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Es sind Peanuts in der badischen Weinwirtschaft: Bei 0,2 Prozent lag nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2017 der Land- und Tafelweinanteil in Baden. Des ungeachtet sorgen badische Landweinwinzer aktuell für Aufmerksamkeit und Bewegung in der Weinwelt. Sie nutzen eine vermeintlich mindere Qualitätseinstufung, um fernab stilistischer Zwänge „ihren“ Wein zu machen. Ihr Kristallisationspunkt ist der Badische Landweinmarkt im Müllheim. Und der ist spätestens seit der dritten Auflage mit Schirmherrin Jancis Robinson in vieler Munde.

Es ist der 26. April 2016 - ein Feiertag für viele Winzer im Markgräflerland. Der Tag des Müllheimer Weinmarktes, des ältesten Weinmarkts in Deutschland. Wie in jedem Jahr treffen sich hier Winzer aus der südbadischen Region, um die Weine ihrer Kollegen zu probieren, zu fachsimpeln, zu diskutieren. Probieren dürfen Landweinwinzer hier zwar. Anstellen dürfe sie ihre Weine zu diesem Zeitpunkt aber nicht, ebensowenig etwa bei der Badischen Weinmesse in Offenburg. Und so hecken die vier Markgräfler Winzer Hanspeter Ziereisen, Dirk Brenneisen, Max Geitlinger und Karl-Heinz Ruser noch am selben Tag einen Plan aus: „Dann starten wir eben unseren eigenen Weinmarkt.“ Die Inspiration kam dem Quartett übrigens nicht bei einem Glas Wein - sondern bei einem Gin Tonic an der Bar eines Müllheimer Landhotels.

 

„Wie Wein schmecken darf, soll doch bitte der Kunde entscheiden“
(Hanspeter Ziereisen, Winzer)

Bis zu diesem Tag hatte es schon länger gegärt unter einigen der Winzer, die ihre Weine bewusst als Landwein - also in der Qualitätsstufe unterhalb der QbA angesiedelt und landläufig als eher minderwertig eingeordnet - vermarkten, um sich nicht dem Geschmacksdiktat der Qualitätsweinprüfung unterordnen zu müssen. Kritikpunkt ist das deutsche Weinrecht von 1971, das in der gesamten Weinbranche viele für überholt halten. Denn zur Einstufung als Qualitätswein zählt auch eine sensorische Prüfung. Dort entscheiden die Prüfer, ob ein Wein eine gewisse Gebietstypizität besitzt. Hat er diese nicht, darf der Wein nicht als Qualitätswein vermarktet werden. Das führt zu absurden Realitäten: Hochdekorierte, handgemachte Landweine mit ausgeprägtem Eigencharakter besitzen demnach weinrechtlich eine geringere Qualität als der industriell produzierte Tropfen für 2,99 Euro vom Discounter. Das Problem: Für viele gerade weniger interessierte Weinkäufer in Deutschland stellt die gesetzliche Einstufung immer noch eine maßgebliche Qualitätsnorm dar. Dabei zitierte schon 1971 der „Spiegel“ Dr. Eugen Hieke, den damaligen Chef des staatlichen Chemischen Untersuchungsamtes in Mainz, mit den Worten: "Das neue Weingesetz stellt weniger als bisherige weinrechtliche Vorschriften "Lebensmittelrecht' zum Schutze der Verbraucher dar, sondern vermehrt wirtschafts- und marktordnendes Recht."

Doch gerade der Verbraucher sollte für Hanspeter Ziereisen, die treibende Kraft hinter dem Badischen Landweinmarkt, im Mittelpunkt stehen. Natürlich sei der Herkunftsnachweis wichtig, und natürlich müsse der Wein auch verkehrsfähig sein. Aber: „Wie er schmecken darf, das soll doch bitte der Kunde entscheiden," fordert der Winzer aus Efringen-Kirchen.

„Das wichtigste Prinzip ist Qualität, nicht Konformität“
(Jancis Robinson, Weinjournalistin)

Ziereisen, der in Deutschland zu den Vorreitern spontanvergorener, schonend langsam ausgebauter Weine zählt, verabschiedete sich schon 2004 von der Qualitätsweinprüfung, weil seine Weine wegen fehlender Typizität mehrmals mit den Prüfungsanforderungen kollidierten. Damit steht er nicht allein, von den Teilnehmern am Landweinmarkt machten etwa Sven Enderle und Florian Moll, Sven Nieger, Dirk Brenneisen oder Karl-Heinz Ruser ähnliche Erfahrungen. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen und die Inititative zum Landweinmarkt ins Rollen brachte, waren dann letztlich die Ablehnungen und damit fehlenden Vermarktungsmöglichkeiten bei regionalen Weinveranstaltungen. Randnotiz: Inzwischen sind Landweine auch zum Müllheimer Weinmarkt zugelassen…

Es ist der 29. April 2019 – und Hanspeter Ziereisen wirkt eins der seltenen Male etwas angespannt. Gleich steht die Begrüßung der Gäste zum dritten Badischen Landweinmarkt auf dem Programm. Etwa 400 Besucher, 22 beteiligte Winzerinnen und Winzer vom Kraichgau bis zum Markgräflerland samt Warteliste für das kommende Jahr, 180 präsentierte Weine – der Badische Landweinmarkt hat seit der ersten Auflage eine Dynamik gewonnen, die auch die Initiatoren überrascht hat. Ziereisen selbst drückt es so aus: Er habe nicht gewusst, was für einen Stein er und seine Kollegen ins Wasser geworfen hätten.

Dieser Stein erzeugt spätestens seit der Zusage von Jancis Robinson als Schirmherrin des Landweinmarktes 2019 mehr und größere Wellen. Schon zuvor hatte die Veranstaltung unter aufgeschlossenen Weinliebhabern und -Fachleuten für Interesse gesorgt. Dass es nun gelungen ist, die Engländerin als Schirmherrin des diesjährigen Landweinmarktes zu gewinnen, ist für die Landweinwinzer Coup und Ritterschlag zugleich. Bei einem Treffen in London fragten Ziereisen und Ehefrau Edeltraud bei der weltweit bekanntesten und einflussreichsten Weinjournalistin „einfach mal nach“. Und nach ein paar Wochen Bedenkzeit rauschte dann Robinsons E-Mail ins Postfach: "I will do it."

 

„Die Weinwelt ist so im Fluss wie nie“
(Jancis Robinson, Weinjournalistin)

Nicht nur die „Grande Dame“ der Weinwelt gab für die dritte Auflage des Landweinmarktes ihre Zusage: Mit dem „Wine Advocate“-Kritiker und F.A.S.-Kolumnisten Stephan Reinhardt übernahm ein weiterer renommierter Weinjournalist die sogenannte Masterclass beim Landweinmarkt.

Bei Robinson selbst rannten die Landweinwinzer wohl offene Türen ein, wie sie in ihrer Eröffnungsrede andeutete. Die „Weinwelt ist so im Fluss wie noch nie“, schilderte die Engländerin ihre Eindrücke. „Der Trend, den ich hier beobachte, ist ein weltweiter Trend.“ Es gebe nicht „den einen, richtigen Weg“ zum Weinmachen, so Robinson. Aber: „Das wichtigste Prinzip dort ist Qualität, nicht Konformität.“

Und sie plauderte auch aus dem Nähkästchen, erzählte von Willi Klinger, dem scheidenden Chef der Österreich Wein Marketing. Der nämlich lud die Weinjournalistin zu einer Konferenz ein – damit sie den dortigen Prüfern erklärt, wie sich die Weinwelt verändert hat.

Eine ähnliche Aufgeschlossenheit würden sich die Landweinwinzer auch von den offiziellen Organen in Deutschland wünschen. Doch bis es (vielleicht) soweit ist, nehmen die Teilnehmer am Badischen Landweinmarkt die oft freiwillige Qualitätsherabstufung in Kauf – oder profitieren sogar davon.

„Landwein ist die Plattform, um Weine zu produzieren, die nicht von der Stange sind“
(Max Geitlinger, Winzer)

„Unser Hauptaugenmerk lag von Anfang an auf der Vinifizierung von Weinen mit „Charakter“, welche die jeweilige Lage bzw. das jeweilige „Terroir“ möglichst unverfälscht und direkt wiederspiegeln sollen“, erklären Sven Enderle und Florian Moll vom gleichnamigen Weingut in Ettenheim. „Als unsere ersten Weine von zuständigen Gremien für Qualitätsweinprüfung dann als „untypisch“ für badische Burgunder eingestuft wurden, entschlossen wir uns, diese fortan als Landweine zu deklarieren, um nicht markant in die Stilistik eingreifen zu müssen.“

„Wir sind ein sehr junges Weingut und haben von Anfang an ausschließlich auf Landwein gesetzt“, sagen Marco Pfliehinger und Uwe Lange vom Kraichgauer Weingut Forgeurac dagegen. „Unsere Kunden kennen uns also nur so - als Landweinproduzenten - und so wurde bisher die Auslobung als Landwein noch nie wirklich thematisiert. Inzwischen melden sich auch neue Kunden bei uns, die genau über den Landwein auf uns aufmerksam geworden sind oder die Idee sehr gut finden und die ganze Bewegung unterstützen möchten.“

Einer der vielen jungen Winzer beim Landweinmarkt ist Max Geitlinger aus Kandern, der von seinen Kunden hauptsächlich positive Resonanz erhält: „Man spürt immer wieder das Interesse am Neuen, am Ungewohnten, an Weinen die überraschen, die überzeugen und die dazu animieren, sich damit auseinanderzusetzen. Landwein ist die Plattform, die es zulässt, solche Weine zu produzieren, Weine die nicht ‚von der Stange‘ sind.“

„Uns geht es um den Wein, und nicht darum, einen QBA zu machen“
(Christoph Wolber und Alexander Götze, Weingut Wasenhaus)

Auch Christoph Wolber und Alexander Götze vom Weingut Wasenhaus in Staufen schätzen die stilistischen Landwein-Freiheiten: „Uns geht es um den Wein und den Wein den wir selber gerne trinken, und nicht darum, einen QbA zu machen. Wir präsentieren unsere Weine eher selten und wenn, dann meist weit weg, daher ist es schön, auch lokal präsent zu sein und somit aufzuzeigen, wie das weniger klassische Wein-Baden lebendig sein kann.“

Und Landwein-Veteran Ziereisen hat anfängliche Irritationen seiner Kundschaft schon lange ausgeräumt: „Inzwischen verstehen unsere Kunden die Kategorie „Landwein“ eher als Qualitätssiegel für nicht banale Weine mit viel Charakter.“

Was ist es nun, was die im Müllheimer Landhotel „Alte Post“ präsentierten Landweine anders macht? Sicher nicht ihre qua Gesetz mindere Qualität. Hanspeter Ziereisen betont: „Wir mögen Spinner sein, aber wir sind Spinner mit Niveau. Wir machen Weine mit Qualität. Klar gehen bei uns auch mal Weine in die Binsen, klar wagen wir auch mal Experimente, die nicht jedem gefallen. Aber was uns alle vereint, ist nach unserem Verständnis das Streben nach dem bestmöglichen Wein – und nicht, eine Lücke zu finden, weil unsere Weine abgelehnt würden oder weil Orange-Weine gerade hip sind.“

„Wir mögen Spinner sein, aber wir sind Spinner mit Niveau“
(Hanspeter Ziereisen, Winzer)

Deshalb sind die Voraussetzungen zur Teilnahme streng. Die Betriebe müssen komplett auf die Produktion von Landweinen umgestellt haben. Und angestellte Weine dürfen nicht aus dem vorangegangenen Herbst stammen. Denn zur Philosophie gehört auch: "Wein braucht Zeit, um Wein zu werden." Außerdem sollten die Winzer Wert legen auf qualitativ hochwertigste Trauben. Das bedeutet eine (mindestens) naturnahe, aufwändige und intensive (Hand)-Arbeit im Weinberg sowie bei der Lese und im Keller weitestgehender Verzicht auf Eingriffe.

Dass dies nicht jedem schmeckt und gefällt, ist auch Hanspeter Ziereisen klar: "Unsere Weine entsprechen oft nicht dem modernen Geschmacksbild. Sie sind tendenziell eher mineralisch als fruchtig.“

So gab es auf dem dritten Badischen Landweinmarkt neben viel Anerkennung (natürlich) auch Kritik für die Weine. Ein Umstand, der die beteiligten Winzer selbstverständlich nicht freut, den sie aber schätzen. Denn das Feedback der meist sehr fachkundigen Besucher ist gerade für die jüngeren Weinmacher ein hilfreicher Ansporn. Häufig boten die Meinungen und Fragen der Gäste auch einen willkommenen Anlass, um sich in angeregte Diskussionen mit den Winzern zu vertiefen.

In einem waren sich viele Besucher dennoch einig: Bei fast allen beteiligten Winzern erkannten sie eine eigene Handschrift und einen eigenen Charakter in der Kollektion. Und die Lebendigkeit während der Veranstaltung spiegelte das Empfinden von Winzern und Gästen wider: Hier ist etwas in Bewegung geraten. Oder wie es Marco Pfliehinger und Uwe Lange vom Weingut Forgeurac kommentieren: „Man kann wirklich gespannt sein, was da noch alles passiert.“

Ausstellende Winzer und Weingüter am dritten Badischen Landweinmarkt 2019:

Dirk Brenneisen, Mario Burkhart, Enderle & Moll, Fendt Weinfamilie, Weingut Forgeurac, Frank Weinbau, Max Geitlinger, Weingut Greiner, Weingut Höfflin, Johannes Kiefer, Michael Kintz, Weingut Liebich, Winzerhof Linder, Sven Nieger, Hannes Pix, Ralf Röschard, Karl-Heinz Ruser, Weingut Rabenhof, Felix Scherer, Weingut Vorgrimmler, Weingut Wasenhaus, Hanspeter Ziereisen

Hartmut Bick ist Journalist und ausgebildeter Winzer. Dem Weingut Ziereisen ist er seit Jahren in unterschiedlichen Funktionen verbunden und wirkt auch im Helferteam für den Badischen Landweinmarkt mit.

Weinempfehlungen

Wir haben alle Teilnehmer des Landweinmarktes eingeladen, Proben einzureichen. Leider sind nicht alle Betriebe unserer Einladung gefolgt, so dass wir einige Produzenten bislang lediglich ohne Weine vorstellen können. Die besten Ergebnisse aus unseren Verkostungen stellen wir hier vor. Links zu sämtlichen bislang probierten Weinen mit ausführlichen Beschreibungen finden Sie über die unterhalb des Artikels verlinkten Weingüter. Die Proben fanden wie immer durch Marcus Hofschuster blind in Erlangen statt.

Weißwein

Orange / Natural

Rotwein

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