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Die 46. Ausgabe der Wein-Rallye – einer beliebten Institution der Weinblogger – führte mich vom Bordelais direkt in die Schweiz oder umgekehrt. Das Thema ist nicht ganz alltäglich, betrifft aber den Alltag. „Brot- und Butterweine“. Damit sind jene Weine gemeint, die „tagtäglich auf dem Tisch stehen und dem Winzer das Einkommen sichern – gleichzeitig aber handwerklich einwandfreie Produkte sind.“ Über solche Weine spricht man selten, man trinkt sie eben.

„Welches ist denn Ihr Lieblingswein?“ Eine Frage, die mir immer wieder gestellt wird. Ich kann sie wirklich nicht beantworten. Da gibt es edle Tropfen, kleine Weine, neue Erfahrungen, viele Weingebiete… Einen gleichmäßigen Weinalltag kenne ich nicht. Nur die fast sichere Tatsache, dass ich jeden Tag Wein trinke.

Sommerlicher Alltag. Wein begleitet jedes Essen.

Jetzt hat mir die junge Arzthelferin eingeschärft: „Vor dem Test zwei Tage lang keinen Tropfen Alkohol trinken!" Sie sieht meine leicht verdatterte Miene; ein Gesprächsthema – abseits vom Arztpraxis-Groove – entwickelt sich. „Kennen das ‚Riedener Tröpfli‘?“ Nein - kenne ich nicht, obwohl es aus meiner Gegend stammen soll. „Mein Vater trinkt nur noch diesen Wein, alle andern Weine hat er aus dem Keller entfernt.“ Ob er sie getrunken, verschenkt oder gar ausgeleert hat, wage ich nicht zu fragen. Doch mit einem Schlag wird mir bewusst: In vielen – wohl in den meisten – Haushalten gibt es so etwas wie einen „Hauswein“. Der Begriff Alltagswein greift da meist zu kurz, Lieblingswein mag subjektiv stimmen, doch es fehlt in der Regel die Möglichkeit des Vergleichs. Man trinkt ja meist nur den einen Wein, eben seinen Lieblingswein.

Da stelle ich mir unwillkürlich die Frage: Wie war es denn in früheren Jahren? Als Wein für mich noch das war, was bei dieser Rallye zum Thema wurde: „ein Wein, der tagtäglich auch auf dem Tisch stehen kann“.

Ich muss schon ein paar Jährchen zurückdenken, zu meinem ersten eigenen Wein im Keller. Ein Sammelsurium von dem, was ich damals an Weinen kannte, der Familientradition, dem knappen Budget eines Studenten oder Jungjournalisten angepasst. Es kristallisierte sich ein „Landwein“ heraus, den ich heute noch schätze, aber kaum mehr trinke.

Leutschner% ein Pinot Noir aus dem Zürichsee-Gebiet.
Ich weiß auch nicht, ob es schon damals Nostalgie war, die mir diesen Wein erschloss; die Erinnerung an die Jugend, an meine Lieblingstante, die so wunderschön die Rebberge im Wallis und in der „Schwyzer-March“ beschreiben konnte. Oder war es gar die großartige Aussicht, der Blick von meinem „Hausberg“ Etzel über die „Leutsch“ zum Zürichsee, die mich zum „Leutschner“ geführt hat? Ich hatte ihn gern, ich liebte ihn, er war einfach der Beste. Dies blieb viele Jahre so. Der „Leutschner“, ein Pinot Noir, hier in der Gegend auch Clevner genannt, ein Spätburgunder, aus Rebbergen, die einst dem Benediktiner-Kloster Einsiedeln gehörten. Auf dem Flaschen-Etikett das Bekenntnis eines Paters aus dem Jahr 1865 in Versform: „Sag’ an, wo ist dein Vaterland? Ist’s am Rheine- oder Rhônestrand? Verzeiht ihr Welschen und ihr Deutschen, ich bin von hier, ein Schwyzer, ab der Leutschen.“ Es dürfte das erste Gedicht sein, das ich je im Leben gelernt habe, zu einer Zeit, als ich noch nicht wusste, was Wein überhaupt ist. So hat mich der „Leutschner“ begleitet, durch viele Jahre des unbeschwerten Nebeneinanders von Wein und Alltag. Von Alltag und Wein. Es war ein treues, lang währendes Verhältnis, nicht die große Liebe. Mein Kommentar damals, so wenig verbindlich wie der Wein selber: „schöne Frucht, würzige Noten“.

Wenn ich an diese Zeit meines Hausweins zurückdenke, steigen Aromen von dunklen Beeren und Pflaumen auf; ich meine mich zu erinnern an eine leichte Süße, an viel Schmelz und einen samtenen Abgang.

Die Leutsch% Weiler oberhalb Freienbach am Zürichsee.

Dann aber kam die große Liebe, so etwas wie ein „coup de foudre“, die unglaubliche Verliebtheit in die vornehme Dame Bordeaux. Ich merkte erst mit den Jahren, dass ich mich eigentlich unstandesgemäß verliebt hatte, sowohl in Bezug auf das Milieu, als auch in den Ansprüchen, die nun an mich gestellt wurden. „Hauswein“ – der Begriff wurde aus dem Umgang mit der Dame verbannt. Jetzt waren es edle Tropfen, die lange gelagert werden müssen, zehn und mehr Jahre im Keller ruhen; Trophäen aus Auktionen, die den Alltag krönen sollten. Es entwickelte sich eine Aufbruchstimmung, die trotz des Standesunterschieds – damals – noch zu bezahlen war. Erst als die Dame Bordeaux dann unverschämt und arrogant geworden ist, fast schon unerträglich dreist, da ist der Begriff „Alltagswein“ zu mir zurückgekehrt. Zwar bin ich nicht mehr auf ihn angewiesen, denn mein Weinkeller hat sich in den Jahren meiner intimen Beziehung zur besagten Liebe so gefüllt, dass er wohl – zusammen mit meinem immer häufigeren Fremdgehen bei anderen Weinschönheiten – bis an mein Lebensende reichen sollte.

Und trotzdem, ich hab ihn wieder, den „Alltagswein, der dem Winzer das Einkommen sichert – gleichzeitig aber ein handwerklich einwandfreies Produkt, ein Lebensmittel im ursprünglichen Sinne ist, ein Wein, der auch getrunken werden will.“ Inzwischen sind wir, ich und mein Alltagswein, „weltmännisch“ geworden. Der Wein kommt nicht mehr von der nahen Leutsch, sondern vom äußersten Zipfel des Bordelais.

Château Parenchère% Bordeaux.

Es sind auch nicht mehr „nur“ fünf Hektar Rebland, aus denen der Wein stammt, es sind mehr als 50 Hektar. Das unscheinbare „weiße Haus“ im Weiler Wilen – heute eine „bevorzugte Wohnlage“ am Zürichsee – konkurriert mit einem veritablen Schloss in Sainte-Foy Bordeaux, das im 16. Jahrhundert dem Freiherrn Pierre de Parenchère gehörte und im 19. Jahrhundert einem General, der zwar an der Schlacht von Waterloo teilgenommen hat, aber einundvierzig Jahre später auf dem Weingut gestorben ist. Standesmäßig hat sich also bei meinem Hauswein einiges verändert, vom bürgerlichen oder gar bäuerlichen Milieu in eine adelige, fast exklusive Gesellschaft. „Parenchère“ heißt er und kostet etwa so viel, wie heute der Leutschner kostet (ca. 10 Euro). So wie der Leutschner ein sehr guter Schweizer Landwein ist, ist Parenchère ein sehr guter Bordeaux. Ein „kleiner“ Bordeaux, sagt man, aus einer wunderschönen Weingegend, die zwar keinen klingenden Namen hat, aber zumindest ein wunderschönes Château vorzeigen kann, welches aber kaum ein Bordeaux-Liebhaber je besucht hat. Der Wein, der aus diesem Château kommt, hat den Weg auch in meinen Keller und in meinen Alltag gefunden, er hat sich zu meinem „Hauswein“ gemausert.

Weingegend von Sainte-Foy% Bordeaux.

Ein Bordeaux als „Hauswein“, ein Fall für Weinsnobs? Ich glaube nicht! Auch in Bordeaux gibt es das „Brot- und Buttergeschäft”, auch in Bordeaux müssen Weine verkauft werden, die nicht sogleich von der Spekulationsspirale hochgetrieben werden und aus dem Alltag verschwinden. Parenchère ist ein solcher Wein. Parkerpunkte hat er nicht, Degustationsnotizen gibt es kaum, außer meinen eigenen. Und die sind im Alltag selten: „…dunkle Farbe, viel Frucht, jugendlicher Charakter, saftig im Gaumen, Anklänge an Pilze, Paprika, elegant, weich, fast schon seidig.“ Was soll’s, dies lässt sich von vielen Bordeaux sagen, zu Recht. Für mich ist es nur eine Momentaufnahme meines Hausweins. Morgen wären es wohl andere Eindrücke. Parenchère ist (für mich) ein Wein, der nicht zu beschreiben, sondern zu trinken ist, eben ein „Brot- und Butterwein“.

Herzlich
Ihr/Euer

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