zum Ausdruck, dass viele damit übereinstimmten, dass das Freihandelsabkommen (Free Trade Agreement) von 1988 der auslösende Faktor war, der den Weg frei gemacht hat für kanadische Weine auf dem Weltmarkt. Bis 1988 hat die kanadische Regierung die kanadischen Winzer vor der Konkurrenz in Schutz genommen. Im Lande aus französischen Hybridsorten und Vitis labrusca (Rebsorten wie Concord) gewonnene Weine wurden subventioniert, so dass Weine minderer Qualität aus diesen Rebsorten für den Verbraucher in Kanada wesentlich billiger waren als importierte Weine aus dem Ausland. Das hatte zur Folge, dass es keinen Anreiz gab, die qualitativ höherwertigen, aber mit größerem Risiko behafteten europäischen Rebsorten der Spezies Vitis vinifera anzupflanzen, zu der Gruppe gehören all die bekanntesten Rebsorten weltweit, von Cabernet Sauvignon bis Chardonnay. Nach dem Wegfall der Schutztarife mussten die kanadischen Weine im eigenen Markt gegen die Weine aus der ganzen Welt antreten und in der Folge ist die Qualität der kanadischen Weine gestiegen, um mit der Konkurrenz mithalten zu können.

Im Jahr 1988 hat die kanadische Regierung auch das Gesetz über die Inhaltsstoffe von Wein, den Wine Content Act, geändert, so dass seitdem die Rebsorten der Spezies Vitis labrusca nicht mehr in der Herstellung von Tafelweinen verwendet werden dürfen. Im selben Jahr haben sich auch jene kanadischen Winzer, die Wert legten auf eine Verbesserung des Ansehens des kanadischen Weins zum Verband der Vintners Quality Alliance (VQA) zusammengeschlossen. Dieses ist de facto ein Appellationssystem, bei dem Weinbauregionen definiert und Qualitätsstandards festgelegt wurden. Das Siegel der VQA auf einer Flasche kanadischen Weins bürgt für einen hochwertigen Wein, der aus einem klar definierten Anbaugebiet stammt.

Ohne großes Aufhebens macht sich die Weinindustrie auf der Niagara-Halbinsel daran erwachsen zu werden. Das mag sich seltsam anhören, da der „seriöse” Weinbau, also mit Rebsorten der Spezies Vitis vinifera, hier erst Ende der 1970er Jahre begann. Manche der Pioniere der ersten Stunde kommen jetzt langsam ins Rentenalter - Karl Kaiser und Donald Ziraldo, die Gründer von Inniskillin vor zweiunddreißig Jahren, haben kürzlich ihren Rücktritt bekanntgegeben.

Mittlerweile sieht man hier die zweite Generation der Weingutsbesitzer, manche mit dicken Geldbeuteln, die sie zunächst in ganz anderen Berufszweigen gefüllt haben. Das Weingut als Ausdruck einer architektonischen Idee sieht man jetzt häufiger. Ich sehe das als Zeichen der Stabilität. In mancher Hinsicht erinnert es mich an das Napa Valley in Kalifornien. Allerdings empfand ich die Preise der kanadischen Weine als viel verbraucherfreundlicher im Vergleich zu denen der Weine aus Napa.

Die Zeitschrift Wines and Vines aus den USA berichtet, dass im letzten Jahr in Kanada 108 neue Weingüter entstanden sind. Das entspricht einer Verdoppelung der Gesamtzahl in nur einem Jahr. Alleine 38 dieser neuen Weingüter liegen in Ontario, damit liegt die Gesamtzahl in der Region jetzt bei 133 Weingütern (Stand 2006).

Martin Malivoire hat 1997 Weinberge für sein Weingut Malivoire Wine Company gekauft. Er sagte mir kürzlich bei der Verkostung ”Canada in New York” in New York City, dass ein Hektar Weinberge auf der Niagara-Halbinsel heute bereits sechs mal so teuer ist wie noch 1997.

Eine Klage, die ich von fast allen Produzenten zu hören bekam war, dass es derzeit nicht genügend Wein gibt, den man anbieten könnte, da zwei der letzten drei Jahrgänge mengenmäßig ausgesprochen klein ausgefallen sind und die Nachfrage im eigenen Land so stark sei.

 

Niagara on the Lake

Große Anlagen professionell bewirtschafteter, ordentlich ausgerichteter und beschnittener Rebstöcke dominieren die Landschaft zwischen See und Steilabbruch. Heute beschert der Agritourismus den Winzern ein zusätzliches Einkommen, die damit die Risiken des Landwirtschaftsbetriebs in einem kühlen Klima etwas mildern wollen, und die dabei eine loyale Gefolgschaft von Gourmets und Weinliebhabern aus der großen Metropole Toronto und ihrem Umland anziehen. Ich war von der Qualität der Weine sehr beeindruckt. Weintrinker in Kanada scheinen darin mit mir überein zu stimmen. Ich war erstaunt, dass an einem kalten Samstag Mitte Dezember die Verkostungsräume der Weingüter berstend voll waren und dabei nicht nur Wein verkauft wurde, sondern alles von Weinaccessoires bis hin zu Kleidung. Dieser wachsende regionale Tourismus hat zur Folge, dass eine Gegend, die früher nur für Obstplantagen bekannt war, sich mausert zum attraktiven Zielgebiet für Weingutsbesuche.

Weinliebhaber, die hier zu Besuch sind finden charmante Hotels und Restaurants vor Ort. Zum Beispiel liegt direkt am Weingut Cave Spring Cellars in Jordan, Ontario das herrliche Gästehaus Inn on the Twenty mit seinem Restaurant, On the Twenty. Der Begriff ”Twenty” (Zwanzig) bezieht sich auf den Namen des daneben verlaufenden Bachs, der über den Steilabbruch in den Ontariosee fließt. Wenn Sie einmal die Region besuchen wollen, bietet das Inn on the Twenty einen idealen Rastplatz, ein angenehmes, kleines Hotel mit freundlicher Bedienung, für Weingutsbesuche ideal gelegen.

 

On the Twenty% das Restaurant des Weinguts Cave Spring Cellars% Jordan% Ontario


Vorschau auf Teil ll: Weingüter, Winzer und Weine der Niagara-Halbinsel

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