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Angelo Gaja, Winzerlegende aus der italienischen Weinregion Piemont, kam am 6. und 7. Juli 2014 in die Pfalz, um in Neustadt an der Weinstraße einen Vortrag über “Die Geschichte des Weins” zu halten und auf der Weinfachmesse “Véritable 14” in St. Martin seine Weine zu präsentieren. Eingeladen hatten die “Véritable”-Organisatoren Uwe Warnecke (früherer Sommelier im Hotel und Restaurant Deidesheimer Hof) und Philipp Kiefer vom Wein- und Sekthaus Aloisiushof sowie die Gebietsweinwerbung Pfalzwein. Der Besuch fand auch vor dem Hintergrund der touristischen Kooperation zwischen den Pfälzer Weinbauorten Deidesheim und Neustadt an der Weinstraße mit der Region Langhe-Roero im Piemont statt.

Gaja, Jahrgang 1940, ist der Urenkel von Giovanni Gaja, der im Jahr 1859 das Familienweingut in Barbaresco gründete. Er stieg 1961 mit 21 Jahren in den Betrieb ein, nachdem er in Alba und Montpellier Weinbau sowie in Turin Wirtschaft studiert hatte. 1970 stellte er den Önologen Guido Rivella ein, der bis heute für die Weine aus dem Hause Gaja verantwortlich ist. Angelo Gaja gilt als Vorreiter für die Erführung der malokatischen Gärung, den Einsatz von Barriquefässern und die Pflanzung französischer Rebsorten im Piemont. Mit Barolo, Barbaresco und Super-Toskanern gelangte er zu Weltruhm und wurde mit zahlreichen Preisen und Ehrungen ausgezeichnet. Das Weingut Gaja bewirtschaftet gegenwärtig rund 100 Hektar Rebfläche im Piemont und über 130 Hektar in der Toskana.

 

Am 6. Juli im Saalbau in Neustadt/Weinstraße (v.r.n.l.): Winzerlegende Angelo Gaja; Willi Klinger% Geschäftsführer der Österreich Wein Marketing (ÖWM) und Übersetzer bei der Vortragsveranstaltung; Theresia Riedmaier% Landrätin des Landkreises Südliche Weinstraße; Dagmar Loer% Geschäftsführerin der Tourist% Kongress und Saalbau GmbH in Neustadt an der Weinstraße. (Foto: neustadt.eu)

Handwerkliche Winzer sorgen für Qualität und Fortschritt

Der Name Gaja hat seinen Ursprung im Spanischen und kam ins Piemont, als im 18. Jahrhundert – wie Angelo Gaja schilderte – ein Spanier eine Frau aus dem Ort Barbaresco heiratete. Angelo steht für die vierte Generation der Familie, und die erstgeborenen Söhne der Gajas heißen seit der Gründung des Weinguts stets Giovanni und Angelo im Wechsel; Angelos Sohn heißt also wiederum Giovanni, wie sein Vater und sein Urgroßvater.

“Die Menschen brauchen Respekt vor den Entwicklungen und der Vergangenheit. Man muss die Geschichte verstehen, um erfolgreich zu sein”, so der Kultwinzer. Es gehe darum, die Lebenserfahrung für die nächste Generation zu sichern und sie weiterzugeben. “Die Vergangenheit hat ihren Wert, aber sie erklärt nicht alles in der Zukunft. Vor 40, 50 Jahren ist die moderne Zeit des Weins angebrochen”, erklärte Gaja. Diese Modernität sei geprägt durch Klarheit: durch saubere und präzisere Weine, nicht zuletzt aufgrund von besserer Kellerhygiene. Der technische Fortschritt bringe einerseits gefällige Weine hervor, die von Großkellereien kämen und für den Konsumenten sofort zugänglich seien. Andererseits entstünden Terroirweine, in denen die geographischen Gegebenheiten auf den Wein übertragen würden. “Terroirweine sind nicht am Konsumentengeschmack orientiert, sondern an ihrer Herkunft und der Mentalität des Produzenten”, so Gaja. Erzeugt würden sie von handwerklichen Weingütern, den Artigiani. “Alle Weinerzeuger sind wichtig – die Winzer, die Genossenschaften, die Großkellereien –, aber die Artigiani sind etwas Besonderes!” Diese handwerklichen Winzer seien wichtige Protagonisten – laut Gaja “Verrückte, die an einen Traum glauben”. Sie trieben die Weinqualität voran, Fortschritt gebe es nur mit ihnen.

 

Angelo Gaja (links) mit ÖWM-Chef und Übersetzer Willi Klinger bei seinem Vortrag. “Die Weinberge in den Regionen Langhe-Roero und Monferrato sind als Unesco-Welterbe anerkannt% und daraus erwächst die Verpflichtung% diese einzigartige% wertvolle Landschaft zu erhalten. Das ist eine große Herausforderung% denn gleichzeitig kann der zunehmende Tourismus das Ökosystem gefährden”% warnte der Starwinzer. (Foto: neustadt.eu)

Gaja verwies auf die Situation in den kommunistischen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg: “Etwa im heutigen Georgien oder Moldawien wurde Wein gemäß den Vorgaben der Planwirtschaft in Kolchosen produziert und in Moskau in den Supermärkten verkauft. Sowohl die Weinproduktion als auch der Weinverkauf waren politische Prozesse”, betonte Gaja. Für handwerkliche Winzer, die eigene Visionen hätten, sei so etwas unmöglich. “Im Kommunismus gab es keine Freiheit und daher auch keine gute Weinqualität.”

In der Krise setze die Wirtschaft (und auch die Weinwirtschaft) auf Innovation, Forschung und Technologie. “Diese Elemente sind wichtig für den Fortschritt, aber man darf die manuelle Arbeit nicht vergessen. Bei der Weinherstellung und im Tourismus ist die menschliche Arbeit der wichtigste Faktor für die Qualität, deshalb müssen wir den Wert der handwerklichen Arbeit stärker hervorheben”, forderte Gaja. “Die Landwirtschaft ist ein wichtiges, großes Reservoir für qualifizierte Arbeitskräfte, und die Winzerbetriebe sind perfekt in das System integrierbar. Sie haben das Ziel, ihren Wein in Flaschen zu verkaufen, aber wenn das nicht möglich ist, verkaufen Sie ihn in Fässern an die Händler.”

Italien habe einen großen Reichtum an regionalen Rebsorten, und diese “ortsgebundene Identität” gelte es zu kultivieren. “Es muss nicht jeder Wein immer perfekt sein. Die Natur kennt keine Perfektion”, erläuterte Gaja. “Wenn Ihnen jemand einen perfekten Wein vorsetzt, wäre ich an Ihrer Stelle sehr skeptisch! Kleine Unzukänglichkeiten dürfen bleiben; das sind die Eigenheiten des Weins, und die handwerklichen Winzer wissen diese zu schätzen.”

 

”Wer erfolgreich sein will% muss die europäische Weinkultur studieren – er muss reisen”% gab Gaja dem Publikum mit auf den Weg. Über 400 Gäste waren zu seinem Vortrag gekommen. (Foto: neustadt.eu)

Menschen, Geschichte und Geschichten

Gaja begreift sich selbst auch als Artigiano und berichtete von seiner Großmutter Clotilde Rey (1880-1961), die ihn zu diesem Selbstverständnis gebracht habe. Er sei noch keine zehn Jahre alt gewesen, da habe sie ihn gefragt, was er denn im Leben einmal werden wolle. Nachdem er darauf noch keine Antwort gewusst habe, habe sie ihm gesagt: “Du musst Artigiano werden!”

Vier Stufen seien dafür notwendig:

  1. Arbeiten, also das Tun selbst.
  2. Wissen über die Arbeit erlangen, d.h. lernen, bis man etwas meisterlich beherrscht.
  3. Die Fertigkeiten weitergeben, also jemand anderem die Arbeit beibringen.
  4. Das Wissen über die Arbeit weitergeben – oder mit einem Wort: erzählen.

“Man muss Geschichten vom Wein erzählen und sollte das auch lehren”, sagte Gaja. “Die Winzer müssen lernen, ihre Weine zu erzählen – nicht nur technische Fakten wiedergeben, sondern die Geschichte der Region und der Familie und auch die eigenen Träume einbeziehen. Es geht um emotionale Botschaften. Die Erzählung muss Neugier auf den Wein wecken.” Er regte an, “Erzählkurse” anzubieten, um die kleinen, handwerklichen Winzer zu fördern, denn diese seien in Italien mit vielen formellen Hindernissen konfrontiert. Wer die kleinen Winzer unterstütze, helfe auch ihrer Region. “Die handwerklichen Winzer sind die besten Geschichtenerzähler”, befand Gaja.

Er nannte weitere Personen, die ihn inspiriert hätten und Vorbilder für ihn seien – auch als Beispiele für jene “verrückten” handwerklichen Winzer, die jeweils beharrlich ihren eigenen Traum verwirklicht hätten: Edoardo Valentini (1934-2006), der “Vater” des Trebbiano d’Abruzzo, Mario Incisa della Rocchetta (1899-1983), der Schöpfer des Sassicaia, Ferruccio Biondi Santi (1849-1917), der “Erfinder” des Brunello di Montalcino, und Aldo Conterno (1931-2012), der für seine Barolo berühmt war und – so Gaja – angesichts der Umsatzeinbrüche nach der weltweiten Finanzkrise 2008 den Ausspruch prägte: “Jetzt kaufen noch nicht mal mehr die, die ohnehin nicht zahlen.”

 

Drei Weine aus dem Hause Gaja gab es in Neustadt zu verkosten: Promis 2009% Magari 2010 und Sito Moresco 2011. Angelo Gaja kommentierte die Gewächse. (Foto: neustadt.eu)

Auch sein Vater Giovanni (1908-2002) habe ihn beeinflusst, führte Gaja aus. Dieser sei der Überzeugung gewesen, dass es “ohne Einsatz, Leidensdruck und Opferbereitschaft” keine Qualität gebe. “Von zehn Weinjahrgängen sind drei bis vier qualitativ schlecht. In diesen Jahrgängen hat mein Vater die Weine lieber offen verkauft, als sie abzufüllen, um die Würde ihrer Herkunft zu bewahren. Den Herkunftsnamen darf ein Wein nur tragen, wenn seine Qualität es wert ist.” Von Giovanni Gaja stamme auch der Satz: “Wer zu trinken versteht, der versteht zu leben.” Mit dieser Maxime habe sein Vater ihn schon sehr früh – gegen den Willen der Großmutter – an den Wein herangeführt, verriet Angelo. Die Familie müsse dem Nachwuchs beibringen, wie Wein verantwortungsvoll zu genießen sei.

“Ich will ein Handwerker sein”, bekannte Gaja und ging auch auf das Thema Nachhaltigkeit und Ökologie ein. Seine Weingüter produzierten jährlich 50 Tonnen Kompost selbst: “Rote Würmer aus Kalifornien verwandeln innerhalb eines Jahres Mist von Milchkühen in besten Humus. Den bringen wir dann in den Weinbergen aus, um den Boden zu beleben.” Mit Anfang 70 sieht Gaja für sich zwei Pflichten gegenüber seinen Kindern: “Zum einen will ich ein gutes Vorbild sein. Ich will der nachfolgenden Generation viele gute Beispiele geben, aber ohne den Zwang, dass sie es genauso machen muss wie ich. Die Kinder sollen tun können, was sie wollen.” Zum anderen gehe es darum, die Leidenschaft weiterzugeben: “Meine Kinder sollen sich – wie ich – mit Leidenschaft der Arbeit widmen, sie sollen etwas erreichen wollen. Leidenschaft bei der Arbeit ist wie ein Scheibenwischer: Er verhindert nicht, dass es regnet, aber man kann auch bei schlechtem Wetter fahren.”

Abschließend machte Gaja allen selbstständigen Winzern und auch den qualitätsbewussten Händlern und Kunden noch einmal ausdrücklich Mut: “Es kommt nicht auf perfekte Weine an, sondern auf ursprüngliche Weine, die auch die Identität des Produzenten widerspiegeln. Die Märkte sind nicht nur für industrielle Großkellereien da – Individualität hat Chancen!”

Das Weingut Gaja im Weinführer

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