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Zweihundertmal habe ich bisher in dieser Kolumne meine Gedanken über Wein festgehalten und dabei kaum ein Thema ausgelassen, das (auch nur im Entferntesten) mit Wein zu tun hat. Dabei gibt es ein Wort, das ich wohl am häufigsten verwendet, aber noch nie zum zentralen Thema gemacht habe: der Genuss und all die Begriffe, die mit dem Genießen zusammenhängen. „Genießen ist etwas Positives. Schließt man die Augen und denkt an etwas Schönes, Genussvolles, fängt die Seele an zu schwingen,“ sagt der Psychologe und Genussforscher Rainer Lutz (Universität Marburg). Wie beschreibt man aber eine „schwingende Seele“? Ich weiß es nicht. Wohl deshalb habe ich es bisher dabei bewenden lassen, immer wieder vom Genussgefühl zu reden, und stillschweigend vorausgesetzt, dass alle Kolumnen-Leserinnen und -Leser wissen, was mit Genießen gemeint ist. Wissen sie es wirklich? Besser noch: Weiß denn ich es überhaupt? Oder ist es ein gefühltes Wohlergehen, das sich nur erleben, nicht aber (oder kaum) beschreiben lässt?

 

Gemälde im Champagner-Museum in Reims (Foto: P. Züllig)

In solchen Fällen ziehe auch ich oft das Lexikon zu Rate und finde da in etwa folgende Genuss-Einteilung:

  1. Aufnahme von Ess-, Rauch- oder Trinkbarem
  2. Wahrnehmung von Dingen, die als schön empfunden werden
  3. Freude, Wohlbefinden, die im Menschen entstehen

Da kommen wir der Sache schon etwas näher. Genuss hat tatsächlich (auch) mit Trinkbarem zu tun, in diesem Fall mit Wein. Der so häufig angewandte Begriff kann also nicht ganz falsch sein. Und es handelt sich um eine positive Wahrnehmung von etwas, das man als schön empfindet, definiert das Lexikon. Da wird es bereits schwierig: Was ist schon „schön“? Wer sich an endlose Diskussionen über die Schönheit von Kunstwerken erinnert, wagt kaum eine Aussage. Im Ess- und Trinkbereich gibt es einen ähnlichen Begriff wie „schön“, der nur schwer zu definieren ist: „lecker“. Was ist schon lecker? Ein „leckeres“ Weinchen vielleicht? Eine schreckliche Vorstellung, einen Wein so zu beschreiben, und doch ist das Signal irgendwie verständlich: Ein Wein, der Freude und Wohlbefinden bereitet. Nur: Was bereitet wem Freude und Wohlbefinden? Lässt sich da etwas Allgemeingültiges sagen? Kaum! Und doch möchten Konsumentinnen und Konsumenten gerade dazu mehr erfahren. Sie möchten wissen: Lohnt es sich, einen Wein zu kaufen oder einen Wein einzuschenken? Wird er Freude bereiten? Und welche Art von Freude?

 

Fantasiewelt in einem Gourmet-Tempel in Sonoma (Foto: P. Züllig)

Sinnesfreuden, natürlich, denn beim Weingenuss geht es ja um die Sinne, vorwiegend um den Geruchs- und den Geschmackssinn. Der Seh- und der Tastsinn, die sonst beim Menschen eine Leitfunktion einnehmen, spielen hier eine eher untergeordnete Rolle. Nicht umsonst steckt der Weinliebhaber zuerst die Nase ins Glas. Damit steigt auch die erste Verwirrrung hoch. Wie riecht – oder sagen wir: duftet – der Wein? Dafür gibt es kaum – oder nur wenige – Begriffe. Man behilft sich mit Analogien: Es riecht wie… und dann kommt eine fast unendlich lange Liste von Dingen, die Gerüche absondern, wohlgefällige und weniger angenehme, bekannte und unbekannte, eindeutige und rätselhafte… Welche dieser Gerüche bereiten Genuss und welche erzeugen Abscheu oder gar Ekel? Ist das, was wie kochender Teer riecht, noch ein Genuss oder schon ekelhaft? Wie steht es mit Pferdestall oder gar mit Katzenpisse? Ist man überhaupt in der Lage, den Geruch von der uns bekannten Quelle (von der er ausströmt) zu trennen?

 

Aromarad – der Versuch% die Aromen in Griff zu bekommen (Foto: P. Züllig)

So viele Fragezeichen habe ich – so meine Erinnerung – noch nie in eine Kolumne gesetzt. Da macht es sich der Leser einer Weinzeitschrift bedeutend einfacher: „Was da an Wortschöpfungen von Wein-Fachleuten erfunden wird, ist oft lächerlich bis peinlich… Liebe Analysten und Fachleute, bitte lassen Sie mich die eigene Meinung bilden, denn ich weiß, was ich rieche, und das genügt mir.“ Genügt es wirklich oder möchte der Weinkonsument nicht etwas genauer wissen, ob ein Wein auch Genuss bereitet oder bereiten könnte? Oder genügen schon das Renommee eines Weinguts, ein hoher Preis oder die Punktezahl namhafter Weinkritiker für eine Genussgarantie? Wohl kaum!

Beim Weingenuss ist natürlich nicht nur die Nase im Spiel, weit mehr noch der Geschmacksinn. Da beginnt das Genusserwartungsspiel auf Neue: Wie hat etwas zu schmecken, um als schön – oder eben lecker – beurteilt zu werden? Dazu nochmals der bereits zitierte Leserbriefschreiber, der kommentiert: „Eher mühsam wird es mit ‚einnehmende Evolution am Gaumen‘ (Darwin lässt grüßen)... Immer wieder geil, sexy, Erotik pur – dies hätte ich lieber bei der Mittrinkerin!“ Mit saloppen Sprüchen lässt sich aber das Problem nicht lösen. Genuss ist alles andere als einfach zu definieren. Und – Hand aufs Herz – wann wird Genuss gar zur Sucht (schon wieder ein Fragezeichen)? Halten wir uns an die Wissenschaft, um die Frage zu beantworten, was Genuss im Kopf auslöst. Es ist „der im Gehirn ausgeschüttete Neurotransmitter Dopamin, der einen Glückskick auslöst und unser Verhalten steuert. Wie sich einzelne Nervenzellen im Gehirn solche Genüsse merken, hat eine Forschergruppe von der University of Alabama in Birmingham entschlüsselt. Sie konnte an Ratten erstmalig zeigen, dass bei dem Prozess Gene, die bei Erinnerungen eine Rolle spielen, chemisch – epigenetisch – verändert werden.“ Begriffen?

 

Bereit zum Ess- und Trinkgenuss (Foto: P. Züllig)

Wohl kaum! Weintrinker sind ja keine Ratten, vielleicht funktioniert es bei ihnen ähnlich wie bei Ratten, vielleicht aber auch nicht. Lassen wir die Wissenschaft und kehren zurück zum Genuss, zu jenem Glücksgefühl, das nicht nur schwer zu definieren ist, sondern noch schwieriger vorauszusagen. Wird es bei diesem oder jenem Wein eintreten oder ausbleiben (ich versichere, dies ist das letzte Fragezeichen dieser Kolumne)? Das möchte man doch (möglichst verbindlich) wissen.

Genuss ist kein Attribut des Weins, er setzt vielmehr die Genussfähigkeit des Menschen voraus und ist eng verbunden mit den Empfindungen und dem Erleben der Konsumenten: Gefällt das, was man riecht, fühlt, schmeckt, sieht, tritt der Genuss von selber auf den Plan. „Genuss ist lustvoll, sinnlich und immer auf das eigene Ich bezogen. Jeder Mensch wird etwas anderes nennen, wird andere Erlebnisse anführen, wenn er Genuss oder individuelle Genussmomente beschreibt“, sagt der Genussforscher.

Wenn Sie jetzt genüsslich mitgelesen und dabei neue, positive Erfahrungen gesammelt haben, wenn Sie die Zeit aufbringen, darüber nachzudenken und auf Ihre Gefühle zu achten (denn Genuss braucht Zeit), wenn für Sie der Genuss alltäglich wird und nicht darauf warten muss, bis er zugelassen wird, dann lösen sich (fast) alle Fragezeichen auf – und so können auch diese Kolumne und Ihr nächster Wein zum Genuss werden.

Genussvoll
Ihr/Euer

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